32. Hörst du es?

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(POV. Nagisa)

Wir setzten uns nach draußen, auf eine Bank in der Nähe der Flammen. Die Raucherluft war hier stärker und das Geschrei lauter, aber im Gegensatz zu mir legte Karma zufrieden den Kopf zurück und schloss die Augen. Das würde ich wohl nie an ihm verstehen.

„Kennst du diesen Ort?", fragte er.
„Ja, natürlich."
Seine Lächeln wurde schmaler. „Weil . . . ich oft hier war?"
„Uhm. Zum Teil."

Warum fragt er mich das?

Er grinste und ging sich mit beiden Händen durch die Haare. Das Feuer warf flackernde Schatten auf sein Gesicht, sodass es in der Dunkelheit so aussah, als würde es leuchten.

„Ich hab mir was überlegt."
„Aha?"
„Ich will die Totenwelt verändern. Mein Vater hatte keinen Geschmack und es macht mich fertig, an diesem Schrottplatz zu leben. Außerdem wäre es eine nette Abwechslung von den ganzen Leichen."

Er sah mich seufzend an. „Deshalb dachte ich, wir könnten das vielleicht zusammen machen. Du musst mir nur sagen, was du ändern willst."
„Egal was?"
„Egal was."

„Also, es wäre schön, wenn die Luft sauberer wäre. Oder wenn hier ein paar Laternen ständen, wie bei den Menschen. Dann wäre es nicht so . . . düster."

Ich musste gerade reden. Besagte Dunkelheit hatte es mir möglich gemacht, ihm mühelos folgen zu können, monatelang. Aber jetzt brauchte ich sie nicht mehr.

„Hier standen Laternen", sagte Karma und deutete auf eine verrostete Stange einen Meter von uns entfernt. „Die meisten sind erst erloschen, als sich die Psyche meines Dads verschlechtert hat."
„Er war gar nicht immer so?"
„Nein."

Mehr sagte er nicht. Ich konnte mir vorstellen, wie schlimm es sein musste, wenn der eigene Vater dem Wahnsinn verfiel. Jahr für Jahr, mehr und mehr. Ob er Karma überhaupt so wehtun wollte?

„Ich hab ne Idee", schreckte er mich auf und ging auf die Brandstelle zu. „Flammen der Verdammnis sind ewig. Wenn ich ihre Energie für Laternen benutze, ist es egal, was mit mir passiert, sie erlöschen nicht."

Seine Augen leuchteten. „Ich muss nur . . ."
Er streckte die Hand aus und fasste geradewegs in eine Seele, deren Kreischen noch lauter wurde als vom Rest.
„Sieht sie dich?", fragte ich leise. „Hört sie, was wir sagen?"

„Ja. Es ist für sie wie ein Alptraum", erklärte er. „Und du solltest aufpassen. Wenn man zu lange in ihrer Nähe steht, ziehen sie einen ins Feuer."
„Dann komm da weg!", keuchte ich.

„Geht schon", sagte er gelassen und nahm seine Hand zurück. Ein scharfes Geräusch entfuhr mir. Seine Haut war von goldenen Brandwunden übersät. Das alles nur für eine klitzekleine Flamme, die jetzt über seiner Handfläche schwebte.

„Ich- ich dachte, du bist immun gegen Feuer?", stammelte ich und war empört, als er lachte.
„Bin ich. Aber bei diesem Feuer ist es anders. Es ist dazu da, alles zu zerstören."

Ich musterte die Flamme über seiner Hand und trat einen Schritt zurück. „Zerstört sie dich dann nicht jetzt gerade?"
Er nickte. „Es ist nicht so schlimm wie's aussieht. Heute Abend ist es verheilt."

Karma war gut darin, seine Schmerzen zu verstecken. Er drehte sich um und ging zurück, doch ich sah genau, wie die Adern an seinem Handgelenk hervortraten.

„Wenn man ignoriert, wie heruntergekommen die Stange aussieht, müsste es ganz gut aussehen", nickte er zu sich selbst.

Seine Flügel machten einen kräftigen Schlag und er befand sich auf Höhe der Leuchte, in welche er seine Hand schob. Die Flamme knabberte am verkohlten Docht und nistete sich langsam in der Lampe ein.

Durch die Hölle mit dir - KarmagisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt