Kapitel 32

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Jade hockte auf dem dicken Ast eines Baumes, die Sehne des Bogens gespannt. Sie visierte einen Kuro an, der sich über den Kadaver eines Soldaten beugte. Langsam holte sie Luft und kniff ein Auge zu. Sie spürte das weiche Material der Sehne, die langsam ihren Platz an Jades Wange verließ und den Pfeil auf den Weg schickte. Dieser zischte durch die Luft und bohrte sich in den Rücken der furchteinflößenden Kreatur. Der Kuro sank in sich zusammen und löste sich wenig später auf. Zurück blieb nur eine Pfütze aus dunklem Sekret. Jade holte einen neuen Pfeil aus ihrem Köcher und legte ihn auf die Pfeilauflage. Sie konzentrierte sich auf den Rand einer Baumgruppe. Jade meinte ein Paar blitzende Augen zu erkennen. Wahrscheinlich weitere Dunkelwesen. Als sie jedoch näher hinsah konnte sie eine Hundeartige Kreatur erkennen, die langsam aus dem Wald hervorkroch. Sie erinnerte sich, dass Ylva von so einem Wesen erzählt hatte. Ein Höllenhund. Jade presste sich näher an den Baum. Der Höllenhund reckte seinen breiten Kopf und schnüffelte. Jade betete, dass er sie nicht bemerken würde. Glücklicherweise senkte der Hund den Kopf wieder und lief unbeirrt weiter. Jade atmete auf und kletterte über den Ast hinüber zu einem anderen Baum. Mit Schrecken erkannte sie, dass der Höllenhund dem Versteck mit dem Lebensstein immer näherkam. Sie wusste, dass Sualc und Feya sich in der Baumhöhle befanden, in der der Lebensstein versteckt war. Raven jedoch stand allein vor dem Eingang. Jade konnte erkennen, wie ihre Freundin zwei ihrer Wurfmesser bereithielt.
Bereit, um jedem die Kehle durchzuschneiden, der dem Versteck zu nah kam. Jade hockte sich auf den nächstbesten dicken Ast und legte einen weiteren Pfeil auf, mit der Hoffnung, dass sie ihn nicht abzufeuern brauchte und Raven allein mit dem Höllenhund fertig werden würde. Ein Knurren lenkte ihren Blick wieder auf die dichten Bäume. Erschrocken schlug sie sich eine Hand vor den Mund.

In der Dunkelheit erkannte sie weitere rote Augenpaare. Sie alle gehörten zu den Höllenhunden und sie alle steuerten geradewegs auf Raven und den Lebensstein zu. Jade spannte die Sehne und feuerte den ersten Pfeil ab. Dieser verfehlte sein Ziel nicht und bohrte sich in die Brust des Ungetüms. Der Höllenhund heulte nur einmal kurz auf und schüttelte sich. Der Pfeil rutschte aus seiner Haut und fiel zu Boden. Die kleine Wunde, die er verursacht hatte, verschloss sich sofort wieder.

Jetzt hatte Jade den Kampfgeist der Kreaturen geweckt. Krampfhaft versuchte sie sich daran zu erinnern was Ylva gesagt hatte. Wie konnte man diese Dinger ausschalten? War es ein Schuss ins Auge gewesen? Oder musste man ihnen die Kehle aufschlitzen? Jade fiel es einfach nicht mehr ein. Als sie wieder aufsah, konnte sie die Hunde nirgends sehen. Jade hegte für einen kurzen Moment die Hoffnung, dass sie sich zurückgezogen hatten, doch diese verflog, als sie erneutes Knurren, diesmal direkt unter sich, vernahm. Sie hielt sich an einem kleinen Ast fest und spähte zu Boden. Doch auch dort war nichts zu sehen. Oder doch? Jade lehnte sich noch etwas weiter vor. Im nassen Gras konnte sie Pfotenabdrücke erkennen. Sie waren in der Dunkelheit schwer zu sehen gewesen und es schienen immer neue zu entstehen. „Das kann nicht wahr sein!", fluchte Jade.
Sie verstaute ihren Bogen auf dem Rücken und sprang von dem Baum. Sie wusste, dass das eine idiotische Idee war, doch die Sorge um Raven überwog. Ihre Freundin wusste nichts von dieser unsichtbaren Gefahr und war ihr ausgeliefert. Leise folgte Jade den Spuren. Sie führten immer weiter auf Raven zu. Verzweifelt versuchte Jade die Aufmerksamkeit von Raven zu wecken, ohne die der Höllenhunde auf sich zu ziehen.


Im nächsten Moment hörte sie Raven schreien. Jade warf jegliche Vorsicht über Bord und rannte los. Sie sah, wie Raven versuchte sich aufzurichten, doch etwas schien sie immer wieder zu Boden zu drücken. Jade umklammerte ihr Schwert fester und schlug blind auf die Kreatur ein, die auf Ravens Rücken saß. Ein Heulen erklang. Vor Jades Augen wurde der Höllenhund wieder sichtbar. Jades Schwert steckte direkt im Kopf der Kreatur. Der Höllenhund ließ von Raven ab und öffnete sein Maul. Reflexartig riss Jade ihr Schwert aus dem Kopf des Wesens und bohrte es ihm tief in den Rachen. Der Höllenhund begann zu röcheln und fiel neben Raven zu Boden. Er zuckte noch einige Sekunden und blieb dann reglos liegen. Raven rappelte sich auf. „So ein Ding hat mich umgestoßen?", stieß sie keuchend hervor und fasste sich an den Nacken.
Jade schaute sie besorgt an. „Bist du in Ordnung? Du blutest."
Raven faste sich etwas irriert an die Schläfe und betrachtete das dunkle Blut auf ihren Fingern. „Ja, mir geht es gut. Ich muss wohl auf einem Stein oder so aufgeschlagen sein."
Eine fürchterliche Mischung aus Knurren und Bellen ließ die Freundinnen zusammenfahren. Raven hob ihre Messer auf, die ihr bei dem Angriff aus der Hand gefallen waren. „Hier sind noch mehr von denen?"
Jade nickte und starrte konzentriert in die Dunkelheit. „Ja, ich schätze noch ungefähr fünf."
Der Regen nahm zu und in der Ferne konnte man lautes Donnergrollen hören. Ein Blitz erhellte die Dunkelheit. „Und wie zur Hölle sollen wir die töten, wenn wir sie nicht sehen können?" Jade sah sich um und entdeckte die kleinen Pfützen, die sich auf den Blättern der Bäume gebildet haben. Eine Idee schoss ihr durch den Kopf. „Wir machen sie sichtbar.", sagte sie und trat gegen einen der Baumstämme. Dicke Tropfen fielen aus der Baumkronen. Einige von ihnen blieben auf großen Körpern liegen und machten die Silhouetten der Wesen sichtbar. „Jade, du bist ein Genie!", rief Raven und warf eines ihrer Messer. Dieses flog direkt in das offene Maul eines Höllenhund. Er begann zu röcheln und fiel in sich zusammen. Schlagartig wurde er wieder sichtbar. Raven verzog das Gesicht. „Blöd nur, dass sie nicht verschwinden. Mein Messer bin ich jetzt los."

Raven wollte sich gerade wieder zu Jade drehen, als sie mit Schwung nach hinten gerissen wurde. Sie stieß gegen einen Baum und rutschte daran hinab. Sie spürte scharfe Krallen auf ihrer Brust und wie sie ihre Brust aufschlitzen. Raven versuchte sich zu wehren, doch die Kreatur stand genau auf ihren Armen. Der Höllenhund heulte und bohrte seine spitzen Fangzähne in ihre Schulter. Sie schrie so laut sie konnte, doch sie wusste, dass sie das nicht retten würde.
Jade war kurz davor einem weiteren Höllenhund die Klinge in den Hals zu bohren. Als sie den lauten Aufprall hörte, wirbelte sie herum. Sie wollte zu Raven stürmen und ihr helfen, doch der Höllenhund, den sie zuvor versucht hatte zu töten, sprang auf sie und fixierte sie am Boden. Jade zappelte und musste hilflos mit ansehen, wie die Kreatur Fetzen aus Ravens Körper riss. Blut spritzte und langsam verstummten Ravens Schreie. Jades Augen füllten sich mit Tränen. Sie hörte sich Ravens Namen schreien, immer und immer wieder. Plötzlich ließ der Höllenhund von Raven ab und auch die Kreatur auf ihrem Brustkorb gab sie frei. Die Höllenhunde trotteten zum Rand einer Baumgruppe und senkten dort untertänigst den Kopf. Eine Gestalt stand unter dem Baum, verborgen in dem Schatten der Baumkrone und der Dunkelheit der Nacht. Jade schenkte der Person keine weitere Aufmerksamkeit.

Sie nutzte die Gelegenheit und stolperte zu Raven. Sie ließ sich neben sie fallen, unschlüssig was sie nun tun sollte. Ravens Gesicht war blutverschmiert und auf ihrer Brust konnte Jade zwischen den Fetzten ihrer ledernen Uniform eine lange Kratzwunde erkennen. Glücklicherweise hatte ihre Kampfrüstung den größten Angriff abgefangen. Trotzdem blutete es sehr stark. Auch an Ravens Armen prangten tiefe Wunden. An einigen Stellen hatte die Kreatur ganze Stücke der Haut abgezogen. Jade presste ihre Hände auf Ravens Brust und versuchte die Blutung zu stoppen. Schnell waren ihre Handflächen blutverschmiert. „Raven? Sag etwas!" Doch Raven regte sich nicht.
Verzweifelt sah Jade von dem leblosen Körper auf. „Hilfe! Ich brauchte Hilfe! Feya? Sualc? Irgendwer!"
Verzweifelt beugte sie sich wieder über Raven. Tränen tropften von ihrem Kinn und fielen auf Ravens blutige Wangen. „Gib nicht auf.", flüsterte sie und strich ihrer Freundin über die Wange. Ihre Finger hinterließen eine dunkelrote Spur auf Ravens Haut. „Ich kann dich nicht verlieren."

„Sie sieht ganz und gar nicht gut aus."
Jade drehte den Kopf und schaute in Asmodeus zufrieden grinsendes Gesicht. „Sie sind so..."
„Sag es nur. Ein Ekel? Eine Ausgeburt der Hölle? Das höre ich immer wieder." Seine roten Augen blitzten. „Ich nehme das als Kompliment."
Jade wollte irgendetwas tun. Krampfhaft dachte sie nach, doch ihre Gedanken schweiften nur immer wieder zu Raven. „Ein Monster, das sind Sie!", schrie sie und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Asmodeus zog eine Augenbraue hoch. „Meinetwegen. Ich habe jetzt noch einen Termin." Jade sah dem Dämon verzweifelt hinterher, der mit den Höllenhunden im Schlepptau auf die Baumhöhle zusteuerte. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. Er würde sich auch den Lebensstein von Hjörnis holen, dabei gab es keine Zweifel.
Jade wusste, dass sie nichts ausrichten könnte, wenn sie Asmodeus jetzt folgte, also fasste sie schweren Herzens einen Entschluss. Sie rappelte sich auf und griff Raven unter die Arme. Sie nahm alle Kraft zusammen und zog Raven hinter sich her. Sie musste hier weg. Wenn sie noch länger hierblieb, gab es keine Chance mehr, dass sie ihre Verletzungen überleben würde.

Raven lag in ihren Armen, schwer und reglos. Auf Jades Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Endlich hatte sie den Waldrand erreicht. Aus der Ferne hörte sie einen leisen schmerzerfüllten Schrei. Sie wusste, dass es Feya gewesen war, die ihn ausgestoßen hatte. Jade biss sich auf die Unterlippe und ignorierte das mulmige Gefühl in ihrem Magen. „Sie werden es schaffen!", dachte sie und zog Raven weiter.

Endlich erreichten sie den Waldrand. Unter einer großen Trauerweide konnte sie zwei Pferde erkennen. Ein großes und ein kleines. Jade atmete erleichtert auf.
„Fredo!", rief sie. Das kleinere Pferd hob den Kopf und trabte auf sie zu. Jade strich ihm durch die Mähne. „Guter Junge. Du kannst mir doch sicher helfen, oder?" Fredo legte den Kopf schief und wieherte dann zustimmend. Durch die Größe des Hengstes, hatte Jade keine allzu großen Schwierigkeiten Raven in den Sattel zu hieven. Sie griff nach der Hand ihrer Freundin und drückte sie vorsichtig. „Halt durch in Ordnung? Ich bringe dich nach Cosmo."
Schnell lief sie zu der Trauerweide hinüber und griff nach den Zügeln von Sualcs Pferd. Dieses hob nur müde den Kopf und ließ sich von Feya zu Fredo führen. Jade griff nach Fredos Zügeln und schwang sich in den Sattel von Sualcs Pferd. „Wir schaffen das!", murmelte sie und warf einen Blick auf Raven. „Bitte halt durch. Ich brauche dich."

Queens- When darkness fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt