19. Kapitel

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Amalia

Das Wochenende vergeht wie im Flug und so sitze ich hier in der Bahn auf dem Weg in die kleine Stadt, an deren Rand sich das Internat befindet.

Keiner meiner Eltern hatte Lust mich zu fahren, was sie so natürlich nicht gesagt haben, aber die Ausrede sie müssten beide noch umbedingt den Dachboden ausräumen, obwohl sie das angeblich schon letzte Woche gemacht haben, ist doch etwas verdächtig, wenn man mich fragt.

Am liebsten würde ich ihnen beim „ausräumen" helfen, anstatt zurück in die Schule zu Maella zu fahren, aber das kann ich logischerweise nicht machen.

Etwas genervt streiche ich über meine schwarze Hose, die über und über mit Katzenhaaren voll ist.

Gruß geht raus an Siegfried, meinen Kater.
Danke dafür.

Die um die fünfzig Jahre alte Frau, die sich natürlich genau neben mich setzen musste, zieht ihre Nase Kraus bevor sie mich voll anniest.

Ew.
Gehts noch?
Noch nie was von Hygiene gehört?

Nachdem sie fertig ist ihre Bazillen überall zu verteilen, schaut sie erst mich, dann meine Hose abwertend an und ich verstehe.

„Wenn Sie eine Katzenallergie haben, dann setzten Sie sich doch einfach wo anders hin." sage ich mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr.
Ist ja schließlich nicht so als wäre drei Reihen vor uns nicht noch was frei.

Sie kneift fest ihre Lippen aufeinander, als würde sie es unerhört finden dass ich sie einfach so anspreche...aber Leute anniesen ist im Normalbereich, oder was?
Aha. Na dann. Alles klar.

Falls es noch niemandem aufgefallen ist... meine Laune befindet sich irgendwo in Richtung Erdkern und das schon seit ich aufgestanden bin.

Das schien auch meiner Mutter aufgefallen zu sein, denn zum Abschied hat sie mich noch mal extra fest in den Arm genommen, was meine Stimmung zumindest drei Sekunden lang verbessert hat.

Die Frau neben mir zieht erneut ihre Nase kraus und ich kann nicht anders und muss leicht grinsen, was sie wohl auch zu bemerken scheint.

Mit einem: „Diese unhöfliche Jugend von heute." steht sie energisch auf, stapft nach vorne und lässt mich somit an meinem Fensterplatz alleine, wogegen ich wirklich nichts einzuwenden habe.

Zufrieden lehne ich mich zurück und stelle meine Musik, die ich, sozial wie ich bin, extra ein wenig leiser gemacht habe, damit sich meine Sitznachbarin nicht gestört fühlt, wieder lauter und schließe die Augen.

Nebenbei höre ich der neutralen Stimme aus dem Lautsprecher zu, wie sie den nächsten Bahnhof ankündigt, an dem wir gleich halten werden.
Ich muss erst nach zwei weiteren Haltestellen aussteigen, also kümmert mich das nicht weiter... dachte ich in dem Moment zumindest.

Natürlich werde ich von meinem Leben wie immer eines besseren belehrt, als mich plötzlich eine weibliche Stimme anspricht. 

„Kann ich mich hier hin setzten?" fragt sie etwas zögernd und ich öffne meine Augen.

Ich glaub ich bekomm jetzt gleich entweder einen Anfall, oder einen Herzinfarkt, ich bin mir noch nicht so ganz sicher für welches ich mich entscheiden soll.

„Maella." stelle ich trocken fest.

Ganz ehrlich... wer sollte es auch sonst sein?
Wer bei meinem Glück könnte denn noch hier auftauchen??
Jack the Ripper, hallo bist du da? Nein?
Wie wärs dann mit Bloody Mary, oder sowas?
Auch nicht?
Chucky die Mörderpuppe?
Oder mein lieber Freund Satan, dem ich vielleicht unbewusst irgendwann im Laufe meines Lebens ausersehen meine Seele verkauft habe, und der mich seitdem mit Pech verfolgt; der könnte es natürlich auch sein.

„Äh... ja hi." gibt sie von sich, wobei sie mich irgendwie komisch anlächelt.

Was originelleres hätte sich Ella nicht einfallen lassen können, oder?

Zu meinem Verdruss sieht sie absolut umwerfend in ihrem schwarzen Rollkragenpullover und der Jeans aus, so dass der Teil von mir der nicht sauer und hochgradig verletzt ist, anfängt zu sabbern.

Großartig. Einfach großartig.

Ohne sie noch einmal zu beachten hebe ich meine immer noch viel zu schwere Reisetasche von Boden auf und lasse sie demonstrativ auf den Sitz neben mir fallen.

Satan wäre stolz. Mein Dad auch.

Ich muss gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass mich eine zwischen Empörung und Erschrockenheit hin und her gerissene Maella ungläubig anstarrt.

Aber was hat sie erwartet? Dass ich nur weil mein Herz selbst jetzt noch fast aus meiner Brust springt und ich in ihrer Nähe unglaublich nervös werde, einfach alles vergesse, was erst vor wenigen Tagen vorgefallen ist?

Darauf kann sie doch nicht wirklich gehofft haben, oder?

Ich drehe meinen Kopf ein wenig mehr in ihre Richtung, um dann aus den Augenwinkeln heraus zu versuchen ihren Gesichtsausdruck zu deuten, wofür ich mich nicht mal besonders anstrengen muss.

Sie sieht niedergeschlagen aus, was mir einen heftigen Stich versetzt.
Selbst nach alledem will ich immer noch, dass es ihr gut geht; außerdem liebe ich ihr Lachen.

Ach verdammt. Warum muss immer alles so kompliziert sein?

Als sie mich plötzlich direkt ansieht, bekomm ich fast einen Herzinfarkt.

Scheiße, sie hat mich beim starren erwischt.

Blut schießt in meine Wangen, was das ganze kein bisschen besser macht.

Schnell drehe ich mich um und versuche mein Herz wieder zu beruhigen, welches aus meiner Brust zu springen droht.

Verdammt, verdammt, verdammt.

Da verletzt die mich so, zieht so eine scheiße ab und was passiert?

Nichts. Ich mag sie immer noch.

Oh Gott nein.

Und gerade muss ich mich wirklich wirklich anstrengen nicht noch einmal in ihre Richtung zu schauen.

Wie schön sie heute aussieht... und wie gerne ich sie auch nur für einen Moment berühren würde...

Nein! Amalia, reiß dich zusammen! Dieses Mädchen hat auf deinem Herz rumgetrampelt, als wäre es Müll!

Doch genau dieser Müll schlägt gerade unglaublich schnell in meiner Brust, was mir ihre Wirkung auf mich umso deutlicher macht.

Und dann fällt mir ein, dass wenn sie jetzt im selben Zug wie ich ist, sie auch mit dem selben Bus zum Internat fahren wird... verdammt.

Das wird eine der schrecklichsten Fahrten, die ich je erleben werde.

Und dann kündigt die neutrale Lautsprecherstimme den Bahnhof an, an dem wir rausmüssen.

Als der Zug steht, springe ich so schnell ich kann auf, schnappe meine Tasche und sprinte an einer verblüfft aussehenden Maella vorbei hinaus auf den Bahnhof.

Warum ausgerechnet heute? Wie kann das sein?
Es ist doch nicht normal, dass sie durch reinen Zufall in die selbe Bahn einsteigt wie ich!

Was soll das?

Scheiße.

"fuck you M." [girlxgirl]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt