35. „Wofür?"

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POV Alex

Der Spiegel zeigt mir ein erniedrigendes Bild von mir selbst. Tiefe Augenringe umrahmen die eh schon leicht geröteten Augen. Meine Haare lassen sich nicht richten und ich habe Kopfschmerzen. Vielleicht waren die eineinhalb Flaschen Wein gestern Abend doch keine gute Idee. Es ist Freitag und somit schon drei Tage her, dass ich Milo gegenübergetreten bin. Vielleicht ist es lächerlich von ihm zu verlangen, sich mir gegenüber zu öffnen oder wenigstens etwas mehr zu erwarten als das. Sex um mich abzulenken? Ich dachte echt die Zeiten haben wir hinter uns gelassen.

Ich gebe mir allerdings auch die Schuld daran, schließlich gehören da immer zwei zu. Doch ich habe ihm wenigstens ein bisschen mein Herz geöffnet. Er hat es gemerkt und ich weiß, dass es ihm bewusst ist! Ich brauchte es ihm nicht zu sagen, denn meine Taten haben für mich gesprochen. Er hat mich ausgenutzt und ich fühle mich dreckig. Ich konnte ihn noch nie abweisen. Langsam bin ich es leid, dass er mir auf der Nase herum tanzt und ich ihm trotzdem wieder verzeihe. Am Ende kommt nur noch mehr Scheiße dabei heraus.
Erst verliebe ich mich, dann werde ich in seine Drogen Geschäfte mit reingezogen, doch er beginnt sich endlich zu öffnen. Er bezahlt die Krankenhausrechnung meiner Mutter, wir beide kommen uns Gefühlstechnisch näher und dann taucht hier so ein Fremder in meinem Wohnzimmer auf? Nach einem Blinzeln war Milo wieder wie früher und ich bin es satt da mitzuspielen. Nicht mehr so und nicht mehr nur zum Spaß.

Träge schleppe ich mich in die Schule und stehe tapfer die ersten drei Stunden durch. Ich war die letzten Tage nicht in der Schule. Eigentlich wollte ich Milo aus dem Weg gehen, doch ich habe auch ein wenig mehr getrunken sodass ich noch einen weiteren Grund hatte nicht zu kommen. Aber ich fange mich jetzt wieder, schließlich bin kein Alkoholiker und wegen einem Jungen werde ich nicht meine Würde verlieren. Milo macht sich wahrscheinlich nicht mal Gedanken darum, wie es mir damit geht.

„Ey Schwuchtel", ruft jemand und im nächsten Moment knalle ich gegen die Spinde an der Wand. Ein paar Mädchen in der Nähe schrecken auf und sehen mich besorgt an, doch außer dem tun sie gar nichts. Jason, ein Junge aus der Nachbarklasse stellt sich vor mich und sieht herablassend auf mich hinab. „Hast du dich die letzten Tage zu hart in den Arsch ficken lassen oder ist das Häufchen Elend hier vor mir dein neuer Style?", ein dreckiges Grinsen bildet sich auf seinem Gesicht und in mir steigt eine unbekannte Wut auf. Normalerweise mache ich mir daraus nichts, denn es würde nichts ändern wenn ich was dagegen unternehme. Doch heute bin ich eh schon gereizt und von so einem hirnlosen Primaten lasse ich mir jetzt bestimmt nichts vorschreiben.

„Bist du fertig?", frage ich gelangweilt , was ihm gar nicht gefällt. „Pass auf wie du mit mir redest!", giftet er zurück und ich kann mir nur schwer ein auflachen verkneifen. „Du redest mit mir doch auch wie du es willst!" „Willst du dich ernsthaft mit mir anlegen Schwuchtel?", er drückt mich erneut grob gegen die Spinde und drückt seinen Ellenbogen unangenehm in meinen Bauch. „Pass auf Jason, nicht das die Leute denken du wärst auch Schwul", höre ich Milos Stimme und sehe keinen Moment später in seine Augen. Er mustert die Situation, vermeidet es aber, mir direkt in die Augen zu sehen. Mir soll das recht sein, denn das er sich einmischt passt mir gar nicht.

