Kapitel 36

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Rote Sonnenstrahlen brachen durch die graue Wolkendecke und verschwanden hinter den hohen Bergen, die die Stadt Hjörnis umrandeten. Die Sonne würde bald vollständig untergegangen sein. Schon jetzt war es schwierig etwas zu erkennen. Das einzige Licht boten die Fackeln, die an den Außenwänden der Häuser angebracht waren. Die leuchtenden Flammen erhellten den runden Platz, in dessen Mitte sich eine gläserne Kuppel befand, die einen gelblichen Kristall umfasste. Um die Kuppel selbst waberte ein bläulicher Nebel, der zeigte, dass der Schutzzauber, den Raphael gesprochen hatte, noch immer aktiv war. Evelyn trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Ich bezweifle, dass es eine gute Idee ist, den Kristall so offen in die Mitte der Stadt zu stellen." Sie und Jade standen hinter einem Haus und beobachteten die große Treppe, die nach Hjörnis hinaufführte. Jade hatte ihren Bogen bereits in der einen und einen Pfeil in der anderen Hand. „Ganz ehrlich, mir ist auch nicht wohl dabei, aber wir müssen das beste hoffen.", antwortete sie. Evelyn seufzte und richtete ihren Blick wieder auf die Platzmitte. Unruhig fummelte sie an dem Armband herum, welches ihre Schwester ihr vor ihrem Aufbruch als Glücksbringer geschenkt hatte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Je länger sie hinter dem Haus ausharrten, desto nervöser wurde sie. Auf der anderen Seite, direkt neben dem Aufgang zur Stadt, erkannte sie Ylva und Feya, die sich hinter einen großen Felsen versteckt hatten. Raphael und Sualc hatten sich gegenüber von ihnen an einen der hohen Berge gepresst und starrten angestrengt in Evelyns Richtung. „Wie lange noch?", formte Evelyn mit dem Lippen. Raphael verschwand und tauchte wenig später wieder neben ihr auf. Evelyn keuchte erschrocken auf. „Nicht mehr lang.", flüsterte er und löste sich wieder in Luft auf. Evelyn schaute wieder zu Sualc. Dieser zuckte so stark zusammen, als Raphael wieder neben ihm auftauchte, dass ihm sein Schwert beinahe aus der Hand fiel.

Jade drehte unruhig den Pfeil in ihren Fingern. „Ich hoffe die neue Spitze funktioniert.", murmelte sie. Evelyn drehte sich zu ihr. „Die neue Spitze? Was ist an der denn anders?" Jade schaute auf. „Sie ist mit Silber verstärkt. Raphael meinte, dass sie Asmodeus nicht töten würde, weil die Pfeile nicht geweiht sind oder so. Ich habe bei seinem ewig langen Vortrag nicht wirklich zugehört. Aber ihn verletzen und seine Kräfte schwächen werden sie ihn hoffentlich."
„Werden sie schon. Raphael weiß was er tut, auch, wenn mir das manchmal Angst macht.", erklang eine bekannte Stimme hinter Jade. Raven lehnte sich gegen die Hauswand und drehte eines ihrer Wurfmesser in der Hand. Jade seufzte. „Mir ist immer noch nicht wohl dabei, dass du hier bist. Du bist noch nicht vollkommen fit." Raven starrte sie ungläubig an. „Und euch den ganzen Spaß überlassen? Ich möchte mithelfen diesen Mistkerl zurück in die Hölle zu schicken und Eria zu retten. Ich bleibe nicht in Cosmo."
„Deswegen habe ich dich ja auch nicht aufgehalten und du stehst jetzt hier.", antwortete Jade und lugte um die Hausecke. Raven wollte etwas erwidern, doch Jade hob eine Hand. „Seid still, da passiert etwas."

Feya tippte Ylva auf die Schulter. „Also du und Evelyn?" Ylva starrte weiter auf den Lebensstein. „Ich weiß nicht was du meinst."
Feya verdrehte die Augen. „Du brauchst es gar nicht abzustreiten. Zwischen euch knisterts und das noch mehr als sonst." Jetzt drehte sich Ylva doch zu Feya.
„Noch mehr als sonst?"
„Das hat jeder mitbekommen. Wie du sie angesehen hast, war ja nicht zu übersehen und auch sie hat oft zu dir geschaut, als du gerade einmal nicht hingeschaut hast. Also?"
Ylva schaute wieder zu der Glaskuppel. „Wir haben uns geküsst.", sagte sie leise.
Feya gab einen leisen triumphierenden Jauchzer von sich. „Ich wusste es!"
„Anscheinend wusste es so gut wie jeder.", murmelte Ylva, „Jade hat mich auch schon darauf angesprochen."
Feya verschränkte die Arme. „Ach tatsächlich? Wusstest du, dass sie in Raven verliebt ist?" Ylva warf ihr einen verwirrten Blick über die Schulter zu.
„Was? Feya!" Feya wickelte sich eine ihrer Locken um den Finger. „Hast du etwa nicht den Eindruck, dass da was läuft?"
„Feya, wir warten gerade auf Asmodeus, um ihm den Dolch in die Brust zu rammen. Kannst du mir deine Liebespaartheorien wann anders erzählen?"
„Aber du merkst das doch auch, oder?"
„Feya!"
„Na schön.", grummelte Feya und warf einen Blick über den Felsen, hinter dem sie glücklicherweise aufrecht stehen konnten, ohne gesehen zu werden. „Wer hat den Doch eigentlich? Hast du ihn?"
Ylva schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich es schaffen würde ihn zu erstechen. Raphael hat ihn." Feya nickte. „Okay."
Plötzlich begann Ylva damit Feya hektisch auf die Schulter zu tippen. „Feya, da der Zauber!", zischte sie und deutete auf den Nebel, der merkwürdig zu flackern begann. Feya hielt die Luft an. „Wenn der Zauber aufgehoben ist, wird Asmodeus hier jeden Moment auftauchen.", hauchte sie und schaute sich hektisch um.

Jade verzog das Gesicht. „Riecht ihr das auch? Irgendwie...verbrannt."
Raven schob sich zwischen Ylva und Jade, um selbst einen Blick auf den Lebensstein erhaschen zu können. Inzwischen war die Sonne vollständig hinter den hohen Bergen verschwunden und ein seltsamer Nebel zog auf. Keiner von den Freundinnen traute sich einen Ton von sich zu geben. Jade hatte lautlos den Pfeil in ihren Bogen gespannt und richtete ihn nun auf die Platzmitte. Der Nebel verdichtete sich und sie musste die Augen zusammenkneifen, um etwas erkennen zu können.
Plötzlich nahm sie eine Bewegung wahr. Eine Gestalt, die sich langsam auf den Lebensstein zubewegte. Sie hielt die Luft an und spannte den Bogen noch ein bisschen weiter. Durch die Nebelschwaden konnte sie zwei rot blitzende Augen erkennen, die starr auf den gelben Kristall gerichtet waren. Jade warf Raven einen leichten Seitenblick zu. Diese nickte nur stumm. Jade schloss die Augen und ließ die Sehne über ihre Finger gleiten. Der Pfeil löste sich von der Sehne und zischte beinahe lautlos durch die Luft. Jade ließ den Bogen sinken und schaute dem Pfeil nach, der in dem dichten Nebel verschwand. Sie erwartete ein schmatzendes Geräusch und einen Aufschrei, doch es blieb totenstill. Erst nach einigen elend langen Sekunden erklang ein kehliges Lachen, gemischt mit dem lauten Jaulen. Raven umklammerte ihr Wurfmesser fester. „Ich glaube, du hast danebengeschossen Jade."
Jade schüttelte den Kopf. „Ich schieße nie daneben. Eigentlich müsste ich ihn getroffen haben..."

Queens- When darkness fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt