4. Eine neue Welt

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(POV. Karma)

Der erste Tag diente als Eingewöhnung. Wir sahen uns in der Wohnung um - auch wenn wir unterbewusst natürlich wussten wo alles war, schließlich lebten wir schon seit zwei Jahren zusammen, heh, und inspizierten unsere neuen Körper.

Ich mochte mich als Mensch. Mein Blut war rot, nicht silber und meine Narben waren viel harmloser als bei meiner richtigen Gestalt. In dieser Welt war Dad auch nur ein Mensch. Seine Möglichkeiten waren begrenzt.

Und was Nagisa anging . . . es überraschte mich, dass wir in derselben Klasse waren. Das sagten die Schülerausweise zumindest.

Als ich ihn danach fragte, sagte er, er sei sechzehn. Also genau so alt wie ich.

Was für ein angenehmer Zufall.

,,Majestät."
Ich sah auf. Nagisa stand mit gestrafften Schultern vor mir.
Belustigt lehnte ich mich an die Fensterbank. ,,Du musst mich duzen. So kannst du mich hier nicht nennen. Nenn mich besser gar nicht mehr so."

Er nickte zögerlich. ,,Okay."
Tja, jetzt war er wieder nur eine langweilige Schlange, gehorsam wie eh und je. Schade.

,,Was ist?", hakte ich nach.
,,Also, die Zielpersonen, ich glaube, sie sind unsere Klassenkameraden. In der Klassengruppe auf meinem Handy sind die Namen Manami Okuda und Kayano Kaede eingespeichert. So hießen sie doch, oder?"

,,Ja. Gut, dass du es gesehen hast. Das Portal hat sich also was dabei gedacht, uns in diese Loserklasse zu stecken. Okay, was haben wir morgen für Stunden?"
,,Englisch, Naturwissenschaften und eine Doppelstunde Japanisch", ratterte er herunter, ohne überlegen zu müssen.

Wunderbar.

Japanisch - mein Hassfach,
Naturwissenschaften - sein Hassfach.

Einfach wunderbar.

Nagisa schien trotzdem Lust zu haben. Ob er jemals in einer Klasse unterrichtet worden war? Eher nicht. Die Schlange war bekannt für ihr abgeschottetes Leben, und Nagisa hatte noch nie einen richtigen Menschen gesehen.

Als würden wir den Gedanken teilen, trat er verlegen von einem Fuß auf den anderen und murmelte dabei was von Menschen und Umfeld.
,,Was?", fragte ich.

Er sah nervös auf. ,,Darf . . . ich raus gehen? Ich würde den Ort hier gerne besser kennenlernen."
Ich zog die Schultern hoch. ,,Klar."

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Während wir herum spazierten, die Sonne warm auf meine Haut schien und aus jedem Baum Vögel zwitscherten, spürte ich, wie gut es mir ging. Im Totenreich gab es keine Sonne.

Natürlich war es nicht stockdunkel, es gab die hellen Feuer der Verdammnis und große Laternen. Aber unter der Herrschaft meines Vaters waren viele dieser Lichter erloschen und es war üblich, sich in düsterem Nebel zu bewegen.

Deshalb gab es auch kein Wetter. Weder Wind, noch Regen, Schnee, Gewitter oder andere Naturwunder. Die Menschenwelt war viel lebhafter als die Totenwelt. Naja, offensichtlich.

Nagisa war von den neuen Sinneseindrücken regelrecht begeistert. Sein Kopf drehte sich in jede Richtung, um alles Unbekannte in sich einzusaugen und als wir in einem Sushi Restaurant zu Abend aßen, sprach er später immer wieder von dem leckeren Essen.

Kaum zu glauben, dass wir uns heute morgen erst kennengelernt hatten. Seine unerwartet lockere Art und die freundliche Seite, die er mir mehr und mehr offenbarte, setzten einen erstaunlich netten Charakter unter dem kalten Killer frei.

Ich merkte, dass es mir schwerer fiel ihn nicht zu mögen. Wahrscheinlich waren die falschen Erinnerungen daran Schuld. Wir gingen plötzlich viel vertrauter miteinander um.

Durch die Hölle mit dir - KarmagisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt