»12« Zwischen Toten und Verschwörern

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Die Atmosphäre ist zum zerreißen angespannt. Keines meiner Fragen werden mir beantwortet und der mysteriöse Kerl kann wohl nicht mehr als einen böse anstarren.

„Folgt mir", ertönt ein weiteres Mal die viel zu tiefe, souveräne Stimme und lässt mich zusammenzucken. Kann der Kerl uns nur herumkommandieren? Genervt verdrehe ich die Augen und laufe ihm und Susi nach. Es sieht hier gar nicht mal so anders aus, als auf der Tōshi Gakko. Auch hier ist alles im warmen Licht getaucht, die Wände sind braungestrichen und sogar die selben Bücherregale stehen hier und dort. Wieso sind die Kampfschulen bloß verfeindet? Und wieso haben sie so viele Ähnlichkeiten? Ob die Besitzer einst Freunde waren? So fangen ja meistens die tragischen Geschichten an. Zwei beste Freunde, die beide davon träumen eine Kampfschule zu eröffnen und sich gegenseitig helfen, bis sie die Spitze des Erfolgs erreichen. Der Eine hat mehr Erfolg und der Andere weniger.

Dann kommt die Eifersucht. Und die Eifersucht ist bekanntlich die tödlichste Waffe.

„Lara, beeil dich etwas", zischt Susi plötzlich und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich beiße die Zähne zusammen und werfe ihr einen bösen Blick zu. Sie soll mich verdammt nochmal nicht erschrecken! Als ich leise seufzend wieder nach vorne sehe, fällt mir erst auf, dass wir uns gar nicht mehr im Gebäude befinden. Wir müssen wohl sowas wie in den Garten gehen oder wohin gehen wir?

Ach, verdammt! Ich hätte echt erstmal mehr lernen sollen, bevor ich der verrückten Zuckerwatte und Hulk folge. Wenn die mir was antun, wie soll ich mich dann wehren?

„Keine Angst übrigens. Ich weiß zwar nicht, wie du dazu stehst, aber hab' einfach keine Angst, okay?", flüstert Susi mir ins Ohr. Ich runzle die Stirn. Wie bitte? Was ist das bitte für ein Satz?

Hab einfach keine Angst, okay?, geht mir ein weiteres Mal ihre Stimme durch den Kopf. Sowas kann man ja wohl nicht lenken!

Als wir vor zwei riesigen Toren stehen bleiben, verstehe ich. Ich erstarre. Was zum Teufel? Ist das etwa ein Friedhof?!

„Wieso ein Friedhof?", zische ich Susi zu, doch sie drückt sich hastig den Zeigefinger an die Lippen und beteuert mir, die Klappe zu halten, ehe sie auf Hulk zeigt.

„Später", formt sie mit den Lippen.

Susi folgt ihm. Ich bleibe stehen und sehe auf die Gräber, die man aus dieser Entfernung bereits sehen kann. Warum gibt es an dieser Schule einen Friedhof? Und wohin gehen wir bloß?

Es ist nicht so, dass ich Angst vor den Toten hätte, das könnte ich ja gar nicht, denn mit ihnen bin ich groß geworden. Mit zehn Jahren verbrachte ich irgendwann nicht nur den ganzen Tag am Begräbnis meiner Familie, sondern auch die Nacht. Dass ich am nächsten Tag mächtigen Ärger von meiner Leiterin bekam, war mir egal.

Also nein, ich fürchte mich nicht vor dem Friedhof, sondern vor der Situation.

„Wahrscheinlich ist das alles nur ein dummer Witz für Neue, oder so. Komm runter, Lara", spreche ich mir selbst zu, ehe ich beschließe den Beiden zu folgen. Sie haben die Tore zwar schon passiert, aber gerade flüstert Hulk der Zuckerwatte etwas ins Ohr, sodass sie langsamer laufen.

Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich die verrosteten Tore des Friedhofs öffne. Das Tor quietscht und dieses Geräusch lässt meine Nackenhaare zu Berge stehen. Dio mio... Ich stoße hastig ein Bittgebet gen Himmel. Der fast vollendete Vollmond hängt am schwarzen Himmel, umgebem von dichten Wolken, welche die vielen kleine Sterne verdecken und den Mond einsam wirken lassen. Nachdem ich das Tor hinter mir schließe, lasse ich meinen Blick über die verlassene und heruntergekommene Totenstädte schweifen. Unmengen an Gräbern in verschiedenen Größen reihen sich vor mir auf. Der Mond zieht lange Schatten hinter den Grabsteinen und der Wind heult um die Gräber. Wenn man nicht aufpasst, kann man das Heulen des Windes schnell anders interpretieren.

Agonía SilenciosaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt