Wut

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Ich war wütend. Wirklich wütend. Mit angespanntem Gesicht blickte ich durchs Fenster auf die Straße, in der Hand hatte ich das Stück Papier von Catri. Ich hatte mich auf einen gemeinsamen Abend gefreut, doch als ich nach Hause kam, lag nur der Brief auf dem Esstisch. Catri war weg, wieder einmal. Diesmal hatte sie es aber nicht mal für nötig gehalten mich vorher darüber zu informieren. Ich krampfte meine Hand enger um den Briefbogen. Was sollte das? Ich drückte die Faust gegen das Fenster und ließ meine Stirn auf ihr ruhen. Es war bereits seit ein paar Stunden dunkel, der Herbst hatte Berlin inzwischen vollständig im Griff. Die Blätter, die jetzt noch an der großen Kastanie vor unserem Wohnhaus hingen, würde der Wind ebenfalls davon tragen. So wie er ebenso Catri mal wieder fortgetragen hatte. Ich schaute den Blättern zu, die der Wind vom Boden aufsammelte und einige Meter emporstiegen, ließ, um sie mit dem nächsten Abebben der Böen erneut auf dem Asphalt aufschlagen zu lassen.
Ich dachte an das erste Treffen mit Catri zurück. Damals hatte sie studiert und in einem kleinen Café im Prenzlauer Berg gekellnert. Zu der Zeit hatte ich meine Boutique eröffnet. Diese lag unweit des Cafés und ich verbrachte viele Mittagspausen mit meiner Geschäftspartnerin und besten Freundin Vera im „BerlinerBerg". Sie war mir schon kurz nach der Eröffnung meiner Boutique aufgefallen. Sie stand eines Vormittags bewaffnet mit einer Kamera und einem Notizblock in unserem kleinen Geschäft, da sie eine Reportage für die Uni schreiben wollte. Unseren Laden hatte sie sich ausgesucht, da wir ausnahmslos Stücke von queeren Designer*innen ausstellten und verkauften. Catri erzählte damals, dass sie Journalismus studierte und nebenbei für ein kleines Berliner Magazin schrieb. In diesem sollte unsere Boutique nach Möglichkeit in einem Artikel erwähnt werden. Für Vera und mich war es eine willkommene, kostenlose Werbung. Wir willigten in Fotos und einem kleinen Interview mit uns beiden als Inhaberinnen ein. Noch bevor sich Catri erneut mit der Antwort ihres Redakteurs melden konnte, traf ich sie zwei Tage später im Café. Wir erkannten uns sofort und plauderten, so wie es der Betrieb zu ließ, miteinander. So war der Grundstein für unsere Beziehung gelegt.
Ich merkte, wie mir Tränen über die Wangen liefen. Unser erstes Zusammentreffen war mittlerweile fünf Jahre her. Catri hatte ihr Studium inzwischen abgeschlossen und arbeitete für ein großes Magazin, das national verlegt wurde. Schon während ihres Studiums hatte sie begonnen, Geschichten zu recherchieren. Die Arbeit im Café war dabei von großem Nutzen. Wann immer sie an den Tischen interessante Themen belauschen konnte, klemmte sie sich dahinter und recherchierte. So waren ihr noch im Studium einige kleinere Enthüllungen gelungen. Diese waren zwar damals nicht unter ihrem Namen erschienen, doch oft durfte sie in größeren lokalen Zeitungen ihre Artikel lesen. Ihre Universitätsprofessorin hatte dabei einen nicht unerheblichen Anteil. Für Prof. Dr. Agnes Lehmann, Professorin für Journalistik an der Berliner Universität, war Catri ein ungeschliffener Diamant. Oft erzählte Catri am Abend auf dem Sofa von ihrer Professorin. An diesen Abenden hatte ich mich oft gefragt, ob Agnes Lehmann allen ihren Studenten so viel Aufmerksamkeit zukommen ließ. Oft genug hatte sie Catri selbst mit einigen Informationen zu Themen, die Catri in Artikeln