„Was willst du denn jetzt?", fragt Jason, welcher mich aber tatsächlich loslässt. „Lass ihn einfach in Ruhe und verpiss dich", meint Milo locker und steckt seine Hände in die Hosentasche. „Du warst mal cool Milo. Richtig enttäuschend, dass du für den jetzt redest", meint Jason und geht kopfschüttelnd weg.
Auch ich will mich so schnell es geht aus dem Staub machen, als Milo mich am Arm festhält. „Gar nichts? Nicht mal ein Danke oder so?", höre ich und entreiße ihm unsanft meinen Arm. „Wofür?", frage ich genervt. „Wegen mir ist er gegangen!" „Oder in ein paar Minuten, wenn es geklingelt hätte. Es hätte auch ein Lehrer kommen können oder ich hätte es alleine geschafft", ich verschränke die Arme und sehe wie Milos Augen immer größer. „Ich bin nicht auf dich angewiesen." „Ich weiß", murmelt er und kratzt sich am Hinterkopf. „Wegen Mittwoch-" „Wir müssen da nicht drüber reden", unterbreche ich ihn direkt.

„Ach nein?", er sieht ziemlich verloren aus und in einem anderen Moment hätte ich das mit Sicherheit auch lustig gefunden. „Reden ist nicht unser Ding, das müsstest du doch eigentlich am besten wissen", während ich rede, versteht er anscheinend die Ironie in meiner Aussage und ein undefinierbarer Ausdruck liegt auf einmal in seinem Gesicht. „Lass mich einfach in Ruhe Milo. Hier in der Schule und Privat. Ich habe keine Lust mehr auf den Scheiß", meine ich noch. „Alex, bitte!", wieder klingt seine Stimme so reuevoll wie am Mittwoch, nach dem Sex. Es war wahrscheinlich der Moment in dem er angefangen hat nachzudenken. Zu doof, dass dieser zu spät kam. „Ich werde mich anders ausdrücken", meine Stimme klingt ebenfalls gereizt. „Ich habe keine Lust mehr auf dich!"

Er sieht mir noch einen Moment in die Augen ohne irgendwas zu sagen, doch ich sehe wie es ins einen Kopf rattert. Allerdings meine ich meine Aussage ernst und drehe mich im nächsten Augenblick einfach um und gehe in die Klasse. Nur wenige Minuten später kommt Milo mit René nach. Er sieht nachdenklich aus, doch ab jetzt ist das nicht mehr mein Problem. Streng genommen war es eigentlich nie mein Problem.

Gerade als die Haustür hinter mir zufällt beginnt das Telefon zu klingeln und lustlos bewege ich mich auf dieses zu. Nebenbei fällt mein Rucksack auf den Boden und landet mitten im Flur. „Carter", meine ich und lege meinen Schlüssel auf der Kommode ab. „Hallo Mister Carter, hier ist Louis Anderson", meldet sich die bekannte Stimme auf der anderen Seite. „Dr. Anderson, ist irgendwas passiert?", frage ich alarmiert. „Ehrlich gesagt schon", mein Herzschlag verdoppelt sich und in meinem Kopf macht sich auch die Panik breit. Auch wenn ich es nicht will übernehmen die pessimistischen Gedanken die überhand.
„Eine Krankenschwester war letztens bei ihrer Mutter und sie hatte die Augen geöffnet, Alexander", höre ich dann allerdings und nun schlägt mein Herz aus einem anderen Grund schneller. „Was bedeutet das?", frage ich direkt nach, während meine Hände schwitziger werden. „Es freut mich ihnen sagen zu können, dass die Behandlungen angeschlagen haben und ihre Mutter sich in einer Art Wachkoma befindet. Wir wissen nicht wie lange es dauert bis sie wieder richtig zu Bewusstsein kommt, doch zumindest kann sie ab diesem Zeitpunkt wieder alleine Atmen", erklärt mir der Arzt und ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. „Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung", meine ich erfreut. „Versteh mich nicht falsch Alexander, es kann auch noch sehr lange dauern bis ein weiterer Fortschritt zu erkennen ist. Zudem besteht auch immer noch die Chance, dass sie es nicht schafft", diese Nachricht mindert meine Freude nur minimal. „Sie schafft das, bald hat sie den Kampf gewonnen", meine ich und mit einem Dankeschön, beende ich das Telefonat.

Ich muss sofort ins Krankenhaus!

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