Zufrieden läuft Lilia durch die Stadt. Glücklich ist sie nicht, das war sie schon lange Zeit nicht mehr. Doch sie ist zufrieden. Sie hat sich ein paar Sachen gekauft und musste nicht einmal Geld dafür ausgeben. Und hat dazu noch jemanden, der ihr ihre Tüten trägt.
„Mach doch mal langsam!", ruft Meran ihr zu, da sie schnellen Schrittes voran läuft. Sie dreht sich nur kurz um, streckt ihm die Zunge heraus und führt ihren Weg unbeirrt fort. Irgendwie fand Meran das ein wenig niedlich, weshalb er einfach ein bisschen schneller ging, bis er lachend zu ihr aufgeschlossen hat.
„Und was hast du jetzt vor?", fragt er sie lächelnd. Lilia zuckt nur mit den Schultern.
„Ich hab das was ich wollte erledigt, also kannst du jetzt aussuchen.", sagt sie und sieht zu ihm auf. Erst jetzt bemerkt sie, dass er sie ohne Pause ansieht, und wird deshalb leicht rot. Und dieses Mal konnte sie es nicht schnell genug verstecken. Ein breites Grinsen breitet sich auf Merans Gesicht aus. „Alles okay?", fragt er sie schmunzelnd, nur um sie ein wenig zu ärgern. Das ist Lilia natürlich bewusst. Sie schlägt ihm gegen den Oberarm, sieht ihn böse an und läuft immer schneller. Lässt einen unecht jammernden Meran hinter sich zurück. Sie geht noch schneller, biegt in eine kleine, schmale Seitenstraße ein und geht stur weiter. Nun hat sie ihn vorerst los. Soll er sich doch verlaufen. Sie wird schon irgendwie nachhause kommen. Sie hält ihren Blick gen Boden gerichtet, achtet nicht auf ihre Umwelt, geschweige denn die Menschen, die an ihr vorbei gehen.
„Ach, wen haben wir denn da?" Lilia schreckt auf. Sie kennt die Stimme. Zu gut, genauso wie die Leute die vor ihr stehen. Matt, Jessica und Ryan. Vor einiger Zeit hatte sie immer mal wieder was mit ihnen zusammen unternommen. Waren so etwas wie Freunde. Sie hatten gleiche Interessen, denselben Musikgeschmack, ähnliche Kleidungsstile. Sie wollte schnell an ihnen vorbei gehen, doch Jessica packt sie am Oberteil und drückt sie gegen die Wand des Hauses hinter ihr.
„Wo willst du denn so schnell hin, hn?", fragt sie hämisch lachend und Lilia schaut nur zur Seite.
„Was wollt ihr?", fragt sie leise, monoton. Ryan tritt lachend an sie heran.
„Ach nichts, wir wollten nur sehen wie's der kleinen Prinzessin so geht.", grinst er sie an. Lilia blickt wütend zu ihm auf.
„Nenn' mich nicht so." Dieses Mal klingt ihre Stimme kräftiger, stärker. Sie wollte weg. Einfach nur weg von ihnen. Von ihren ehemaligen ‚Freunden'. Tränen sammeln sich schon in ihren Augen an, doch sie konnte hier nicht anfangen zu weinen. Nicht vor denen.
Sie versucht Jessicas Hand wegzuschlagen, doch noch bevor sie sie berührt, fängt Matt ihre Hand ab. Hält ihr Handgelenk fest. Lilia schreit leise auf. Das bemerken sie. Schnell zieht Matt den Ärmel der Weste hoch, entfernt das Tuch das um ihr Handgelenk gebunden ist. Sie will sich losreißen, aber sie schafft es nicht. Alleine gegen zwei kommt sie einfach nicht an. Ryan fängt an zu lachen, als er ihren vernarbten, verschnittenen Unterarm sieht.
„Was bist du doch für ein jämmerliches Prinzesschen." Jessica und Matt stimmen in sein Lachen ein. Lilia windet sich im Griff der beiden, als Jessica beginnt über die noch relativ frischen Wunden zu Kratzen und sie wieder aufzureißen.
„Lasst los, lasst mich!", wimmert Lilia, doch ihre ‚Freunde' lachten sie nur aus.
„Geschieht dir recht", zischt Jessica und grinst sie spöttisch an. Reißt weiterhin die Wunden auf. Lilia schließt die Augen. Sie wünscht sich einfach nur, dass es vorbei ist, dass sie weg von ihnen ist.
Plötzlich sind der Druck und der Schmerz weg, ihr Arm fällt schlaff herab. Überrascht öffnet sie die Augen. Und ist zum ersten Mal froh, Meran zu sehen. Er steht mit dem Rücken zu ihr gewendet vor ihr.
„Verschwindet." Noch nie klang seine Stimme so ernst und wütend. Lilia zuckt leicht zusammen als sie diesen Tonfall hört. Er passt absolut nicht zu ihm. Sie beugt sich leicht zur Seite, schaut an Meran vorbei, da er ihr die Sicht versperrt hatte. Matt hält sich die Nase, zwischen seinen Fingern quillt Blut hervor. Und auf Jessicas Wange kann man deutlich rote Striemen, die nach Fingern aussehen, erkennen. Ryan sieht Meran einfach nur wütend an. Blickt dann jedoch an ihm vorbei zu Lilia.
„Hast dir ein nettes Wachhündchen angelacht, Lilia. Willst du ihn auch in den Tod treiben, wie Casey?" Lilias Gesichtszüge erstarrten. Wut kocht in ihr auf. Sie geht an Meran vorbei und schlägt Ryan mit der flachen Hand ins Gesicht. Es schallt durch die Seitenstraße und sein Kopf wird heftig zur Seite gedreht. Seine Wange ist an einer Stelle aufgeplatzt und blutet.
„Das ist nicht wahr!", schreit sie ihn an. Merans überraschten Blick bemerkt sie nicht. Ryan dreht den Kopf zurück, beugt sich näher zu ihr herab.
„Doch. Und das weißt du genau.", wispert er und beginnt zu lachen. „Kommt Leute, lassen wir die Kleine mal in Ruhe. Vorerst." Sie gehen weiter, verlassen die Gasse. Als sie aus Lilias Blickfeld verschwunden sind, sackt sie auf ihre Knie herab. Beginnt unregelmäßig zu atmen. Sie kann nicht mehr. Und sie will auch nicht mehr. Sie will nur noch weg.
Nur am Rande bemerkt sie, wie Meran sich zu ihr herab beugt. In seiner Hand hält er ihr Tuch und bindet es vorsichtig um ihr blutendes Handgelenk. Er sagt nichts. Redet kein Wort. Stellt keine Fragen. Bleibt einfach stumm bei ihr.
Nach einer Weile, als sie sich beruhigt hat, hilft er ihr wieder auf die Beine. Sie klammert sich an seinem Arm fest, versteckt das Gesicht hinter ihrem Pony.
„Tut mir leid... und danke.", nuschelt sie. Leise. Schwach. Meran schüttelt leicht den Kopf. Er legt seine Hand an ihre Wange, zwingt sie ihn anzusehen.
„Hey, alles ist ok." Er wischt ihr mit dem Daumen eine Träne weg. „Komm, wir gehen was essen." Lilia nickt nur. Sie ist froh, dass er keine Fragen stellt. Zumindest im Moment nicht. Irgendwann wird er es aber doch wissen wollen. Was das war. Und vor diesem Moment hat sie Angst.
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Pretty Pictures
Teen FictionLilia ist gefangen. Gefangen von ihrem Drang zur Selbstverletzung. Doch sie kann und will einfach nicht aufhören. Welchen Grund hätte sie auch dazu? Genau, gar keinen. Unterstützende Freunde fehlen. Und die Leute in der Schule, für die sie nur als M...