Kapitel 6

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Raven ließ die Lianen des Urwaldes durch ihre Hände gleiten. Castiell trug sie durch das Unterholz und schnaubte nervös, wenn er über eine Leiche steigen musste. Beruhigend tätschelte Raven seinen Hals. „Es ist alles gut.", flüsterte sie leise und ließ sich von seinem Rücken gleiten. Sie glaubte sich selbst nicht. Nichts war gut. Ihr halbes Volk lag im Laub verteilt und sie wusste, dass noch mehr Leute in der Stadt liegen würden. Langsam ging sie zu dem Baum und griff nach dem Seil, dass schlaff aus der Baumkrone hing. Sie schluckte, ließ sich dann jedoch nach oben ziehen. Ihr Arm schmerzte, als sie sich an dem Siel festkrallte. Schmerzerfüllt biss sie die Zähne zusammen. Ihr Arm zitterte. Endlich war sie oben angekommen und wollte sich auf die Plattform schwingen, doch da ließ sie ihre Kraft im Stich und sie rutschte vom Seil ab. Mit einem Aufschrei krachte sie gegen das Holz. Ein fürchterlicher Schmerz durchzuckte ihren Körper und Tränen stiegen in ihren Augen auf. Mit aller Kraft strampelte sie mit den Füßen und versuchte sich auf die Plattform zu hieven. Schließlich schaffte sie es und rollte sich keuchend auf den Rücken. Stöhnend betastete sie ihren Arm. Ihre Finger streiften den Druckverband, der teilweise mit einer blutigen Kruste beschmiert war. Keuchend rappelte sie sich auf und taumelte voran. Im Licht der aufgehenden Sonne konnte sie die Zerstörung nun noch viel intensiver wahrnehmen. Die zerstörten Häuser, die vielen Toten, das blutgetränkte Holz der Plattformen. Raven schluckte. „Das alles hier ist meine Schuld.", sagte sie leise und ging die lange Hängebrücke zum Palast entlang. Auf dem Weg entdeckte sie weitere Leichen, getränkt in dunklem Sekret. Manchen war der Kopf abgerissen worden, anderen fehlten Arme und Beine und wiederrum anderen war das Herz aus dem Brustkorb gerissen worden. Um die Kadaver herum tummelten sich Fliegen. Raven rümpfte bei dem strengen Geruch die Nase. Traurig ließ sie ihren Blick über die Toten schweifen. Je näher sie dem Palast kam, desto öfter stieß sie auf bekannte Gesichter. Sie unterdrückte die Tränen. Die Tür zum Palast stand immer noch offen. Raven machte einen großen Schritt über den Berg aus Leichen, der hinter der Tür lag und durchquerte die Eingangshalle. Die Kälte jagte ihr einen Schauer rüber den Rücken. Sie zitterte am gesamten Leib. Ihre schwarzen Stiefel machen platschende Geräusche auf dem Sekret überfluteten Boden.

Endlich erreichte sie das Zimmer ihrer Mutter. An der Tür konnte sie Kratzspuren erkennen. Mit klopfendem Herzen legte sie eine Hand auf die Klinke und drückte sie langsam herunter. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf das verwüstete Zimmer frei. Das bodentiefe Fenster war eingeschlagen und aus dem Boden waren Dielen herausgerissen. Auf dem Boden hatten sich schwarze Pfützen gebildet, das weiße Laken, mit dem Ravens Mutter zugedeckt war, war jedoch nur teilweise mit dem schwarzen schleim befleckt. Raven stand nun neben dem Bett. Sie holte tief Luft und griff nach der Kante des Lakens. Dann zögerte sie. Wollte sie das wirklich? Sie schluckte und schlug das Tuch mit einem Ruck zurück. Darunter kam das blasse Gesicht ihrer Mutter zum Vorschein. Von ihrer Trauer überwältigt sank Raven auf dem Boden zusammen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Zitternd hob sich den Kopf und tastete nach der Hand ihrer Mutter. Traurig verschränkten sich Ravens Finger mit denen ihrer Mutter.

„Es tut mir alles so leid.", flüsterte sie mit dünner Stimme. Nun fielen die ersten Tränen auf das Bett. „Es ist alles meine Schuld. Ich hätte schneller reagieren müssen. Und auch Peeter...es hätte ihm weitaus mehr passieren können. Wären die anderen nicht gekommen wären wir verloren gewesen. Und ich Idiot stoße sie von mir weg. Ich will sie doch nicht verletzen. Ich will sie nicht mit meinen Gefühlen belasten.", schluchzte sie. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Jade spähte durch den schmalen Spalt der Tür. Sie war Raven mit reichlich Abstand bis hier her gefolgt. Sie hatte vieles erwartet, aber ganz sicher nicht das. Raven tat ihr so unendlich leid.

„Ich wünschte ich könnte das alles wieder in Ordnung bringen.", presste Raven hervor, „Aber das kann ich nicht. Ich kann niemanden wieder lebendig machen, weder dich, noch irgendjemanden anderen. Es sind so viele Leute gestorben...alle wegen mir. Ich bin nicht dazu gemacht eine Königin zu sein..." Raven wischte sich über die Augen. „Es läuft alles schief und ich weiß nicht was ich tun soll. Bitte Mama, sag mir was ich machen soll."

Queens- When darkness fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt