25. Ein Retter in der Not

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POV Alex

An diesem Samstag lehne ich erschöpft meinen Kopf gegen die Scheibe des Busses, in welchem ich sitze. Ich habe mir selbst nicht zugetraut heute mit dem Auto ins Krankenhaus zu fahren und meine Einschätzung hat sich als richtig herausgestellt. In meinem Kopf spielen sich die Bilder erneut ab. Wie die hoffnungsvolle Miene von Dr. Anderson immer mitleidiger wurde, als ich ihm erzählt warum ich heute da bin. Auch seine darauffolgenden Worte waren nicht wirklich besser.
Ich bin meine Möglichkeiten gestern nochmal durchgegangen und bis auf die Ratenzahlung bleibt mir nicht viel übrig. Selbst da gibt es noch Probleme, denn ich habe weder ein konstantes Einkommen noch einen richtigen Job. Das Geld von meinem Großvater hätte ich ja genommen doch dann ist mir eingefallen, dass er sein Geld immer so einteilt, dass er genug zum überleben hat. Er spendet viel von seinem Geld an Organisationen die sich zur Unterstützung von Familien bereit erklären, welche wichtige Menschen in ihrem Leben verloren haben. Von seinem Geld bleibt letztendlich genug übrig um mir ein wenig Taschengeld aufs Konto zu überweisen und sein Aufenthalt im Altersheim zu bewerkstelligen.

Müde und mit brennenden Augen sehe ich auf die vorbeiziehende Landschaft. Eigentlich bin ich erst Morgen damit dran ihn zu besuchen, aber ich brauche jetzt einfach jemanden. Milo hat mal gesagt, dass Samstage für ihn die schlimmsten sind und das kann ich nur nachvollziehen. Manche sehen in ihnen vielleicht den Start des Wochenendes, doch ich in meinem Gall bin ab Samstag immer alleine. Ein 18 jähriger der dem Samstag damit verbringt im Krankenhaus zu sitzen und seiner, im Koma liegenden, Mutter die Hand zu halten. Ich bin mir sicher, dass ich mir in meinem Alter eigentlich noch keine Gedanken über meine finanzielle Lage machen sollte, jedenfalls nicht in dem Ausmaß... oder?

Mit hochgezogenen Schultern, meinen Händen in den Jackentaschen und einem auf den Boden gesenkten Blick, steige ich aus dem Bus und gehe die letzten Meter zu Fuß.
„Hallo Dennis", sage ich mit einem aufgesetzten Lächeln zu dem Pfleger hinter dem Empfangstresen. Etwas überrascht sieht dieser auf, erfordert mein Lächeln aber freundlich. „Hallo Alex, mit dir hat Oli heute sicher nicht gerechnet", meint er lachend und tippt auf dem Computer herum. „Ja ist eher ein spontaner Besuch, ich hoffe das ist okay", meine ich und mein Lächeln sackt immer weiter ab. „Klar, er ist draußen im Garten. Er wird sich mit Sicherheit freuen", meint er und nickt mir ein letztes Mal zu.

Meinen Opa kann ich schon von weitem lachen hören und bleibe mehrere Meter von ihm entfernt stehen. Ihm geht es großartig hier und anfangs habe ich nicht verstanden wieso. Schließlich hört man nie etwas gutes von Altenheimen und die Vorurteile der Gesellschaft lassen sich nicht leicht abschütteln. Doch nach dem Tod eines geliebten Menschen, ist das schlimmste was passieren kann, dass man alleine ist. Also wirklich komplett alleine. Mein Großvater war nach dem Tod meiner Oma ganz alleine! Denn ich und Mum hatten unsere eigenen Probleme und damit zu kämpfen, dass wir nur noch zu zweit waren. Wir haben dabei außer Acht gelassen, dass mein Opa ebenfalls sein Kind und seine Frau verloren hat. Es war einfach eine schlimme Zeit, aber seit er hier ist geht es ihm großartig. Es gibt Menschen die ihn pflegen, ihm Aufmerksamkeit schenken und ihm das Gefühl geben nicht alleine zu sein.

Ich bin so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie mein Opa auf mich zugekommen ist und mich nun fest in den Arm nimmt. Etwas überrumpelt erwidere ich die Umarmung und lächle ihn dann lieb an. Mit kritischer Miene begutachtet er mein Gesicht, wirft dann einen Blick auf seine Uhr und lässt mich schlussendlich los. „Es ist nicht so, dass ich mich nicht freue dich zu sehen Lexi, aber zum einen ist heute Samstag und zum anderen ist schon recht spät für einen Besuch nicht?", fragt er und ich werfe ebenfalls einen Blick auf die Uhr. 17 Uhr wird mir angezeigt und ich kann mich nicht dazu bewegen zu antworten, stattdessen sehe ich schluckend auf die vor uns liegende Terrasse.
„Ich denke es wird Zeit, dass wir beide reden", meint mein Großvater streng und ich sehe ihm direkt in die Augen. „Ohne irgendwelche Lügen", fügt er hinzu und ich nicke leicht.

„Das tut mir so leid Kleiner", meint mein Opa und nimmt mich so fest es geht in den Arm, nachdem ich ihm von Mum erzählt habe. „Ich werde das schon hinkriegen. In der Nähe von der Schule gibt es eine offene Stelle im Einkaufsladen. Die sollen ganz gut Geld zahlen und wenn das Krankenhaus mir erlaubt in Raten zu bezahlen dann-" „Hast du gerade wenn gesagt?", unterbricht mich mein Großvater und ich sehe auf meine Hände. „Dr. Anderson konnte nich nichts genaues darüber sagen, er will mich anrufen wenn er mit dem Vorsitzenden gesprochen hat", sage ich kleinlaut. „Lexi", beginnt mein Opa ruhig und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Vielleicht wird es Zeit loszulassen", fügt er hinzu und die Worte lösen einen unglaublichen Schmerz in mir aus, gegen welchen ich die ganze Zeit versucht habe anzukämpfen. „Nein!", sage ich bestimmt, aber meine Stimme zittert gefährlich.

„Alex-" „Nein du verstehst das nicht! Wenn ich Mum aufgebe habe ich keinen mehr ich bin alleine!", ich werde lauter und meine Augen beginnen zu brennen. „Du hast mich", versucht mich mein Opa zu beruhigen, doch das hilft ni hat wirklich. „Ich habe dich an einem Tag in der Woche Opa! Die restlichen Tage bin ich auf mich alleine gestellt, soll meinen Schulabschluss schaffen und wofür das alles? Ich habe doch niemanden mehr, wenn ich Mum jetzt auch noch aufgeben muss", die erste Träne kämpft sich aus dem Augenwinkel und wütend wische ich sie weg. „Was ist mit Milo?", die Frage ist sehr vorsichtig von ihm gestellt worden und sarkastisch lache ich auf. „Dem ist unser scheiß Deal doch viel wichtiger gewesen! An mir liegt ihm überhaupt nichts und ich kann langsam nicht mehr", ich achte gar nicht mehr auf meine Worte, sondern lasse ihnen einfach freien Lauf. „Was für ein Deal?" „Es war damals Milos Idee und ich war damit einverstanden. Die Gesellschaft ist voll von Vorurteilen und Verachtung, also wäre es in meiner Schule auch nicht gut angekommen, wenn ich mich da als Schwul oute. Milo ging es genauso und wir haben beschlossen eine ganz unkomplizierte Sache zu starten, einfach nur Sex und keine Verpflichtungen oder Fragen. Einfach nur wirklich guter Sex und dann muss ich es verkacken, indem sich mein Scheiß Herz einmischt-", obwohl ich so im Redefluss bin, beginnt mein Kopf gerade zu verarbeiten was ich gesagt habe und zu wem ich es gesagt habe.

Mit großen Augen sehe ich zu meinem Großvater, welcher mich ebenso geschockt ansieht. Ich habe mich gerade nicht nur das erste Mal ungewollt geoutet, sondern ihm auch noch von meinem Sexleben mit Milo berichtet. „Alex", beginnt er und mein Herz schlägt immer schneller. Panik steigt in mir hoch und ich hoffe auf ein Wunder, als tatsächlich mein Handy beginnt zu klingeln und ich es blitzschnell aus meiner Tasche krame.

Es ist eine unbekannte Nummer, aber ein Retter in der Not.

Unser Geheimnis... (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt