ich will nicht

1K 26 0
                                    

«Was ist los?», fragte Leon. «Sam?»

«Nein!», rief ich jetzt panisch. Ich zerriss den Brief und stürmte hoch in mein Zimmer. Ich warf mich in mein Bett, packte mein Kissen und schrie laut hinein.

«Sam?», hörte ich plötzlich leise Markus' Stimme. Wütend schmiss ich mein Kissen nach ihm.

«Wow, was ist denn los?», fragte Markus und kam auf mich zu gelaufen.

«Was los ist? Meine Mutter ist los!», rief ich und schluchzte laut auf.

«Moment... Warte, deine Mutter?», fragte Markus. Dann kam Leon in mein Zimmer gerannt, gab Markus den zerrissenen Brief und schloss mich in seine Arme.

«Das werden wir verhindern», sagte er.

«Ich will nicht», schluchzte ich.

«Ich weiss», erwiderte Leon leise. Plötzlich hörte ich, wie Markus scharf die Luft einzog. Ich drehte mich mit tränenverschmiertem Gesicht zu ihm und sah, dass er fassungslos auf dem Brief starrte. Er sah mich stumm an, kam dann zu mir und schloss mich auch ganz fest in die Arme.

«Ich will das nicht. Bitte!», sagte ich mit zittriger Stimme.

«Ich will das auch nicht», flüsterte Markus. Plötzlich hörte ich Papa im Wohnzimmer herumbrüllen.

«Verdammt, das kannst du doch nicht machen!», rief er wütend. Markus und ich lösten uns wieder und liefen zu Papa runter. Er war gerade am Telefon.

«Sam ist fünfzehn Jahre alt und kann wohl selber entscheiden, zu wem sie gehen möchte! - Du kannst das aber nicht alleine entscheiden!» Plötzlich wurde Papa kalkweiss. «Was? ... Nein! – Du bist so... Wieso zerrst du Sam immer herum! Sie ist hier doch glücklich, Amanda!»

Ja, meine Mutter hiess Amanda. Ich riss Papa den Hörer aus der Hand.

«Ja, ich bin hier glücklich. Und ich werde ganz sicher nicht wieder zu dir kommen! Nicht in hundert Jahren! Was denkst du eigentlich, wer du bist?! Ich bleibe bei Papa! Hier habe ich wenigstens Leute, die mich mögen, wie ich bin! Nicht so wie bei dir!», schrie ich in das Telefon hinein und legte danach einfach auf. Danach sagte erstmal niemand mehr was, bis sich Papa meldete.

«Hör zu Sam», sagte er leise. «Deine Mutter hat die Rechte über dich. Ich kann da nicht viel machen...»

Mir stockte der Atem.

«Was?», sagte ich leise. Dann kamen mir wieder die Tränen. «Und wieso hast du die Rechte nicht?»

«Ich dachte nicht, dass deine Mutter dich wieder zurück will. Deshalb habe ich nie die Rechte an mich genommen», sagte Papa und sah mich entschuldigend an. Ich hielt mich an der Wand fest, da mir schwindlig geworden war.

«Das heisst... Das heisst, wir können nichts machen», wiederholte ich.

«Nein. Es tut mir so leid.»

Langsam stolperte ich in mein Zimmer und setzte mich aufs Bett. Plötzlich merkte ich, wie sich jemand neben mich setzte und mich fest in seine Arme zog. Ich wusste ohne zu schauen, dass es Markus war.

«Wieso muss sie so grausam sein?», fragte ich schniefend.

«Vielleicht wirst du da ja glücklich», meinte Markus. Er tönte traurig.

«Nein. Wieso sollte ich glücklich sein, wenn ich alles verloren habe?» Ich schluchzte wieder auf. Markus umarmte mich fester.

«Wir kriegen das hin», flüsterte er. «Wir haben bis jetzt alles hinbekommen. Ich komme dich einfach besuchen und nehme die anderen gleich mit.»

«Das lässt sie niemals zu.»

«Das ist mir egal.»

Obwohl mir nicht danach war, musste ich leicht lächeln.

«Lass uns jetzt schlafen», schlug Markus vor und legte sich mit mir hin.

«Ich will das einfach nicht, verstehst du? Wieso ich? Und wieso genau jetzt? Wieso verdammt nochmal sind wir überhaupt hergekommen», sagte ich und ich spürte schon wieder die Wut in mir hochkommen.

«Reg dich nicht auf», sagte Markus beruhigend. «Es kommt alles gut.»

«Woher willst du das wissen?»

«Ich weiss es einfach.»

«Ich will dich nicht verlieren», flüsterte ich.

«Ich will dich auch nicht verlieren», hauchte Markus. «Und das werde ich auch nicht.»

Ich kuschelte mich ganz dicht an Markus ran und er zog mich noch einmal näher zu sich heran. Mit dem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit und dem Gefühl, dass alles gut werden würde, schlief ich schliesslich ein.

Im Halbschlaf merkte ich plötzlich, dass die Tür aufging. Es musste schon eine Stunde vergangen sein, seit ich eingeschlafen war.

«Sie hat den Richtigen gefunden», hörte ich Papa flüstern.

«Ja, das hat sie. Und ich bin wahnsinnig froh, dass es jemand von den Kerlen ist,» flüsterte Leon. «Ich werde sie schrecklich vermissen.»

«Das werden wir alle.»

«Am meisten wohl Markus.»

«Du hast recht.»

«Wie lange wird es wohl gehen, bis wir sie wiedersehen?», fragte Leon.

«Ich weiss es nicht. Es könnte Jahre dauern.»

Es vergingen noch einige Minuten, bis die Tür wieder leise ins Schloss gezogen wurde.

Die Wilden Kerle, die Könige der HöhlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt