Kapitel 4

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„Aua!" Raven funkelte Jade wütend an, die gerade versuchte ihr einen Druckverband anzulegen. „Das tut weh!" Jade verdrehte die Augen. „Wenn du nicht so rumzappeln würdest, wäre ich schon längst fertig.", sagte sie dennoch ruhig und befestigte den Verband. „So fertig.", sagte sie lächelnd. „Wie kannst du nur so gute Laune haben?", fragte Raven leise und rutschte von der Liege. Sie befanden sich im Krankenzimmer des Versammlungshauses. Sie hatten die wenigen Überlebenden von Tizan nach Cosmo gebracht und ihnen jeweils ein Quartier zugeteilt, in welchem sie vorübergehend leben konnten. Nach Tizan zurückkehren konnten sie nicht. Das Reich war unbewohnbar. Die Häuser waren teilweise vollständig eingestürzt.

Jade schloss den Verbandskasten und schaute Raven durch ihre roten Locken verwirrt an. „Was meinst du?" Raven seufzte. „Weißt du was gerade passiert ist?", fragte sie etwas lauter und drehte sich wieder zu Jade. Diese zuckte bei Ravens erhobener Stimme leicht zusammen. Raven humpelte zu Jade und blieb dicht vor ihr stehen. „Mein Volk wurde eiskalt abgeschlachtet.", sagte sie mit bebender Stimme, „Mein Zuhause ist zerstört und ich habe nichts getan. Ich konnte nichts tun." Ravens Augen wurden glasig. Schnell drehte sie sich weg und hoffte, dass Jade nichts gemerkt hatte. Doch Jade hatte es mitbekommen. Unschlüssig knetete sie ihre Hände. „Es ist nicht deine Schuld", sagte sie leise und legte Raven eine Hand auf die Schulter. Diese zuckte zusammen und schüttelte Jades Hand ab. „Lass das!", fauchte sie und humpelte zur Tür. Raven! Ich will dir doch nur helfen!" Raven drehte sich an der Tür noch einmal zu ihr. „Wobei?", fragte sie leise, „Willst du mir dabei helfen mich an all den Schmerz zu erinnern? Danke, aber das musst du nicht. Das kann ich auch allein." Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter Raven ins Schloss. Jade unterdrückte den Drang ihr nachzulaufen. Seufzend packte sie den Verbandskasten beiseite und verließ ebenfalls den Raum.

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Monara atmete die kalte Nachtluft ein und schaute in den Sternenhimmel. Erschöpft löste sie ihren Pferdeschwanz und ließ ihre blauen Haare über die Schultern fallen, die sofort von einer Windböe erfasst worden. Aus dem Versammlungssaal hörte sie die Stimmen ihrer Freundinnen, die sich angeregt unterhielten. Müde rieb sie sich über die Augen. Auf einmal legte sich eine Hand auf ihre Schulter und drehte sie herum. Monara schaute in Evelyns Augen, die in dem gedimmten Licht in einem dunklen Braun schimmerten. Lächelnd legte sie ihre Arme um Monara. „Hey", murmelte sie und legte ihren Kopf auf Monaras Schulter ab. Monara seufzte und gab Evelyn einen sanften Kuss auf den Haaransatz. „Du bist total verspannt.", meinte Evelyn und löste sich von Monara. Diese drehte sich wieder zum Rand des Balkons und legte ihre Arme auf dem Geländer ab. Evelyn musterte sie besorgt und stellte sich neben sie. Sanft legte ihre Hand auf Monaras. „Was bedrückt dich?", fragte sie leise. Monara sah sie aus dem Augenwinkel an. „Ich habe so ein komisches Gefühl.", antwortete sie.

„Das hast du nach so gut wie jeder Mission. Bitte entspann dich einmal. Du machst uns andere ganz irre damit.", ließ ich Ylva von drinnen vernehmen. Evelyn drehte sich zu ihr und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Diese hob entschuldigend die Hände. „Was denn? Stimmt doch?", murrte sie und verschränkte die Arme.

Evelyn warf Ylva noch einen genervten Blick zu und schloss dann die großen Glastüren, die den Balkon von dem Saal abtrennten. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer Freundin und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Jetzt stören die nicht mehr.", sagte sie sanft und drückte Monaras Hand, „Also was ist los?" Monara lehnte sich mit dem Rücken an das verzierte Geländer und schaute in den Himmel. „Ich weiß es doch auch nicht.", sagte sie leise. „Irgendetwas stimmt nicht." Evelyn musterte sie verwirrt. „Wie meinst du das?"

„Naja, dieser Angriff war anders.", antwortete Monara und legte fröstelnd die Arme um sich. „Die vorherigen Angriffe waren nicht so. Sie waren nicht so...zerstörerisch. Es waren zu viele Kuros und der Angriff war sehr überraschend. Normalerweise hätte man sie doch schon vorher bemerkt, also ich meine bevor sie bewohnte Gebiete angreifen." Evelyn legte nachdenklich den Kopf schief. „Ich denke nicht, dass das irgendetwas zu bedeuten hat.", versuchte sie Monara zu beruhigen. Monara sah sie liebevoll an. „Danke.", flüsterte sie und gab Evelyn einen sanften Kuss. Das komische Gefühl wurde sie dennoch nicht ganz los.

Ylva drehte sich zu Feya und legte die Beine auf den Tisch. „Und da küssen sie sich wieder.", lachte sie. Feya schaute verträumt auf. „Was?" Ylva beugte sich vor und wedelte mit der Hand vor Feyas Augen. „Hallo? Was ist mit dir los? So abwesend bist du doch sonst nicht." Feya blinzelte ein paar Mal. „Ist egal.", murmelte sie. Ylva wollte gerade nachharken, als die Tür aufschwang und Jade hereinkam. Stöhnend ließ sie sich auf einen Stuhl neben Ylva fallen. Ylva drehte sich zu ihr. „Na, hast du Frau Mürrisch verarztet?", fragte sie höhnisch. Feya kicherte. „Hör bloß auf.", meinte Jade und lehnte sich auf dem Stuhl zurück, „Raven macht mich irre."

„Nicht nur dich, uns alle.", entgegnete Feya und verschränkte trotzig die Arme, „Jemand sollte ihr mal gehörig die Meinung geigen." Ylva erhob sich von ihrem Stuhl. „Das mach ich doch mit Vergnügen.", antwortete sie und rieb sich voller Vorfreude die Hände, „Ich meine, sie weiß zwar schon was ich von ihr denke, aber ich sage es ihr gerne immer wieder."
Jade hielt sie am Arm fest. Ylva drehte ihr den Kopf zu. „Was?" Jade schaute unruhig zu Boden. „Ich weiß nicht, ob es jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist.", sagte sie leise.
„Warum sollte es denn nicht der richtige Zeitpunkt sein?", fragte Ylva verständnislos und löste sich aus Jades Umklammerung. Langsam ging sie zur Tür. „Sie hat gerade beinahe ihr ganzes Volk verloren!", rief Jade ihr nach. Irritiert von Jades starkem Unterton drehte sich Ylva wieder zu ihr. „Und?"

Jade erhob sich und kam auf Ylva zu. Ruhig legte sie ihr eine Hand auf die Schulter. „Wie hast du dich gefühlt, als du mit ansehen musstest wie dein Volk getötet wurde und du nichts hast tun können? Es waren zwar nicht so viele wie bei Raven, aber weißt du noch wie es dich zerrissen hat, wie verzweifelt du warst?", fragte sie ruhig und schaute Ylva in die nun glasig schimmernden Augen. Ylva drehte den Kopf beiseite und schwieg. „Jetzt versetz dich doch bitte einmal in Ravens Lage, okay? Sie zeigt es zwar nicht, aber sie fühlt sich jetzt gerade genauso leer wie du."

„Das glaube ich nicht.", antwortete Ylva kühl, „Sonst würde sie sich nicht so verhalten." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Saal. Jade seufzte und ging wieder zu ihrem Stuhl. „Das war wohl nichts.", meldete sich Feya zu Wort. Jade warf ihr nur einen vernichtenden Blick zu. „Selbst Raven hat es nicht verdient, dass wir sie jetzt auch noch fertig machen.", sagte sie und stand wieder auf. „Wo willst du hin?", fragte Feya irritiert. Jade stoppte an der Tür, eine Hand bereits auf der Klinke. „Zu Raven.", murmelte sie. Sie konnte Feyas verblüften Blick spüren. „Warum das denn jetzt?", stöhnte sie und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Jade antwortete nicht, öffnete die Tür und verließ den Raum ebenfalls. Feya kratzte sich verwirrt am Kopf. Manchmal wurde sie aus Jade wirklich nicht schlau. Erst verteidigte sie Raven und wollte, dass sie sie in Ruhe ließen und nun ging sie selbst zu ihr. Feya lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Das verstehe wer will.", murmelte sie.

Queens- When darkness fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt