Ich stand extra früh auf um uns Brötchen vom Bäcker zu holen. Das Wochenende war schrecklich, da wir die Wohnung nicht verlassen durften und unser Vater pissig war, weil unsere Mutter sich richtig den Kopf wegballerte mit den Drogen.
Davin wusste Bescheid, wir hatte schon unsere Sachen gepackt und ich hatte das gesparte Geld von Ayaz. Es waren nur 20€, aber es war besser als nichts.
Ich kam mit der Brötchentüte in unser Schlafzimmer rein. Davin lag noch immer im Bett und starrte deprimiert an die Wand. Eigentlich war es ungewöhnlich direkt wieder in die Schule zu gehen, wenn gerade erst unser Bruder gestorben ist, aber unseren Vater kümmerte es eh nicht.
„Steh auf Davin. Ich hab uns Brötchen geholt und wir müssen auch gleich los zur Schule.", sagte ich und setzte mich zu ihm ans Bett.
„Mir ist so schlecht, ich will nicht.", murrte er und dreht sich weg.
„Das kommt daher, dass du kaum was isst. Na los Davin. Probier es wenigstens. Und Bewegung tut dir bestimmt auch gut.", sagte ich strich über seine Haare, so wie es Ayaz immer bei uns getan hat. Murrend setzte er sich auf und ich hab ihm ein Brötchen. Zusammen aßen wir das Brötchen und zwängten es uns herein. Mir war auch schlecht und überhaupt nicht nach Essen zumute, aber wir brauchten Kraft. Ich lächelte Davin an und er lächelte kurz zurück.
„Na komm, mach dich fertig."
Davin nickte und stand auf. Wir gingen zusammen ins Bad und machten uns fertig. Wir nahmen eine letzte Dusche und etwas Deo und dann waren wir fertig. Unser Vater wusste nichts von unserem Vorhaben, aber es musste klappen. Wir nahmen unsere Schulranzen und gingen los. Der Weg zum Bahnhof war weit und Davin ging recht langsam, da er über das Wochenende viel zu wenig gegessen hatte. Ich nahm ihn an der Hand und eigentlich wusste ich auch, dass wir Zeit hatten. 10min würden es zumindest nicht ausmachen, ob wir erwischt wurden oder nicht. Ich machte mir eher sorgen, dass uns die Polizei aufgabelt und fragt wohin wir wollten und warum wir nicht in der Schule sind oder sowas.
Wir betraten das Bahnhofsgebäude und ich zog am Automaten Tickets bis nach Dortmund, weiter kamen wir nicht für 20€ und es musste ja noch etwas übrig bleiben zum Essen. Wir gingen hoch zu Gleis und setzten uns auf eine Bank. Die Leute sahen uns komisch an, stellten aber keine Fragen.
„Warum fahren wir nach Dortmund?", fragte mich Davin leise. Ich hörte aus seiner Stimme heraus, wie er mit den Tränen kämpfte.
„Weil dort viele Menschen wohnen, da fallen wir nicht so auf.", sagte ich leise und küsste ihn auf den Kopf. Er nickte stumm und krallte sich an mich. Ayaz hätte bestimmt gewollt, dass wir von Zuhause abhauen. Und er hätte auch gewollte, dass wir das ohne die Jugendämter und sowas alles machen. Er hat immer gesagt, dass die uns niemals zusammen lassen würden und Ausländer nur ganz schlecht Familien finden. Ayaz hat sein Aussehen gehasst. In unserem Alter ist das nicht so das Problem, aber wenn man älter wird, werden einem immer mehr Vorurteile an den Kopf geworfen, hatte er gesagt.
Eine Bahnhofsdurchsage erklang und wenig später kam der Zug. Davin war müde und er fror.
„Na komm, das ist unser Zug.", sagte ich. Davin nickte und stand mit mir auf, zusammen gingen wir in den Zug und setzten ins auf einen freien Platz gegenüber von einem alten Dame.
„Ist dir noch immer kalt?", fragte ich Davin, er nickte. Ich zog meine Jacke aus, nahm ihm den Rucksack ab und half ihn in meine Jacke.
„Gleich wird dir bestimmt wärmer.", sagte ich, setzte mich wieder neben ihn und nahm ihn in den Arm. Davin lehnte müde seinen Kopf gegen meine Brust und schlief schon bald ein.
„So früh schon unterwegs?", fragte irgendwann die alte Frau mit einem Lächeln. Ich lächelte zurück und sagte: „Ja, wir fahren zu unseren Großeltern."
„Ach so, woher kommt ihr denn, dass ihr jetzt schon Ferien habt?", fragte sie weiter. Ich zögerte mit meiner Antwort und sagte dann leise, sodass es Davin hoffentlich nicht mitbekam: „Wir haben keine Ferien, wir hatten einen Todesfall in unserer Familie und unsere Eltern wollten, dass wir den Kopf frei kriegen und wollten selber auch etwas Ruhe haben."
Die Oma nickte verständnisvoll.
„Mein Beileid. Aber ihr seid zwei tapfere Jungs, dass ihr alleine Zug fahrt, nach so einem schrecklichen Vorfall."
Ich nickte und die Bilder von Ayaz, wie er tot im Flur lag, schossen mir wieder durch den Kopf. Ich kämpfte mit den Tränen und die Oma reichte mit ein Taschentuch. Ich nahm es und steckte es ein.
„Das tut mir wirklich leid, ich wollte das nicht wieder aufwühlen.", sagte sie und ich nickte.
„Kann ich euch denn was gute tun?"
Ich überlegte. Wir brauchten Geld, aber dass konnte ich sie ja wohl schlecht Fragen, oder doch?
„Wir müssen später noch etwas Zeit an einem Bahnhof verbringen, wegen dem Umsteigen. Mein Bruder und ich sollten eigentlich was essen, aber das Geld reicht nicht mehr und unsere Großeltern haben auch nicht so viel Geld.", sagte ich mit einer bedrückten Stimme. Ich schämte mich schon direkt im nächste Augenblick sie gefragt zu haben.
„Oh, das tut mir aber leid.", sagte sie und fing an ihrer Tasche herumzukramen. Ich wurde rot.
„Sie müssen mir nichts geben.", sagte ich, obwohl ich hoffte, dass sie mir trotzdem was gab. Es war mir nur so peinlich und unangenehm.
Die alte Frau zog einen 10€ Schein aus der Tasche und drückte ihn mir in die Hand.
„Kauft euch was schönes davon.", sagte sie mit einem Lächeln.
„Aber das ist doch viel zu viel!", sagte ich und starrte den Schein in meiner Hand an.
„Ach quatsch, jetzt behalt es und mach deinen Bruder mit was süßem glücklich.", sagte sie. Ich nickte zögernd und steckte es dann hastig ein.
„Vielen Dank.", sagte ich, es war mir noch immer etwas unangenehm, aber ich war froh, dass ich das Geld hatte.
Die Frau und ich unterhielten uns noch etwas und dann hörte ich unseren Bahnhof zum Umsteigen. Ich weckte Davin und wir stiegen aus. Der nächste Zug würde uns in unsere neue Heimat bringen.
Wir waren aufgeregt, aber auch ängstlich, da wir nicht wussten, was uns erwartet.
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Namik
Teen FictionIhr Vater schlägt sie und hat oft Wutausbrüche. Als der große Bruder vom Vater totgeschlagen wurde, muss Namik die Stelle vom großen Bruder einnehmen. Er flieht mit seinem jüngeren Bruder Davin und kämpft um deren Überleben, denn es gibt viele gefäh...