chapter nineteen

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Am nächsten Morgen packte ich schon früh meine Sachen. Die Ärzte gaben mir die Erlaubnis das Krankenhaus zu verlassen und so wartete ich ungeduldig auf Kai. Kann der Typ nicht einmal pünktlich sein? Seufzend setzte ich mich auf eine Parkbank und entsperrte mein Handy. Ich durchflog die Push-Nachrichten, die sich in den letzten Stunden angesammelt hatten und schmunzelte über ein paar Aussetzer meiner Mitspieler. Endlich – es waren gefühlte 60 Stunden vergangen – kam mir ein blauer Sportwagen entgegen. Kai fuhr die Beifahrerscheibe hinunter und nickte mir zu. „Alles klar, Bro!" Ich nickte kaum merklich mit dem Kopf zurück und stieg ein.

Die Fahrt verlief relativ schnell und ohne Stau. Kai erzählte mir von seinem Training und bezog sich auf mehrere seiner Spiele, wo er mal wieder krass gespielt hatte. Ich hörte ihm kaum zu. Ich hatte seit meinem Unfall kein Fußballspiel mehr geschaut, wenn überhaupt nur in den Liveticker geguckt. Deshalb wusste ich auch nicht, wie Kai in seinen Spielen gespielt hatte. Da er aber so übereifrig und pausenlos prahlte, konnte ich ihm kaum die Wahrheit sagen. Ich konnte enttäuschte Gesichter noch nie gut sehen.

Als wir bei mir zu Hause ankamen, sah ich schon, dass sich Jannis während meiner Abwesenheit um gar nichts gekümmert hatte. Der Vorgarten war nicht gemäht, der Grill stand nicht unter der Überdachung und war deshalb schon rostig. Als ich die Tür aufschloss bekam ich schon ein unangenehmes Kribbeln in der Nase. Klar, Jannis hatte wahrscheinlich nur gesaugt – wenn überhaupt - und nie gewischt oder mal Staub geputzt. Wird Zeit, dass ich mal wieder die Kontrolle über unser Zuhause bekomme, dachte ich mir.

Da ich nicht wusste, ob Jannis zu Hause war, rief ich „Moin. Ich bin wieder da." Keine Reaktion, also war ich allein. Ich war kurz davor, Kai anzurufen, ob er nachher kommen will, wenn ich ausgepackt hatte, bis mir wieder einfiel, dass er mit Sophia verabredet war. Deshalb nahm ich meine Tasche und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Hier sah es noch genauso aus, wie ich den Raum verlassen hatte. Das Bett stand am Fenster, der Gaming-Tisch passte perfekt unter die Schräge. Gegenüber dem Bett befand sich mein Kleiderschrank und auf der linken Wand war ein Schrank mit all meinen Erinnerungen aus meiner Kindheit oder von Urlauben.

Ich stopfte meine Tasche in den Kleiderschrank, da ich gerade keine Lust hatte, zur Waschmaschine zu gehen und ging zu meinem Nachttisch. Ich würde es nachher berufen, aber das war mir gerade egal. Ich war so froh, wieder zu Hause zu sein. Auf der Ablage lag ein goldener Bilderrahmen, verziert mit einem Blumenmuster. Ich hatte ihn vor einigen Jahren von meiner Mutter geschenkt bekommen. „Behalte den Bilderrahmen in Ehren. Irgendwann wirst du ein Bild finden, was perfekt in diesen Rahmen passt.", hallte die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf wieder. Und ja, ich hatte ein Foto gefunden. Es zeigte Vivi und mich mit einem Esel in der Hand. Das Foto war bei einem unserer ersten Dates aufgenommen worden und ich wusste noch, wie aufgeregt sie gewesen war. Glücklich ging ich mit meinem Finger unsere Umrisse nach. So wie sie da gelächelt hatte, lächelt sie heute nicht mehr.

Und da kam sie wieder, meine Traurigkeit. Seufzend stellte ich das Bild zurück an dessen Platz und verließ mein Zimmer. Ich überlegte, was ich als Ablenkung machen könnte. Leider fiel mir nichts besseres ein, als zu putzen. Irgendwann muss ich es eh machen, dann kann ich es auch bei schlechter Stimmung machen.

Eine Stunde später war ich außer Atem, aber glücklicherweise auch fertig. Die Ärzte im Krankenhaus hatten mir gesagt, dass ich mit herben Verlusten meiner Ausdauer und Fitness rechnen musste und leider merkte ich das schon jetzt. Wie soll ich denn wieder Fußball spielen, wenn ich noch nicht mal ein Putztuch ein paar Minuten lang über Möbel fliegen lassen kann. Meine Gedanken wurden von der Türklingel unterbrochen.

Nanu, hat Jannis jetzt doch endlich den Weg nach Hause gefunden? Ich öffnete die Tür und sah Anne vor mir stehen. Enttäuscht schaute ich sie an, da ich gehofft hatte, dass Jannis sich vielleicht mal nach dem Befinden seines Bruders erkunden möchte. Meine Enttäuschung wurde allerdings schnell durch Verwirrung vertrieben, da mir klar wurde, dass Anne vor der Tür stand. Vivi's beste Freundin. Sie wusste, dass Vivi in der Schule war, was wollte sie von mir?

„Hhhallo, ähm, hi, was gibt's?" Anne's Blick war Ernst und sie sagte „Ich wollte kurz mit dir reden. Kann ich rein kommen oder störe ich?" Verwundert sagt ich „Klar, du kannst reinkommen!" und führte sie ins Wohnzimmer. „Ich wollte mit dir über Vivi reden. Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist, aber sie hat sich in letzter Zeit so krass verändert. Sie redet kaum noch, lächelt eigentlich nie und wirkt so gehetzt. Jedes Mal, wenn man sie anspricht, hat man Angst, dass sie gleich aus der Hose springt, denn das ist einigen Kollegen schon passiert. Das Schlimmste ist, sie will uns nicht sagen was los ist. Wenn wir sie das fragen, dann fährt sie uns an und behauptet, dass nichts sei. Aber wir wissen alle, dass es ihr scheiße geht. Ich habe aber Angst, dass sie irgendwann ihre Probleme nicht mehr stemmen kann. Weißt du, was sie hat?"

Anne's Monolog endete und ich musste erstmal schlucken. Klar war mir aufgefallen, dass es ihr nicht gut ging, aber das es so schlimm sei. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in meinem Körper aus und meine Glieder verkrampften. Ich antwortete Anne ehrlich. „Ja, mir ist auch aufgefallen, dass es Vivi nicht so gut geht. Sie ist sehr blass und angespannt. Aber das es so schlimm ist, dass wusste ich nicht. Ich werde gleich mit ihr reden und dann hoffentlich eine Antwort aus ihr herausbekommen. Danke dir auf jeden Fall fürs Bescheid geben!"

Anne lächelte mich an und schaute dann kurz auf die Uhr. „Oh, ich sollte mal fahren. Ich hatte heute ne Stunde früher Schluss als Vivi, aber irgendwann wird sie auch kommen. Ich hoffe, du erreichst mehr bei ihr. Wenn ja, du kannst mich ja auf Insta anschreiben, dann können wir uns über den Stand der Dinge austauschen."

Ich begleitete Anne zur Tür und nickte ihr nach. Schleunigst ging ich zur Kaffeemaschine, um mir eine Stärkung zu holen. Die brauch ich auf jeden Fall, egal was Vivi bedrückt.

To all the girls I've loved beforeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt