Es war schon spät und dunkel als wir nach Hause kamen. Wütend kam unser Vater an und brüllt uns auf Türkisch an. Er hatte getrunken, ich roch den Alkohol ganz deutlich. Ayaz bedeutete uns ins Zimmer zu gehen, also nahm ich Davin's Hand und ging mit ihm ins Schlafzimmer. Wir setzten und aufs Bett und ich nahm ihn fest in den Arm.
„Ayaz klärt das, alles wird gut.", sagte ich zu ihm, obwohl ich wusste, dass mein Vater ihn schlagen würde.
Ayaz antwortete auf Türkisch und der Streit wurde immer heftiger. Also wenn ich gewollt hätte, hätte ich jedes Wort verstanden, da ich auch Türkisch konnte, aber es war die Sprache von meinem Vater, deswegen blendete ich sie immer aus und sprechen wollte ich sie auch nicht.
Ich hielt Davin die Ohren zu und drückte ihn fest an mich. Und plötzlich hörte man, wie zwei Fäuste flogen und dann folgte ein Moment der Stille. Alles war beängstigend ruhig.
„Das wirst du bereuen Ayaz!", schrie unser Vater und dann hörte man ganz viel Schläge. Ayaz schrie und ich hörte ihn auf Türkisch immer wieder um Gnade winseln und dass es ihm leid tat. Es war schrecklich. Ich wollte zu ihm und ihm helfen, aber ich wusste, dass ich nichts ausrichten konnte. Ich konnte ihm nicht helfen.
Plötzlich hörten die Schreie auf und man hörte nur noch Schläge.
„Es reicht.", sagte unsere Mutter. Es überraschte mich, dass sie was dazu sagte, sonst schwieg sie immer.
Die Schläge hörten auf. Jetzt war es furchtbar still. Wenig später fing an unser Vater zu fluchen. Ich bekam Angst. Angst, dass unserem Bruder was Ernstes zugestoßen war.
„Ich guck' mal schnell nach, Davin.", sagte ich und stand auf. Meine Beine zitterten vor Aufregung, aber ich musste nachschauen. Ich öffnete leise die Tür und sah in den Flur. Da lag er, blutend und bewegungslos. So als wäre er ohnmächtig. Unsere Mutter stand an der Küchentür und zog an ihrem Joint. Die Drogen hatten sie völlig gefühlstot gemacht. Unser Vater stand neben Ayaz und raufte sich mit seinen blutigen Händen seine Haare. Dann sah er zu mir. Ich musste weg, aber ich konnte mich nicht bewegen. Unser Vater kam auf mich zu und packte mich grob am Shirt.
„Hör zu! Ayaz ist abgehauen und ihr wisst nicht wohin! Verstanden!?", zischte unser Vater wütend. Ich war so geschockt, dass Ayaz wirklich tot war, dass ich nicht antworten konnte. Ich war wie erstarrt und sah unseren Vater stumm an.
„Hast du verstanden!?", zischte er wütender. Ich nickte und Tränen stiegen mir in die Augen.
„Gut, sag Davin das auch!", sagte er. Er ließ mich los und ging zu Ayaz Körper.
„Aber Papa, kannst du ihn nicht wiederbeleben?", sagte ich. Meine Stimme drohte unter den Tränen zu ersticken.
„Nein! Kann ich nicht. Geh in dein Zimmer.", sagte er ungewöhnlich ruhig. Zögernd ging ich wieder ins Zimmer und schloss die Tür.
„Namik? Was ist mit Ayaz?", hörte ich Davin fragen. Ich ging zu ihm und überlegte, was ich sagen sollte, aber ich wusste nicht was, also setzte ich mich einfach zu ihm aufs Bett und nahm ihn weinend in den Arm.
„Er lebt doch noch, oder?", fragte er, Angst lag in seiner Stimme. Ich konnte nicht antworten, in meinem Hals war ein dicker Klos. Weinend drückte ich fester an mich.
„Oder?", fragte er nochmal. Ich schüttelte den Kopf. Ich hörte, wie Davin auch anfing zu weinen. Wir weinten lange, wirklich sehr lange. Hin und wieder hörte ich Geräusche und ich wusste, dass unser Vater gerade unseren Bruder wegschaffte und die Spuren beseitigte.
Irgendwann schlief Davin ein, aber ich konnte nicht schlafen. Ich blieb die ganze Nacht wach und sah auf das leere Bett neben uns. Ich dachte darüber nach, was wohl mit uns passieren würde. Da ich der älteste jetzt war, musste ich Davin beschützen. Ayaz hatte immer gesagt, dass er mit 18 ausziehen würde und uns mitnehmen würde, aber das würde jetzt wohl nicht mehr passieren. Und bis ich ausziehen könnte, würde es auch viel zu lange dauern. Nein, ich musste mit Davin hier weg. Am Montag würden wir anstatt in die Schule zum Bahnhof gehen und einfach wegfahren. Und wenn sie es merken, wäre es schon viel zu spät. Ja genau so würden wir es machen.Früh morgens klingelte es an unserer Haustür und mein Vater öffnete. Ich stand auf und lauschte an der Tür.
„Wir sind hier wegen ihrem Sohn.", sagte eine Stimme, das war bestimmt die Polizei.
„Ja, kommen Sie rein.", sagte unser Vater. Er wirkte aufgewühlt, ich wusste nur nicht, ob es die Angst vor der Polizei war oder ob er alles schauspielerte. Auf jeden Fall schien es überzeugend zu wirken und die Polizei kam rein und unterhielt sich leise mit unserem Vater im Wohnzimmer weiter.
Ich sah kurz zu Davin und vergewisserte mich, dass er schlief, dann schlich ich mich leise aus dem Zimmer. Ich ging in die Küche und suchte nach etwas zu essen. Meine Schnittwunde am Fuß tat furchtbar weh, weswegen ich halb humpelte. Ich suchte nach was zu essen, aber ich hatte keinen Hunger und Davin hatte bestimmt auch keinen. Aber er muss was essen und ich auch. Wir würden Kraft brauchen, wenn wir hier wegwollten.
„Namik? Warum bist du schon wach?", hörte ich plötzlich unser Vater fragen. Ich drehte mich um und sah ihn, wie er in der Tür zur Küche stand.
„Die Klingel hatte mich geweckt und dann hatte ich Hunger.", antwortete ich leise. Ich wusste, dass er mich nicht schlagen würde, solang dir Polizei da ist.
„Wir gehen nachher einkaufen, okay?", sagte er und nahm mich in den Arm. Es machte mir Angst, dass er so nett war.
„Ist das die Polizei die gekommen ist?", fragte ich ihn. Mein Herz raste, obwohl ich wusste, dass ich sicher war.
„Ja, wegen deinem Bruder. Leg dich wieder schlafen.", antwortete unser Vater.
„Ich kann aber nicht schlafen und ich will Davin nicht wecken.", sagte ich bedrückt.
„Ich bin auch brav.", fügte ich hinzu. Unser Vater überlegte und nickt dann.
„Na gut. Aber sei still."
Ich nickte und er führte mich ins Wohnzimmer. Die Polizisten saßen auf dem Sofa und unser Vater setzte sich auf den Sessel. Ich setzte mich auf den Boden neben den Sessel von meinem Vater.
Der Polizist lächelte mir zu und lächelte kurz gezwungen zurück.
„Also, hatte ihr Sohn ärger mit wem aus der Familie?", fragte der Polizist meinen Vater.
„Nein, eigentlich nicht.", antwortete er. Am liebsten hätte ich ihm widersprochen, aber dann würde ich genauso Verschwinden wie Ayaz und die Polizei würde mir wahrscheinlich eh nicht glauben.
Unser Vater strich mir liebevoll über den Kopf. Es machte mir Angst, dass er sagte, ich würde mich weigern. Hoffentlich würde er nicht sauer auf mich sein.
„Namik? So heißt du doch, oder?", sagte der Polizist zu mir. Ich sah ihn an und nickte stumm.
„Weißt du, ob dein Bruder mit irgendwem streit hatte?", fragte er weiter. Ich sah zu unserem Vater auf, er sah mich erwartungsvoll an, als würde er erwarten, dass ich antworte.
„Nein, er verstand sich immer gut mit allen.", sagte ich leise. Der Polizist nickte und stand dann auf. Er verabschiedete sich und ging dann.
Unser Vater sah mich an und lächelte.
„Das hast du gut gemacht.", sagte er und ging dann.
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Namik
Teen FictionIhr Vater schlägt sie und hat oft Wutausbrüche. Als der große Bruder vom Vater totgeschlagen wurde, muss Namik die Stelle vom großen Bruder einnehmen. Er flieht mit seinem jüngeren Bruder Davin und kämpft um deren Überleben, denn es gibt viele gefäh...