38. „Mehr als jeden Anderen!"

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POV Milo

Schon fast hilfesuchend suche ich seinen Blick, welcher mir aber konstant ausweicht. Im nächsten Moment drückt er mich weg und schaut nachdenklich auf die Blumen und die Schokoladenschachtel. „Die kannst du dir wirklich sparen", seine Stimme ist leise und leicht brüchig. Es tut mir leid ihn so zu sehen und sprachlos sehe ich ihm hinterher, als er an mir vorbei und in die Küche geht ohne mich auch nur ein Mal anzusehen.

Ich gehe ihm langsam und etwas verspätet hinterher. Als ich im Türrahmen stehe, sehe ich wie er beginnt Geschirr zu waschen. Der Tisch ist unaufgeräumt, mehrere Papiere liegen darauf und manche davon sind auch schon auf dem Boden gelandet. Ich traue mich nicht auf ihn zu zugehen, denn ich bin auch kaum in der Lage richtig nachzudenken.
„Du wolltest reden", höre ich ihn leise sagen und als ich mich räuspere erkenne ich wie er fast unauffällig zusammen zuckt. „So meinte ich das eben nicht Alex", sage ich ruhig. Ich bekomme keine Reaktion von ihm und ein Kloß entsteht in meinem Hals. „Es hat mich nur überrascht, dass du auch eine Vorladung bekommen hast. Das war nicht der Grund warum ich hergekommen bin!" „Was willst du Milo? Hast du jetzt nicht schon genug angerichtet", meint er dann und ich schlucke mehrmals.

Mir war bewusst das ich ihn verletzt habe, aber erst in diesem Moment wird mir bewusst wie sehr. Alex ist niemand der über seine Probleme redet und das hängt meiner Meinung nach nicht damit zusammen, dass er mit dem Mitleid oder ähnlichem nicht umgehen kann. Er spricht nicht darüber, weil er Angst hat verletzt zu werden.
Er spricht mit Anderen nicht über seine Mutter, weil der Gedanke an sie ihn schmerzt.
Er wollte sich nicht outen, weil er Angst davor hatte nicht akzeptiert zu werden und alleine dazustehen. Sein Opa ist momentan der einzige der ihm einen gewissen Halt gibt und hätte dieser sich von ihm abgewendet, wäre Alex' Welt zusammen gebrochen.
Und er will nicht mit mir sprechen, weil ich ihn schon jetzt verletzt habe und Worte manchmal noch schmerzhafter sein können als Taten.
Alex ist niemand der über seine Probleme redet und seit ein paar Tagen, bin ich eines von ihnen.

Ich presse die Lippen aufeinander und beobachte wie das Geschirr auf der einen Seite immer weniger und auf der anderen immer mehr wird. Ohne darüber nachzudenken, lege ich die Blumen und die Pralinen auf dem Tisch ab, stelle ich mich neben ihn und beginne das nasse Geschirr abzuwaschen. Auch als Alex stoppt und mich beobachtet, mache ich einfach weiter. „Lass das!", meint er dann harsch, doch ich höre nicht auf ihn und trockne stur weiter ab. „Hör auf! Ich brauche deine verdammte Hilfe nicht!" „Das ist mir egal", gebe ich zurück und greife gerade nach dem nächsten, als Alex es mir aus der Hand reißen will. Entschlossen sehe ich in seine vor Wut funkelnden Augen und halte weiter an dem Topf fest. Genauso wie er. „Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?", ein Stück Verzweiflung spielt in seiner Tonlage mit, doch er versucht es direkt wieder zu verstecken. „Weil ich das einfach nicht kann! Ich kann so einiges nicht, falls es dir noch nicht aufgefallen ist", bricht es aus mir heraus. „Zum Beispiel kann ich nicht wirklich gut reden. Ich weiß nie wie ich darauf reagieren soll, wenn mir jemand etwas wichtiges erzählt. Ich kann nicht auf andere Leute zugehen. Ich kann nicht über meine Gefühle reden und ich kann auch nicht über meine Familie reden Alex!", noch immer halten wir beide den Topf fest und Alex Miene hat sich nur minimale verändert.

„Schön das wir wenigstens darüber geredet haben", er zieht auf seiner Seite des Topfs, aber ich gebe nicht nach und halte dagegen. Leicht überrascht, aber immer noch sauer sieht er zu mir. „Ich bin ein Egoist und denke zuerst immer an mich! Das war schon immer so und das kriege ich einfach nicht aus meinem Kopf heraus! Aber du", sein Blick liegt fragend auf mir, als ich einfach stoppe und meine Gegenwehr unterlasse. „Du bringst einfach alles durcheinander!" „Willst du mich verarschen?" platzt es aus ihm heraus. „Du bist doch derjenige der sich so kompliziert verhält. Nie weiß man was in dir gerade vorgeht. Im ersten Moment hat man einen intimen Moment zusammen und im nächsten ist dein geheimes echtes Leben wieder im Vordergrund. Aber ich hab mich nie getraut nachzufragen, weil wir diesen Scheiß Deal hatten!", spuckt er mir vor die Füße und ich beobachte ihn dabei.

Nachdenklich sehe ich ihn an und mir fällt nichts ein was ich darauf antworten sollte. „Ich verhalte mich kompliziert, weil mich das alles überfordert", sage ich dann allerdings. „Dann ist es ja gut, dass wir das beendet haben", meint Alex beleidigt. „Verdammt Alex!", meine ich lauter als gewollt und seine Augenbrauen schießen in die Höhe. „Du willst wissen was in meinem Kopf vorgeht? Ich denke ständig an dich und nicht nur an diesen kitschigen Beziehungskram sondern daran, dass ich mit dir über Themen reden kann und du mich nicht verurteilst oder dich anders verhältst. Ich denke an den Tag zurück als mein Bruder mich angerufen hat und daran wie du mich trotzdem nur wenige Minuten später zum lachen bringen konntest! Ich denke seit den letzten Tagen ständig daran zurück, wie viel Angst ich hatte als dein Großvater angerufen hat und meinte du wärst im Krankenhaus. Ich weiß wie es sich anfühlt seine Mutter verlieren Alex! Es ist hart und gerade dann, wenn man nur diese eine Ansprechperson hat", ich hole tief Luft und weiche seinem Blick aus, da meine Augen anfangen zu brennen. „Ich kann nicht über Gefühle reden und ich rede auch nicht gerne über meine Familie, weil ich es hasse wie sich mein Bruder und mein Vater nach dem Tod meiner Mutter entwickelt haben. Es tut einfach so verdammt weh, aber bei dir habe ich dieses Gefühl nicht Alex! Bei dir sind meine Sorgen und Probleme nicht mehr wichtig, weil du mich verstehst wie kein anderer. Ich kann vielleicht nicht genau nachvollziehen was wahre Liebe ist, aber ich weiß das ich dich brauche Alex! Mehr als jeden Anderen!", mit einem Mal lässt Alex den Topf los und sieht mich fassungslos an.

„Verarschst du mich?", entkommt es ihm und ich verkneife mir ein Lachen. „Weißt du wie viel Überwindung mich das gerade gekostet hat? Ich meine das ernst Alex", sage ich ernst und er mustert prüfend mein Gesicht. Ich stelle den Topf ab und greife nach seinen Händen: „Ich bin nicht gut in dem hier und ich werde mit Sicherheit viele Fehler machen, aber ich weiß das ich dem hier eine Chance geben will. Du bist mir wichtig Alex und selbst wenn ich es wollen würde, ich kann dich einfach nicht in Ruhe lassen", meine ich ruhiger und er verfolgt jede meiner Bewegungen mit seinen Augen.

„Dafür das du nicht so auf den kitschigen Kram stehst, hast du ihn aber ziemlich gut drauf", flüstert er und ein leichtes Lächeln huscht über sein Gesicht. „Verzeihst du mir?", frage ich in der selben Lautstärke. Alex lässt sich mit seiner Antwort Zeit: „Ich meine es mit dir ernst, also machen wir es entweder ganz oder gar nicht." „Eine Beziehung?", frage ich nach und erneut überkommt mich ein wenig Panik. „Zusammen kriegen wir das schon hin." „Okay", meine ich, doch versteife mich trotzdem ein wenig. „Das wichtigste dabei ist aber, dass wir miteinander sprechen. Also Was ist los Milo?", Alex Blick ist so ehrlich und persönlich, dass ich gar nicht anders kann als mich in seinem Blick zu verlieren. So hat mich noch nie jemand angesehen! „Ich habe einfach Angst", flüstere ich und spüre seine Hand in meinem Nacken. Sein Daumen zeichnet beruhigende Kreise auf meine Haut und mein Herz wird ein Stück langsamer. „Das ist vollkommen in Ordnung, ich habe auch ein wenig Angst davor", flüstert er. „Aber ich glaube an uns!" „Ich auch", sage ich und lächle ihm dann ehrlich zu.

Erleichterung nimmt mich für einen Moment ein und die Anspannung fällt komplett von mir ab. Als ich dann auch noch Alex' Lippen auf meinen spüre, ist das Gefühl einfach nur unbeschreiblich schön.

Unser Geheimnis... (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt