11. Sing for me~

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Fakt war: Sugino konnte nicht singen. Genauso wenig wie Maehara, Rio und Kanzaki. Warum wir dann ausgerechnet in eine Karaokebar gingen, war mir echt ein Rätsel.

,,Was ist mit dir Nagisa? Und Karma?", fragte Maehara mit heiserer Stimme, nachdem er wie die anderen wunderbar schief und krumm Titanium gebrüllt hatte.

Ich sah von meinem Handy auf. ,,Alles gut."
Als hätte er die Antwort erwartet, wandte er sich direkt Nagisa zu.
Der seufzte. ,,Okay. Aber nur wenn jemand mitmacht."

Erneut lagen sieben Augenpaare auf mir. Ich schüttelte gelangweilt den Kopf, ohne vom Handy aufzusehen.
,,Wieso bist du dann hier, wenn du nicht mitsingst?", fragte Kayano.
Ich warf Nagisa einen zweifelnden Blick zu. ,,Das frag ich mich auch."

,,Komm schon, Karma, das macht bestimmt Spaß", antwortete der und hielt mir ein Mikrofon hin. ,,Bitte?"
Genervt nahm ich es entgegen. ,,Okay! Okay."

,,Das wird lustig", versprach er.
Ich bezweifelte es. Karaoke mochte ich noch nie. Alles daran war fremdschämend.
,,Wie wär's hiermit?" Kayano deutete mit der Fernbedienung auf einen Song.

Bye bye Yesterday.

Den kannte ich. Widerwillig rang ich mir ein Nicken ab und auch Nagisa stimmte zu.
,,Wir brauchen noch zwei Personen. Also, wer will?", fragte Isogai in die Runde.

Jeder meldete sich, er eingeschlossen.
,,Dann singen manche ohne Mikro", entschied er. Wir quetschten uns vor den Bildschirm und versuchten alle so viel wie möglich davon zu sehen.

,,Ich mach's jetzt an", gab Isogai Bescheid. Ich seufzte theatralisch und wurde von allen Seiten mit aufdringlichen Pssst! Geräuschen verstummt. Konnten sie jetzt alle schlängelisch?

Als die ersten Zeilen begannen, war ich aber doch überrascht – ich hatte erwartet, dass es unangenehm werden würde, allerdings gefiel den anderen das Lied so sehr, dass sie mich ein wenig anstecken.

Ich lachte, als Maehara von hinten auf meinen Rücken sprang und den Refrain in mein Ohr ratterte. Durch das Mikrofon hatte ich nur eine Hand frei, um ihn Huckepack zu nehmen, aber ich schaffte es, gerade so.

Und Überraschung, Nagisa sang überhaupt nicht schlecht, im Gegenteil. Seine Samtstimme glitt stetig mit und verfehlte keinen Ton. Allerdings irritierte mich die Art wie er und auch der Rest der Gruppe aussahen. Verwirrt und genervt zugleich.

Als die letzten Akkorde verklangen, rutschte Maehara von meinem Rücken herunter. Selbst ohne Mikro war er lauter als wir alle gewesen.
Er schüttelte mich. ,,Du hast echt Nerven, Akabane!"
,,Du kannst doch singen!", führte ihn Isogai weiter aus.

Ich schnaubte. Natürlich kann ich das. Ein Dämon der nicht singen kann, ist unattraktiv.

,,Welches Lied als nächstes?"
,,Das da! Ich liebe die Sängerin!"
,,Okay. Hey, wo gehst du hin, Karma?"
Keiner trat beiseite, als ich ihnen mit ein wenig Gedrängel vermittelte, mich durchzulassen.

Ich zuckte die Schultern. ,,Zurück zum-"
,,Klappe", kam es von Sugino und Maehara.
Die anderen nickten zustimmend und drehten mich wieder zum Fernseher.

Nach dem fünften Song hatte ich wirklich keine Lust mehr. Ich legte meine Hände auf Okudas Schultern und schob sie sanft beiseite. Natürlich errötete sie sofort.
Ich lächelte sie an. ,,Du kannst gut singen."

Wenn auch nicht besser als Blaubeerchen.

Ihre Augen leuchteten auf.
,,Dankeschön . . . Du kannst es aber viel besser als ich", sagte sie verlegen.
,,Nein, nein, wirklich nicht", stritt ich ab und drückte sie immer weiter aus dem Weg, bis ich endlich durchgelassen wurde.

Vielleicht sollte ich öfter nett sein.

Die anderen gaben mich ebenfalls auf und starteten den nächsten Song. Dieses Mal stürzte sich Maehara auf Isogais Rücken. Er hatte also so schnell Ersatz für mich gefunden . . . Verräter.

Ich machte es mir auf der Couch gemütlich und lachte, während ich die Unordnung auf der Singfläche beobachtete.

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Wir gingen erst nach Hause, als es dunkel war. Nagisa und ich begleiteten - wie wahre Gentleman eben - Okuda und Kayano zurück. Draußen war es immer noch warm.

Ich liebe es, nachts spazieren zu gehen . . . Allgemein die Nacht.

Wohlig schob ich die Hände in meine Jackentaschen. Nagisa ging neben mir her und sah verträumt auf den Weg. Komisch, wie angenehm dieses Kribbeln in meinem Bauch war. Verknallt zu sein war außergewöhnlich.

,,Okuda, du wohnst zwei Straßen weiter von hier, oder? Karma bringt dich hin, ich bringe Kayano", sagte Nagisa plötzlich und blieb stehen.

Bevor ich protestieren konnte, nahm er schon Kayanos Hand und bog in eine Straße ab. ,,Okaaay, Master."
Genervt stieß ich Luft aus und drehte mich wieder um. ,,Tut mir leid. Du musst mich nicht begleiten", entschuldigte sich Okuda schnell.

Ich winkte ab. ,,Schon gut, es macht mir nichts aus. Wer soll dich denn sonst vor Kriminellen beschützen?"
,,Bist du hier nicht der Kriminelle?", rutschte es ihr heraus.

Verblüfft hob ich den Kopf. Mir entkam ein begeistertes Lachen. ,,Wieso?"
Sie sah nervös zur Seite. ,,Schlägst du dich nicht oft mit anderen?"

Oh, das meinte sie. Ich hatte die Hoffnung gehabt, dass das eine Anspielung auf meine Dämonengestalt war. Aber selbst wenn, sie hatte sich viel zu schnell wieder herausgeredet. Mann, das war doch langweilig.

,,Ab und zu", sagte ich enttäuscht und danach blieb es eine lange Zeit still zwischen uns. Jedenfalls bis wir ein Haus erreichten, dessen Vorgarten als einer der wenigen mit Laternen beleuchtet wurde.
,,Wir sind da", sagte Okuda.

,,Gut, schaffst du die fünf Meter ohne entführt zu werden oder soll ich dich bis zur Tür begleiten?", fragte ich und rieb meine Augen.
,,Ich schaffe das schon", kicherte sie. ,,Danke, dass du mich hergebracht hast."

Sie umarmte mich zum Abschied. Der intensive Geruch von Parfum schlug mir entgegen.
,,Ja, klar. Komm gut nach Hause."
,,Du bist echt verrückt."
,,Nur nett", verbesserte ich sie.

Schrill kichernd löste sie die Umarmung. ,,Komm – komm du auch gut nach Hause. Bis morgen!"
,,Ja, tschüss."
Ich drehte mich weg und schnappte nach Luft. Hinter mir fiel die Haustür zu.

Ich hätte sie jeden Moment umbringen können.

Und sie? Wie oft war sie kurz davor gewesen, mich zu töten? Oder wusste sie tatsächlich nicht, dass ich ein Mörder war? War sie so ahnungslos?

Durch die Hölle mit dir - KarmagisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt