Das kleine Karteikärtchen

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Bonjour! Diese Geschichte habe ich vor etwa einem Monat geschrieben. Was eine Klimageschichte werden sollte ist dann ganz schön eskaliert. Mir ist außerdem erst im Nachhinein aufgefallen, dass der Titel der Geschichte falsch ist. Es wäre besser gewesen, wenn ich die Geschichte "Das kleine Visitenkärtchen" genannt hätte. In meinem Kopf: Karteikärtchen = Visitenkärtchen. Tja.


Unentschlossen blickte Keno auf das kleine, bedruckte Stück Papier. Er hatte die Visitenkarte eines Tages auf dem Weg nachhause gefunden. Auf dem Gehsteig war sie gelegen, unbeachtet, plattgetreten. Die Druckertinte war schon etwas verschwommen, trotzdem konnte man den Namen und die Telefonnummer noch ganz gut lesen. „David Almer – professioneller Problemlöser. Das klang recht vielversprechend, Keno hatte nämlich ein Problem, die ganze Welt hatte eins, ein wirklich großes.

Bevor er sich wieder umentscheiden konnte, wählte er die Nummer. Es tutete. Keno überlegte, wieder aufzulegen, doch schließlich hob sein Gesprächspartner ab.

Nachdem für einen kurzen Moment niemandem klar gewesen war, mit wem er eigentlich sprach, erklärte Keno, dass er eine Visitenkarte gefunden und einfach die Nummer angerufen hatte, die unter dem Namen stand. Die Stimme am anderen Ende der Leitung schien verwirrt. Doch schließlich stellte sich deren Besitzer tatsächlich als David Almer heraus, der Mensch, der auf dem kleinen Papierkärtchen als Problemlöser bezeichnet wurde. Obwohl David immer noch nichts von der Visitenkarte zu wissen schien, entschied Keno, ihn kurzerhand nach einem Treffen zu fragen. Natürlich war ihm klar, dass es nicht klug war, sich mit einem fremden Menschen zu treffen, den man noch nie gesehen hatte, das hatte ihm seine Oma oft genug gesagt, doch sein Problem war groß. Groß und wichtig und bedrohlich und ehrlich gesagt, viel zu kompliziert für einen Jungen wie Keno, der kaum mehr als seine Straße und seine Schule gesehen hatte. David willigte nach kurzem Überlegen ein.

Sie trafen einander vor dem Park und Keno war überrascht, keinen Erwachsenen vorzufinden. Stattdessen stand ein großgewachsener Bub vor ihm, der wohl zwei oder drei Jahre älter sein mochte als er selbst. David streckte ihm die Hand hin, Keno schüttelte sie, nachdem er seine erste Verwirrung besiegt hatte.

Sie kamen ins Gespräch. Der „Problemlöser" wollte wissen, wie der kleine Keno zu seiner Telefonnummer gekommen war. Der Bub holte das Visitenkärtchen aus seiner Jackentasche und zeigte es David. Der runzelte zuerst die Stirn, dann lachte er.

„Okay, Kleiner, dann verrat mir mal, was dich bedrückt. Wie kann ich dir helfen?"

Keno sah David, der ihm eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, an und erzählte ihm von den Dingen, die ihn bedrückten, die er in der Schule gelernt hatte. Die Erde erwärmte sich, es gab immer weniger Bäume und, am schlimmsten war, dass die Tiere starben.

David seufzte tief. Dann sagte er dem kleinen Kerl, dass er ihm da wohl kaum würde helfen können. Keno verstand nicht.

„Aber du bist doch Problemlöser!", sagte er, fast flehend. „Wenn etwas ein Problem ist, dann das! Bitte, kannst du es nicht versuchen?"

Der kleine Bub beobachtete den Jugendlichen, hörte, wie er abermals seufzte. Schließlich nahm er Kenos Hand und begann zu gehen. Der Kleine ließ sich von der Hand des Großen führen.

Eine Weile lang gingen sie einfach nur. Schließlich begann David Keno zu erklären, dass sich die Welt schon sehr lange erwärmen würde und dass zwei, ja, Kinder wie sie, wohl kaum viel dagegen ausrichten würden können. Das verstand Keno nicht, aber er sah ein, dass er sich in David wohl getäuscht hatte. Er war kein Problemlöser, er war einfach nur einer von den Großen.

David fragte ihn, wo er wohnte, Keno verriet ihm die Adresse und ging, immer noch an der Hand des Jugendlichen, nachhause. Als er sein Haus sah, lies er Davids Hand los, läutete an der Tür, umarmte seine Oma, die ihm öffnete, und ging hinein. Er hatte vergessen, sich vom Großen zu verabschieden.

Einen Tag später läutete es an der Tür. Keno hatte gerade auf seinem Bett gesessen und eindringlich das Eisbärenposter an seiner Wand betrachtet, als seine Oma ihn rief. Er ging hinunter und vor der Tür stand David.

„Hey, Kleiner."

Keno fragte ihn, was er hier tat. David streckte ihm ein weiteres Mal seine Hand hin.

„Komm.", sagte er. „Ich hab eine Idee, denke ich."

Kurze Zeit später waren sie auf dem Weg in den Park. Keno wartete darauf, dass David endlich etwas sagte. Schließlich entschied der Kleine sich, das Gespräch selbst anzufangen.

„Also, was ist deine Idee?"

Völlig überraschend kam von David die Frage, ob Keno einen Computer besaß. Der kleine Schüler bejahte das.

„Was tust du, wenn der mal nicht funktioniert?"

Keno überlegte. Dann fiel ihm etwas ein.

„Ich starte ihn neu."

David lächelte. Dann fragte er, was der Bub täte, wenn der Computer zu heiß werden würde. Keno verstand langsam.

„Ich schalte ihn mal für eine Weile aus."

„Manchmal muss Ruhezustand reichen."

Das war Davids Antwort.

Eine Woche später stand der große Jugendliche abermals vor der Tür des kleinen Schülers.

David war mit dem Fahrrad gekommen. Er forderte Keno auf, auf den Gepäckträger zu steigen. Der Bub tat es, ohne zu zögern. Die Nervosität des Großen fiel ihm gar nicht auf.

Sie fuhren, wie Keno schien, recht lange. Schließlich kamen sie zu einer Scheune, es dämmerte schon.

„So, Kleiner, mach's dir gemütlich."

Keno legte sich ins Stroh, er war so müde. Ihm fielen die Augen zu.

Als er wieder erwachte, saß David neben ihm. Er sah irgendwie zufrieden aus.

„Gut geschlafen?"

Keno nickte, dann fiel ihm seine Familie wieder ein. „Ich muss nachhause."

David seufzte. Er erklärte dem Kleinen, dass er ein Zeichen setzen wollte.

„Ein Zeichen?"

Der Jugendliche erklärte ihm, dass man Aufsehen erregen musste, wenn man etwas sagen wollte. Keno verstand nicht ganz, aber er bohrte nicht weiter nach.

David telefonierte häufig, er drohte, wenn man nicht den Flugverkehr reduzieren würde, würde Keno etwas zustoßen. Wenn man nicht die Spritpreise erhöhen würde, würde Keno sterben. Wenn man nichts täte, um den Klimawandel zu bremsen, würde niemand Keno je wiedersehen.

Zwei Tage später standen plötzlich Polizisten vor dem Scheunentor.

Keno wurde nachhause gebracht, doch er wehrte sich, er sagte, man müsse die Welt retten. Er sagte alles, was David ihm gesagt hatte, dass wichtig wäre. Weniger Abgase, weniger Müll. Irgendwann hörten sie dem Kleinen zu, der schrie, als sie David abführten.

Die Welt wurde ein kleines bisschen pausiert. David hatte der Erde Zeit erkauft, zum Preis seiner Freiheit.


PS.: Mir ist grad aufgefallen, dass eine der Hauptpersonen dieser Geschichte so heißt wie die Hauptperson von Nox-Lux-Vox. Ups, ich bin sehr kreativ mit Namen. Haben wir ja bei den Kontaktgeschichten schon gesehen. XD

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