Kai

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Nach ungefähr drei Stunden kommt Harry wieder zu mir. Er sieht mich an und fährt sich frustriert durch die Haare. „Was soll ich bloß mit dir tun?" fragt er genervt.

„Ich muss pinkeln." gebe ich genervt zurück. „Seit ungefähr zwei Stunden."

„Wessen schuld ist es denn?" fragt Harry und stellt sich vor mich hin. „Du bist nicht ohne Grund hier."

„Woher weißt du wie meine Mutter heißt." frage ich und sehe ihn abwartend an.

Stille.

Immer noch sagt er nichts.

„Und?"

„Du hast es mir selbst verraten." gibt er lässig zurück. „Als ich dich das erste mal gefragt habe wo sie ist, sagtest du mir ihren Namen." Lüge.

Ich spreche den Namen meiner Mutter ungern aus und auch sehr selten. Fast nie. Deshalb weiß ich, dass das gelogen ist. „Das stimmt nicht, Harry. Ich habe dir nie ihren Namen verraten. Ich hätte mich daran erinnern können." er steht auf und bindet meine Hände los.

„Komm." sagt er und geht zur Treppe. „Bevor ich es mir anders überlege." ich stehe auf und wir gehen ins Wohnzimmer. Sofort laufe ich ins Bad, bevor noch ein Unfall passiert.

„Darf ich duschen gehen?" Harry sieht mich an als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.

„Ich bitte dich darum." sagt er und ich verdrehe die Augen.

Als ich aus der Dusche komme, höre ich eine weibliche Stimme unten. Das muss wohl Fanny sein.

Als ich die Treppen runterkomme, begrüßt sie mich.
„Ich habe einen Kuchen mitgebracht." sagt sie fröhlich und ich lächle.

Nachdem Fanny weg ist, setzen wir uns ins Wohnzimmer und ich kann einfach nicht aufhören, über die Sache mit meiner Mutter nachzudenken. Deshalb traue ich mich nochmals zu fragen. „Harry, woher wusstest du wie meine Mutt-." Harry haut auf den Tisch und steht auf.

„Wenn du mir noch einmal diese Frage stellst, dann bringe ich dich zurück zu meinem Vater und der darf dich dann erschießen!" brüllt er und ich zucke zusammen. „Hör also auf mit der Scheiße." er schaut mir tief in die Augen und dann merke ich es. Wie konnte ich nur so dumm sein? Sie haben die selbe Form und die selbe Farbe. Ich schaue auf seine Lippen. Er hatte genau dieselben Lippen.

„Kai." flüstere ich und sofort zieht Harry die Augenbrauen zusammen. „Du bist Kai." sage ich schockiert und stehe auf. Wie konnte ich es nicht früher erkennen? Diese Augen. Seine Grübchen. Seine Art.

Harry lacht.
Er lacht einfach.
Lacht er mich etwa aus?

„Du kommst nicht mehr in den Keller." flüstert er. „Der tut dir nicht gut." er setzt sich wieder hin und in seinem Gesicht erkenne ich, dass ich recht habe. Er ist Kai.

„Ich weiß das du es bist." sage ich wieder. Diesmal etwas selbstsicherer. „Ich weiß es einfach."

„Ich bin Harry, Hope." ich stehe auf, nehme seine Hand und ziehe ihn hoch. Er starrt mich verblüfft an. Ich drehe ihn um und ziehe sein Shirt hoch. Dann streiche ich über die Narbe an seiner rechten Schulter. Eine Narbe in Form einer X. Es ist Kai.

„Du bist es." sage ich leise während ich über die Narbe streiche. „Du bist Kai." abrupt dreht er sich um und hält mich an den Schultern fest. Dann rüttelt er mich.

„Ich weiß nicht von welcher Scheiße du hier sprichst, aber, ich bin nicht der, für den du mich hältst." er geht einen Schritt zurück und setzt sich wieder hin. „Du bist am durchdrehen." sagt er.

Nach einer Weile steht Harry auf und geht rauf ins Schlafzimmer. „Ich werde schlafen gehen, du kannst gerne noch hier bleiben und deine Serie anschauen." Ich nicke nur.

Seit ungefähr 30 Minuten ist Harry oben und seit 30 Minuten starre auf die Tür, die zu seinem Büro führt. Ich stehe langsam auf und drehe den Fernseher einwenig leiser, damit ich ihn höre, falls er beschließt runterzukommen. Ich gehe zu der Tür und bleibe davor stehen. Ein letztes Mal atme ich tief durch und halte die schnalle. Irgendwie hoffe ich, dass er sie abgesperrt hat, so wie er das immer tut. Doch die Hoffnung stirbt, als sich die Türe öffnen lässt. Ich mache einen Schritt nach vorne und lasse die Tür einwenig offen. Es ist riesig und wunderschön eingerichtet. Neben dem Fenster steht ein Schreibtisch mit seinem Laptop drauf. Ich gehe langsam hinein und schalte den Laptop ein. Dann erscheint ein Bild und das Passwort wird angefordert. Na toll. Ich versuche es auf gut Glück. Wenigstens sind es nur sechs Ziffer.
123456. Nein. 000000. Auch nicht. Wann hat er wohl Geburtstag? Werde ich wohl nie erfahren. Nach dem vierten Versuch bin ich gerade dabei aufzugeben, aber dann tue ich etwas sehr dummes. Ich gebe mein Geburtsdatum ein. Für einen Moment starre ich einfach in den Bildschirm. Was zur Hölle? Es hat funktioniert. Ich bin drinnen. Es muss nichts heißen. Zufälle passieren. Rede ich mir ein, während ich auf verschiedene Ordner tippe. Überall sind irgendwelche Dokumente drinnen von denen ich genau null verstehe. Dann öffne ich einen Ordner, der ‚unnecessary' heißt. In diesem Ordner versteckt sich ein weiterer. ‚Mom' lese ich leise vor und öffne den Ordner. Dann sehe ich sie. Sie sitzt auf ihrer Terrasse, hat eine Tasse in der Hand und lächelt in die Kamera. Ich gehe weiter. Dann sehe ich ihn. Kai. Er sitzt neben ihr und sie kneift ihm in die Wange. Kai und seine Mutter. Ich tippe weiter. Als ich das nächste Bild sehe, beginne ich zu schluchzen. Kai und ich. Wir sitzen auf der Wiese und während ich in die Kamera schaue, schaut Kai zu mir. Mein vierzehnter Geburtstag.

Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen, was mir leider nicht gelingt.

„Was zur verfickten Hölle?" Scheiße. Abrupt stehe ich auf und sehe in zwei hasserfüllte Augen. Fuck fuck fuck.

Gescheiterte EntführungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt