Taehyung POV
„Als ich klein war, kam ich oft mit meiner Mutter hierher."
Diese Worte verlassen Jungkooks Mund und ich drehe mich zu ihm, um ihn anzuschauen.
Der Braunhaarige beobachtet leicht lächelnd das Wasser und die kleinen Wellen, die vom stillen Wind angetrieben werden. Seine Stimme hat einen sanften und angenehmen Ton.Vom plötzlichen Geständnis überrascht, mustere ich sein Seitenprofil, wobei mir tausende von Fragen in den Kopf schießen. Bevor ich jedoch eine von diesen laut aussprechen kann, setzt Jungkook wieder an:
„Manchmal verbrachten wir den ganzen Tag hier. Von Früh bis Abend bewunderten wir das stille Meer, als wäre kein Ende in Sicht. Und tatsächlich dachte ich, es wäre keins in Sicht."
Der junge Mann atmet tief durch und ich merke, dass es ihm gar nicht so einfach fällt, seine Gedanken mit mir zu teilen.
Dennoch ist ein Teil von mir glücklich, dass er den ersten Schritt macht, sich mir zu öffnen.Nach einer kurzen Pause, die wir beide im Schweigen verbrachten, fort er seine Erzählung fort:
„Leider kam alles anders als erwartet. Als ich sieben Jahre alt war, verstarb meine Mutter und die langen Tage am Meer, die für mich nach der Unendlichkeit aussahen, fanden tatsächlich ihr Ende."Die Fortsetzung bringt mich aus der Fassung und ich weiß nicht, wie ich mich fühlen, geschweige denn, was ich in dieser Situation tun sollte. Ich war nie ein Meister im Trösten, was aber auch daran lag, dass ich bisher niemanden trösten musste. Jimin ist eher eine Person, die ihre Probleme für sich behält und versucht, sich selbst zu helfen. Trotz meines Statuses als sein bester Freund, hat er mir nie die Möglichkeit gegeben, wie ein richtiger Freund für ihn da zu sein und still allen Problemen zu lauschen, die ihm das Herz schwer machten. Aber dazu ist es bis heute nicht gekommen.
Also was soll ich jetzt sagen? Was soll ich jetzt tun? Mein Freund, die Person, die ich liebe und wertschätze teilt mir ein tragisches Ereignis, was sie verändert hat und immernoch beeinflusst, und was mache ich? Ich kann nichts anderes, als in Stille neben ihm zu hocken und zu hören, wie er einen Kampf mit seinem Inneren Ich und der Vergangenheit führt.
Ich möchte für ihn da sein.
„Meine Mutter war eine sehr glückliche Person und strahlte heller als die Sonne. Sie arbeitete als Bankkauffrau in einer Bank in Seoul und obwohl sie so beschäftigt war, fand sie jedes Mal Zeit für mich und meine Spiele. Mein Vater war genervt, als ich beim Fangen schreiend durch die Wohnung lief, während meine Mutter mich verfolgte. Nichtsdestotrotz sagte er nichts, weil er wusste, dass es der Weg meiner Mutter war, mir ihre Liebe zu zeigen. Der direkteste und schönste Weg. Die Frau war nicht nur meine Mutter, sondern meine beste Freundin und die einzige Person, bei der mir klar war, dass sie mir wirklich nur mein Bestes wünscht. Auch als sie mich schimpfte, weil ich ihre Dokumente in der gesamten Wohnung verteilt habe, wusste ich genau, dass sie es für mein Wohl tat."
Bei der Erinnerung an seine Mutter schleicht sich ein kleines Lächeln auf Jungkooks Lippen, welcher seine Aufmerksamkeit weiterhin auf dem ruhigen Meer hat.
„Ich wünschte, ich wäre damals viel braver und lieber zu ihr gewesen. Hätte ich nur gewusst, dass unsere gemeinsamen Tage so bald endeten. Aber das hätte ich niemals vorhersehen können", sagt Jungkook, wobei er gegen Ende etwas leiser wird und plötzlich sehe ich, wie eine einzelne Träne sein Auge verlässt und seine sanfte Backe berührt.
„Meine Mutter starb. Sie wurde während eines Banküberfalls als Geisel genommen. Als sie den Notrufschalter betätigen wollte, wurde sie vom Täter erschossen. Sie wollte ihre Mitarbeiter beschützen und was bekam sie dafür? Den Tod. Der Tod achtet nicht darauf, wer du bist, ob du eine gute oder schlechte Person oder wie alt du bist. Er kommt. Manchmal erwartet, oft unerwartet. Er steht uneingeladen vor deiner Tür und ehe du etwas unternehmen kannst, nimmt er dich mit. Wohin die Reise geht, weiß keiner. Dennoch glaubt jeder daran, dass diese Reise kein Ende hat", erzählt der Braunhaarige, während sein Körper zittert und immer mehr Tränen sein Gesicht runterkullern.
„Das Leben ist so unfair, Taehyung. Es nimmt dir diejenigen weg, die dir am nächsten sind. Ohne Grund. Und auch wenn es einen Grund hat, er interessiert mich nicht. Ich möchte nicht nochmal jemanden verlieren müssen. Ich möchte nicht mehr meine eigene Identität leugnen müssen. Ich möchte nicht mehr die Welt verfluchen. Und vor allem möchte ich nicht mehr alleine sein", sagt Jungkook, während seine Stimme so schwach und brüchig klingt. Als würde sie jederzeit verschwinden und trotzdem noch gehört werden wollen.
Erst jetzt dreht der Braunhaarige seinen Kopf in meine Richtung und seine vertränten und leicht geröteten Augen sehen in meine.
Ohne es zu realisieren, nähere ich mich seinem Gesicht und langsam, aber zart lege ich meine Lippen auf die Stelle, an der gerade eine Träne war. Trotz des salzigen Geschmacks, wandern meine Lippen zu der nächsten Träne. Als würde ich mit jeder Träne ein Problem verschwinden lassen und ihm eine Last vom Herzen nehmen.
Anfangs sieht mich Kook überrascht an, aber eine kurze Zeit später schließt er seine Augen und atmet durch.
Nachdem ich keine einzige Träne auf seinem Gesicht erkennen kann, entferne ich mich langsam von ihm und sehe ihm direkt in die Augen.„Ich kann den Tod nicht stoppen und ich kann dir auch kein Unendlich versprechen, ohne zu wissen, ob dieses existiert. Aber ich kann dir versprechen, jede Sekunde deines Lebens schöner zu machen und dich niemals bereuen lassen, dieses Leben gelebt zu haben. Denn du bist wertvoll, nich nur für mich, sondern für viele Personen, deren Leben du auf so viele Arten bereicherst. Du sollst aber nicht für mich und sie leben, sondern für dich, Jungkook. Egal, wie hart das Leben und die Zeit sein mag, du musst stark bleiben. Liebe den Körper, der dich so weit gebracht hat, den Verstand, der dir so viele Möglichkeiten gegeben hat und dich, der das alles vereint. Geh voran, ohne zurückzublicken, denn das, was war, ist gewesen und wird nicht mehr zurückkommen. Aber du kannst das Jetzt beeinflussen und es so gestalten, dass du am Ende deiner Reise stolz sagen kannst: "Ich habe ein erfülltes Leben gelebt, ich bereue es nicht." Sorge dich nicht um Morgen, denn dafür hast du morgen noch genug Zeit. Genieße dein Leben jetzt, Jungkook. Du verdienst es nämlich, glücklich zu sein."
Nachdem ich diese Worte ausgesprochen habe, lege ich meine Arme behutsam um den kräftigen Körper meines Gegenübers und ziehe ihn vorsichtig in eine Umarmung. So vorsichtig, als wäre er aus Glas und könnte jeden Moment brechen, wenn ich ihn nicht zusammenhalte.
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Nightlife Killer ▷KookV
FanficDie Nächte auf den Straßen Seouls werden immer gefährlicher, denn plötzlich gibt es jede Nacht ein neues Mordopfer. Egal, wie viel Mühe sich die Polizei gibt, sie kann den Mörder nicht fassen. Deshalb bitten sie die sogenannte CSG um Hilfe. Die CSG...