behandeln wollte, gefüttert. Die Frau schien über ein schier unendliches Netzwerk an Kontakten zu verfügen. So war es kein Wunder, dass Catri direkt nach ihrem Abschluss eine gut bezahlte Stelle bei dem großen Magazin bekam. Auch hier hatte Agnes Lehmann ihre Kontakte spielen lassen. Nicht nur einmal hatte ich eine zarte Eifersucht verspürt, wenn Catri abends voller Begeisterung und mit glänzenden Augen über ihre Professorin sprach. Natürlich hatten die beiden nach dem Abschluss des Studiums den Kontakt gehalten und waren Freundinnen geworden. So hatte ich ebenfalls irgendwann Agnes Lehmann kennengelernt und meine Eifersucht war im Keim erstickt. Sicher war sie eine attraktive Frau Ende 40, aber so hetero, wie man eben heterosexuell sein konnte. Ihren Mann hatte ich ebenfalls auf einer von Catris Geburtstagsparty kennengelernt. Schnell waren wir uns sympathisch und haben uns kichernd über unsere Eifersucht ausgetauscht. Auch Michael Lehmann war das besondere Engagement seiner Frau gegenüber Catri nicht verborgen geblieben. Doch er konnte mich damals beruhigen. Catri war eine einmalige Studentin, der Traum eines jeden Professors, aus dem sich eine Freundschaft entwickelt hatte. Ich fragte mich, ob Catri Agnes' in ihre Aufträge einweihte. Dass meine Freundin Tage nicht zuhause verbrachte, kam oft vor. Sie war dann mit Recherchen beschäftigt, die sie mittlerweile oft über die Grenzen Berlins hinausführten. Sie sprach vor Veröffentlichung eines Artikels nie über dessen Inhalt. Sie wollte den Erfolg nicht gefährden, indem vorab Informationen an die Öffentlichkeit kamen oder andere Journalisten von den Inhalten ihrer Artikel erfuhren, ehe sie veröffentlicht wurden. Catri hatte es sich zum Ziel gesetzt, unbeliebte Themen aufzugreifen und darüber zu berichten. Oft fragte ich mich, wie gefährlich ihr Job war und ob sie deswegen nicht über ihre Recherchen sprach. Im letzten Jahr hatte sie viele Tage außerhalb Berlins verbracht, zumindest war sie immer wieder für ein paar Tage unterwegs. Ich konnte nur vermuten, dass sie sich auswärts aufhielt und das es stets um den gleichen Artikel ging. Wann immer ich sie darauf angesprochen hatte, war sie mir ausgewichen und hatte mir mehr als nur einmal zu verstehen gegeben, dass ich doch genau wüsste, dass sie vorab nicht darüber reden konnte. Ihre Artikel durfte ich dann im fertigen Magazin bestaunen. So wie der Rest von Deutschland.
Ich lehnte noch immer mit Faust und Stirn an der Scheibe des großen Fensters im Wohnzimmer. Wir hatten uns für eine Wohnung im Prenzlauer Berg entschieden. Hier hatten wir uns vor fünf Jahren kennengelernt und hier lag die Boutique von Vera und mir.
Ein Blick auf die große Uhr im Wohnzimmer verriet mir, dass wir es bereits 23 Uhr hatten. Ich entschied mich trotz der späten Stunde, telefonischen Trost bei meiner besten Freundin zu suchen. Ich nahm mein Handy aus der Hosentasche und entsperrte das Display. Keine neuen Anrufe oder Nachrichten von Catri. Das war ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Wenn sie sich auf einen neuen Artikel konzentrierte, hielten wir in den Tagen ihrer Abwesenheit nur sporadischen Kontakt. Hier und da eine SMS oder WhatsApp von ihr, manchmal ein kurzer Anruf. Ich hatte mich daran mehr oder weniger gewöhnt. Doch in letzter Zeit kam es zu häufig vor, dass Catri tagelang verschwand.
Nach ein paar Freizeichen meldete sich Vera. Sie klang leicht verschlafen, offensichtlich hatte sich sie geweckt.


„Hallo Vera! Hier ist Margo. Tut mir leid, dass ich dich so spät noch störe. Ich muss aber einfach reden. Catri....sie ist mal wieder für ein paar Tage weg." Die Worte sprudelten nur so aus mir raus und ich war mir nicht sicher, wie viele davon bei Vera angekommen waren.


„Hi. Ich hatte schon gesehen, dass du es bist. Wenn auch nur mit einem Auge". Vera lachte leise. Sie war gefühlt, trotz der späten Stunde, nicht böse über meinen Anruf. „Wann ist Catri weg?", fragte sie mit ernster Stimme.

„Ich weiß es nicht, sie hat mir nur einen Brief hinterlassen. Als ich nachhause gekommen bin, war sie bereits weg."

„Was steht denn in dem Brief?", fragte Vera.


Ich begann die Zeilen, die Catri für mich hinterlassen hatte, meiner besten Freundin vorzulesen.

Margo,
es tut mir leid aber erneut muss ich für ein paar Tage zu Recherchezwecken die Stadt verlassen. Ich hatte blöderweise keine Zeit, es dir persönlich zu sagen. Auch weiß ich nicht, wann ich zurück sein werde. Ich melde mich natürlich wie auch sonst bei dir. Es tut mir wirklich leid und ich verspreche dir, dass ich es wieder gut mache. Ich liebe dich! Viele Küsse, Catri. P.s.: Danke für alles!


Ich hörte, wie Vera am anderen Ende der Leitung nach den letzten vorgelesenen Worten die Luft scharf einzog. „Ich weiß gar nicht was ich sagen soll, das ist selbst für Catri ungewöhnlich.", kam es zögerlich von Vera.

„Das ist es in der Tat. Normalerweise sagt sie mit Tage vor ihrer Abreise Bescheid. Ich weiß gar nicht was ich zu diesem ganzen Brief sagen oder denken soll."

„Nun male mal nicht den Teufel an die Wand. Du weißt doch, dass Catri was ihre Arbeit angeht sehr ambitioniert ist. Es ist ihre Leidenschaft. Du wirst sehen, sie wird sich melden. Ja es ist ungewöhnlich, aber ich bin mir sicher, dass es eine einfache Erklärung dafür gibt. Sie hat doch geschrieben, dass sie es wieder gut machen will. Darauf kannst du dich schon mal freuen."

Ich konnte Veras Grinsen bei ihren letzten Worten deutlich heraushören. Doch diese hatten auch dafür gesorgt, dass ich meine Wut wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Ja, Vera hatte recht. Catris Leidenschaft war ihre Arbeit. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann strebte sie der Umsetzung entgegen, das kam ihr mit Sicherheit bei ihren Recherchen zugute. Nicht umsonst war sie die Karriereleiter so schnell emporgeklettert. Trotzdem hatte ich insgeheim das Gefühl, dass Prof. Dr. Agnes Lehmann hierbei ordentlich ihre Finger im Spiel hatte.

„Ja..ja,du hast recht. Ich bin einfach nur so wahnsinnig enttäuscht. Ich hatte mich den ganzen Tag auf sie gefreut. Sie war ja erst vor zwei Wochen für ein paar Tage unterwegs. Manchmal frage ich mich, ob sie mittlerweile die einzige Mitarbeiterin bei dem Magazin ist.", gab ich resigniert zu.

„Vielleicht nicht die Einzige, aber mit Sicherheit eine der Besten. Sei stolz auf sie, Margo. Du...ich muss jetzt schlussmachen. Ich bin hundemüde. Wir sehen uns morgen früh im Laden, ja? Ich bringe Frühstück mit und dann reden wir nochmal in Ruhe. Auch über den Antrag. Bis morgen!"

„Bis morgen Vera und danke!"

Nach dem Telefonat mit Vera ging es mir etwas besser. Ich deponierte den Brief auf dem Esszimmertisch und begab mich ins Bett. Ich legte mich auf Catris Seite. Mit ihrem Duft in der Nase fiel ich in einen traumlosen Schlaf.

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