30. Panikattacke

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(POV. Karma)

Majestät, ich möchte Euch meine Tochter vorstellen.

Majestät, wann öffnet Ihr ein neues Portal?

Majestät, eine Seele ist entwischt . . .

Majestät, auf der Erde gab es Engelsaktivitäten!

Majestät, ich fordere ein Duell.

Majestät, wo bleibt Euer Nachfolge?!

Majestät, ich will mich mit einem Menschen paaren.

Was für ein Haufen Idioten. Ich war erst drei Tage König und mir gingen schon alle auf den Sack. Kein Wunder dass mein Dad wahnsinnig wurde.

Es blieb keine Freizeit mehr. Wenn ich nicht auf meinem Thron saß und den sinnlosen Anliegen der Bewohner zuhörte, widmete ich mich meinen Pflichten oder kümmerte mich um die Opfer meines Vaters.

Es waren weitaus mehr als gedacht. Lag vielleicht daran, dass das Herz beim Rest nicht mehr so lebendig in der Brust klopfte.

Ich hab nicht mal in Betracht gezogen, dass er Tote einfach verwesen lässt, ohne sie zu begraben.

Und ausgerechnet jetzt konnte mir Nagisa nicht beistehen. Ich hatte gedacht es wäre eine gute Idee, ihn zu isolieren, um mich auf meinen neuen Ruf zu konzentrieren. Aber meine Gedanken waren irrationaler als sonst.

Ich wollte unbedingt seine Hand halten, mich über alles beschweren und seiner empathischen Meinung zuhören. Aber er war nicht da und es war meine eigene Schuld.

---

In der Nacht auf den vierten Tag weckte mich Nagisas Herz. Es beschleunigte sich so plötzlich, dass ich hochfuhr. Ich bekam Gänsehaut und konzentrierte meine ganze Wahrnehmung auf ihn.

Er hockte auf der Bettkante und zitterte wie unter Strom. Sein Körper strahlte eine Todesangst aus, doch am meisten triggerten mich seine Bewegungen. Er drückte rhythmisch seine Hände gegen seine Brust, als versuche er, sich selbst zu beleben.

Alarmiert legte ich den Zeigefinger an meinen Kehlkopf. „Seht nach ihm, sofort!"
„Ja", ertönte es in meinem Kopf.
Ich biss unruhig die Zähne zusammen, während ich verfolgte, wie ein zweiter Herzschlag den Raum betrat.

„Karma?", brachte Nagisa heraus.
„Ich bin's", sagte der Dämon.
„W-Wo ist er?!"
„Er macht sich Sorgen um dich."
„Huh?!"

Es war, als würde er hören, was der Dämon sagte, ihn aber nicht verstehen. Irgendwie tat es mir weh, wie panisch er das Zimmer absuchte. Ich wollte ihm helfen.

„Was hat er?", fragte ich gestresst.
„Ich glaub ne Panikattacke", flüsterte der Dämon zurück. „Was soll ich machen?"

„Rede mit ihm", antwortete ich. „Du musst ruhig bleiben. Mach Atemübungen vor oder so, er hyperventiliert. Sag ihm . . . sag ihm, dass ich ihn sehe und das alles okay ist."

Ich errötete. Wie peinlich.

Er kniete sich vors Bett und tat wie gesagt. Anfangs schien es überhaupt nichts zu nützen, doch dann normalisierte sich Nagisas Herzschlag ganz langsam wieder. Schweißgebadet klammerte er sich an die Decke und unterdrückte ein Schluchzen.

„Ich glaube das reicht. Du kannst gehen", sagte ich heiser.
Der Dämon stand auf und schlich aus dem Zimmer. Nagisa verharrte in der Position, bis er sich zur Seite kippen ließ und seine Emotionen nicht mehr zurückhielt.

Ich blieb wach, bis er eingeschlafen war. Dabei fragte ich mich, was er eigentlich so toll an mir fand. Ich hatte ihm die schlimmste Strafe überhaupt auferlegt, ihn verspottet und ausgelacht, und trotzdem war es ausgerechnet mein Name, den er im Schlaf flüsterte.

Wieso? Wieso??

Ich zwang mich dazu, an was anderes zu denken. Schlafen konnte ich nicht mehr. Also kletterte ich aus dem Bett und machte einen Nachtspaziergang. Durch die Gegend. Vielleicht ein bisschen zu weit.

Fünf Minuten. Er wird nicht aufwachen. Fünf Minuten.

Abwägend starrte ich auf die Tür, zu der mich meine Füße wie im Automatic-Mode getragen hatten. Ohne ein Geräusch schlich ich hinein und konzentrierte mich erneut auf Nagisas Herz. Ruhig. Er schlief tief und fest.

Fuck, ist dieser Junge süß.

Wie eine Katze hatte er sich eingerollt - die Beine angezogen, das Gesicht unter den Armen verborgen. Ich küsste ihn leicht auf die Schläfe und zog meine Jacke aus. Vielleicht beruhigte es ihn, wenn ich sie hier ließ.

(POV. Nagisa)

Der Geruch von Zuhause umhüllte mich. Augenblicklich kuschelte ich mich in den fremden Stoff auf meinen Schultern und atmete tief ein. Ein leises Schnauben war zu hören.

Ich riss die Augen auf, denn dieses Geräusch würde ich überall wiedererkennen. „Kar-"
Zwei Hände legten sich auf mein Gesicht, die eine auf meinen Mund, die andere auf meine Augen. „Kein Wort. Bleib ruhig."

Ich nickte widerwillig. Ich wollte ihn sehen!

Erst passierte nichts, dann spürte ich, wie sich ein warmer Körper an meinen schmiegte. Er zog mich an der Taille zu sich und hauchte: „Ausnahmsweise."

Seine Stimme versetzte mich in eine verschlafene Aufregung. Ich schlang meinen Arm um seinen Hals damit er nicht wegging und war froh, als er es auch nicht vorhatte.

Jetzt fühlte ich mich so gut. Keine Ahnung, was vorhin los gewesen war. Mein Herz hatte plötzlich so gerast, als könnte es mich nicht mehr am Leben halten. Meine Gedanken waren wie verknotet. Ich dachte, ich sterbe.

Und jetzt brauchte es diese eine Hand, die über meine Brust strich, und alles war weg. Ich liebte ihn so sehr, dass es in meiner Brust wehtat. Als hätte Karma mit einem Liebespfeil direkt auf mein Herz gezielt — und getroffen.

Ich träumte von ihm. Wie früher schlenderten wir durch die endlosen Pfade der Unterwelt, vorbei an Feuern und mysteriösen Gestalten. Aber dieses Mal war es anders.

Wir erreichten eine Klippe, an dessen Grund die Seelen brannten, und Karma blieb stehen und drehte sich um. Er sah mich direkt an, mich allein. Wir lächelten uns still an.

Dann breitete er seine Flügel aus, als glaubte er, mir dadurch entkommen zu können, hob die Arme und ließ sich nach hinten fallen. Die Flammen verschluckten ihn in einem Happen.

Und ich folgte ihm. Ich konnte nicht anders. Mein Körper setzte sich in Bewegung und ich sprang kopfüber von der Klippe. Gerade, als sich die hungrigen Feuerzungen auch nach mir ausstreckten, wachte ich auf.

Es war Morgen, das Bett war kalt. Karma war weg. Einzig und allein seine Jacke, die auf meinen Schultern lag, zeigte mir, dass ich sein unerwartetes Eintreffen nicht auch geträumt hatte.

Scheiße!

Karma war da gewesen. Er war hier gewesen. Jetzt könnte ich mich dafür schlagen, ihn nicht stärker festgehalten zu haben. Hätte ich doch wenigstens versucht, länger wach zu bleiben!

Wieso bin ich so dumm und schlafe einfach wieder ein?

Ich wälzte mich frustriert durchs Bett. Die Jacke plumpste auf den Boden. Aus Angst, sie würde dreckig werden, mutierte meine Hand zu Flash und hob sie schnell wieder auf.

„Wieso machst du das?", flüsterte ich ihr zu. Tränen stiegen in meine Augen und plötzlich kochte ich vor Wut.

SCHEIßE!

„Tut mir leid, dass ich dich verraten hab, okay? Ich wollte dich beschützen!", verteidigte ich mich, weil ich mich grundlos angegriffen fühlte. „Ich wusste nicht, dass du auf meiner Seite bist, ich dachte, du würdest mir niemals helfen! Deshalb hab ich's dir nicht gesagt! Es tut mir leid! Ehrlich!"

Es war viel zu still. Dieser kahle Raum antwortete mir nicht und die Wände schienen mich eigenhändig zu erdrücken. Egal wie sehr ich ihn anflehte, Karma kam nicht.

Durch die Hölle mit dir - KarmagisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt