»8« Zwischen Bäumen und Büschen

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𝕃 𝔸 ℝ 𝔸

„Und jetzt geht es also zu diesem Schilu...", seufze ich, während ich der Zuckerwatte nach draußen folge. Sie knurrt und bleibt abrupt stehen.

Shifu, Lara! Merk es dir, sonst kriegst du auf's Maul" Genervt sieht sie aus blauen Augen zu mir, bevor sie sich wieder umdreht und weitergeht. Ich verziehe das Gesicht und äffe sie leise nach. Ich höre das leise Rauschen des Wassers, als wir das Gebäude verlassen. Sehnsuchtsvoll sehe ich mich um und erblicke das Meer.

Am liebsten würde ich einfach reinspringen...

„Er sitzt übrigens dort oben und kann uns sehen. Komm jetzt also bloß nicht auf dumme Gedanken...", ertönt Susi's Stimme, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und folge stattdessen mit fragendem Ausdruck ihrem Finger. Zuerst müssen wir einige Stufen hoch gehen, worauf ich jetzt schon keine Lust habe. Dann dürfte eine aus Seil gebaute Brücke, wie man sie aus dem Spielplatz noch kennt, zu jemanden nach oben führen, den ich von hier unten jedoch nicht sehen kann.

Wieso kann er uns sehen, wir ihn aber nicht? Das ist total unfair.

„Was wird er von mir wollen?", frage ich Susi, während wir langsam die steinige Treppe hochgehen. Susi schüttelt den Kopf.

„Mach dir keine Gedanken. So schlimm wird es nicht. Ich kann es dir aber auch nicht erklären, denn Shifu entscheidet selbst, wie er dich trainieren möchte.", sagt sie, woraufhin ich langsam nicke. Ich schnaufe bereits und spüre die Seitenstiche, während Susi friedlich voranschreitet. Sie atmet nicht einmal schwer.

„Jetzt sind wir da.", höre ich die Zuckerwatte sagen, doch das nehme ich nur am Rande wahr, denn mein Blick richtet sich auf den alten Mann, der im Schneidersitz auf den Boden sitzt, die Hände auf Augenhöhe, welche im übrigen geschlossen sind und immer wieder das selbe Wort wiederholt.

„Om...", ertönt es leise. Seine Stimme ist tief und rau. Staunend sehe ich mich um.

Ist hier das Paradies?

Hier oben ist es so wunderschön! Der Shifu sitzt in Blüten, links von ihm ist eine Tasse Tee positioniert, die Halme wiegen sich im Wind und das gleichklingende, rhythmische ›Om‹ lässt mich plötzlich so leicht fühlen, als wäre ich ein Vogel, dass bloß die Flügel ausbreiten muss um frei zu sein.

„Nǐ hǎo, Shifu", reißt mich Susi's Stimme aus den Gedanken. Als ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich, dass sie respektvoll den Kopf gesenkt hat. Shifu sagt nichts mehr und als ich zu ihm sehe, hat er ein kleines Lächeln auf den Lippen, die Augen jedoch sind noch geschlossen. Fragend sehe ich wieder zu Susi, die noch in der selben Pose verharrt. Muss ich das nicht auch machen? Susi hat mir gar nicht erklärt, wie ich ihn begrüßen muss.

„Nǐ hǎo, Susan."

Sobald Shifu dies sagt, hebt Susi den Kopf und öffnet die Augen. Ich bekomme eine Gänsehaut bei seiner Stimme. Wie bereits erahnt klingt sie tief und rau.

„Du hast mir einen neuen Trainee hergebracht. Was verschafft mir die Ehre?", fragt er, doch dabei sieht er mich an. Ich zögere und befeuchte meine Unterlippe mit der Zunge, bevor ich zu sprechen beginne.

„Mein Name ist Lara...", sage ich, weil ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll. Woher soll ich denn wissen, wieso ich her muss? Susi sagte doch, dass alle neuen Trainees her müssten, warum also fragt er mich das?

Agonía SilenciosaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt