Oh, nein, was Tim genau von mir wollte, wurde mir am nächsten Tag klar, als ich Silvia und Regina im Bus belauschte, die schamlos auf deutsch über ihre Jungs sprachen, weil sie dachten, dass die Franzosen eh nicht lauschten. Die Franzosen waren allgemein ziemlich sprachfaul und hatten in Deutschland auch mehr französisch gesprochen als deutsch. Andersherum erwarteten sie hier, dass wir ausschließlich französisch sprachen.
„Ich weiß echt nicht, ob ich ihm nachgeben soll." seufzte Regina gerade. „Wenn man bedenkt, dass Tanja nun als Schlampe gilt, weil sie mit ihrem Franzosen geschlafen hat..."
Mir wurde heiß vor Scham. Ich guckte aus dem Fenster. Nein, ich musste damit aufhören, musste Tim sagen, dass ich gerne sein Kumpel wäre, er jederzeit mit mir reden könne, aber mehr würde ich ihm nicht bieten! Darin hatte ich ja Übung...
„Andererseits wäre es doch schon cool, oder?" hauchte Silvia. „Entjungfert von einem heißen Franzosen, einem Liebesgott!"
Ich verdrehte die Augen. Nun, gestern in meiner Fantasie war Timothée natürlich auch ein wahnsinnig guter Liebhaber gewesen, aber ich war mir ja bewußt, dass es nur ein Traum war! Womöglich fand er, wie mein Ex, nicht mal den richtigen Punkt, um mir einen Orgasmus zu bescheren! Sondern grub mit dem Finger...mir wurde schlecht und ich beendete diesen Gedanken, denn er würde eh nicht wahr werden. Die Mädchen waren nun bei Praktiken angelangt und ich erfuhr, dass Silvia sich wünschte, ihr Franzose würde sie oral befriedigen. Ich schloß die Augen und dachte an Tims Lippen. Seine Zunge, die er manchmal beim herumalbern heraus gestreckt hatte. Eh ich mich versah, war ich schon wieder in Tagträumen verloren!
Und das Alex mich damit aufzog, was für ein hübsches Paar Tim und ich wären, machte meine Entscheidung, ihn auf Distanz zu halten, nicht besser! Ich beharrte jedoch auf meinem Standpunkt, dass ich mich niemals hier mit einem Kerl einlassen würde und sie ließ mich bis zur Mittagspause in Ruhe. Am Nachmittag holte sie mich zu einer Radtour ab, während die deutsch- französischen Pärchen sich wieder irgendwo in einem hippen Café trafen, und ich genoß die schöne Landschaft- im Café sitzen konnte ich auch zuhause! Der Tag verging, ohne, dass Tim aufgetaucht war, obwohl ich es innerlich gehofft hatte, und beim Abendbrot bemerkte ich, dass Lucas ziemlich gut drauf war. Nicole schaute mich an und sagte, dass sie mir Grüße von Tim ausrichten solle und ich wurde rot. Er sei für eine Woche nach Paris gefahren, zu Studienzwecken, erklärte sie.
Alleine in meinem Zimmer weinte ich nun doch. Tim würde erst wieder kommen, wenn ich schon fast wieder abreisen musste, und ja, es war doch gut so, gut, dass er entschieden hatte, es uns leichter zu machen, dennoch zerriss es mir das Herz! Lieber jetzt, als in anderthalb Wochen, dachte ich, lieber nicht schluchzend am Bahnhof stehen, was ich doch krampfhaft zu vermeiden versucht hatte! Und doch...ich vermisste ihn! Hatte das Gefühl, das bisschen Licht, das durch ihn wieder in meinem Herzen geschienen hatte, sei wieder verloschen, selbst der schöne Tag mit Alex war getrübt und ich ärgerte mich darüber, dass ich es nicht einfach genießen hatte können, mit meiner neuen Freundin zusammen zu sein! Im Übrigen hatte sie mir erzählt, dass sie nicht lesbisch sei, sondern einen ganz normalen Teenager- Crush in ihre Englischlehrerin hätte. Wir hatten sehr viel gelacht und herum geblödelt, aber immer hatte ich im Hinterkopf gehabt, dass ich am Abend Tim sehen würde, es war wie verhext. Nun würde ich ihn vielleicht nie wieder sehen!
Ein merkwürdiges Klingeln lenkte mich vom Weinen ab, erst dachte ich, es sei das Flurtelefon der Chalamets. Denn es klang dumpf. Es war spät, nahezu elf, und ich hatte das Licht schon gelöscht. Das Klingeln ging weiter, ich stand auf und verfolgte es, bis ich beim Schreibtisch angekommen war. Unschuldig zwischen Tims Büchern war ein Handtelefon mit Supermann- Motiv verborgen. Ich dachte, es wäre nicht funktionsfähig, doch dann sah ich im Halbdunkel, dass das Kabel zu einer Buchse führte und nahm ab.

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tenebras lux
Romancepost tenebras lux-auf Dunkelheit folgt Licht Eine Tochter entdeckt die Memoiren ihrer Mutter. Ob diese so aufgeschrieben sind, wie sie sich auch wirklich zugetragen haben, sei dahin gestellt. Und ob Cecile wirklich ALLES so genau wissen will, was im...