der Brief

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Leon kam mit ihm ins Wohnzimmer. Markus hatte einen Rucksack dabei und grinste mich schief an.

«Du hast doch gesagt, ich könne zu dir kommen, wenn es nicht geht», sagte er. In meinem Hirn machte es klick.

«Oh, klar!», sagte ich. Dann wandte ich mich an Papa. «Hör zu Papa, Markus hat...» Hilfesuchend blickte ich zu Markus. «...Probleme mit seiner Familie. Und ich habe ihm gesagt, dass er zu uns kommen könnte, wenn... Naja... Du weisst schon. Wenn es halt zu kompliziert wird.»

Papa schaute Markus geschockt an. «Ähm klar, ich meine, das kannst du jederzeit. Wo willst du schlafen? Bei Leon?»

«Nein, bei mir», sagte ich grinsend, stand auf und zog Markus in mein Zimmer.

«Halt, warte Sam!», rief Papa noch. Doch ich hörte nicht auf ihn. Vor meiner Zimmertür blieb ich stehen und hörte Papa noch weiter zu. «Verflixt. Ist er... Also ich meine...», sagte er dann an Leon gerichtet.

«Ja, er ist ihr Freund», sagte Leon nur lachend. Ich schnaubte.

«Idiot», murmelte ich nur. Markus lachte leicht.

«Hat er es nicht gewusst?», fragte er grinsend.

«Nein. Weiss deine Familie etwa davon?»

«Nein...», murmelte Markus und sein Gesicht wurde schlagartig traurig. Verdammt, das wollte ich jetzt wirklich nicht. Ich zog Markus in mein Zimmer und schloss die Tür möglichst lautlos hinter uns zu.

«Hey, sorry. Das wollte ich nicht», sagte ich leise und zog Markus neben mir auf mein Bett.

«Schon gut», erwiderte Markus nur. Doch ich merkte, wie sehr es ihn beschäftigte.

«Nein, ist es nicht. Wenn du willst, kannst du mit mir darüber reden», forderte ich ihn auf. Markus atmete kurz durch.

«Irgendwie habe ich mich auf zu Hause gefreut. Ein kleines Bisschen von mir hat sich danach gesehnt, endlich wieder meine Familie zu sehen. Eigentlich habe ich genau gewusst, dass meine Eltern sauer sein würden, aber ich hatte das einfach ignoriert. Und dann, als ich vor der Haustür stand und ins Haus getreten bin, wurde ich erst einmal zusammengeschissen. Ich meine, wieso machen sie das?», fragte Markus und ich konnte Tränen in seinen Augen erkennen. «Ich bin dann in mein Zimmer abgehauen und direkt zu euch gekommen.»

«Es tut mir so leid», sagte ich leise und nahm Markus in den Arm.

«Du kannst nichts dafür.»

«Trotzdem. Es tut mir leid für dich. Eins musst du wissen. Du kannst immer zu mir kommen. Okay?»

«Danke», flüsterte Markus.

«Dafür doch nicht», sagte ich nur und nahm Markus' Hand in meine. Dann schaute ich mich in meinem Zimmer um. Nur ein Schrank, ein Bett und ein Schreibtisch waren drin. Es war noch genauso eingerichtet wie damals, als ich wieder nach Grünwald kam. Verdammt, war das jetzt lange her. Ich hatte schon lange nicht mehr an meine Mutter gedacht. Aber das konnte ich jetzt auch nicht. Markus brauchte mich.

«Willst du eigentlich eine Matratze oder reicht dir die Hälfte von meinem Bett?», fragte ich.

«Das Bett tönt besser», sagte Markus lachend. Ich grinste.

«Super!» Dann stand ich auf. «Ich glaube, es gibt gleich Abendessen. Kommst du?»

Markus stand ebenfalls auf und folgte mir in die Küche, wo Leon uns schon grinsend erwartete.

«Heute gibt's nichts von Hadschi», sagte er.

«Heute gibt's was von mir», kam es von der Küche. Ich lachte. Papa brachte das Essen auf den Tisch und wir setzten uns.

«Ach übrigens Sam, dieser Brief ist vor ein paar Wochen für dich angekommen», sagte Papa plötzlich. Gespannt öffnete ich den Brief und las ihn durch.

Liebe Samantha

Ich weiss nicht, wie gut du dich noch an mich erinnerst. Es ist schon lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich bereue immer noch, dass ich dich damals einfach weggeschickt habe.

Mir stockte der Atem. Ich hatte eine fürchterliche Vorahnung, von wem dieser Brief sein könnte. Eigentlich wollte ich nicht weiterlesen, aber die Neugierde übernahm mich.

Ich hätte dich bei mir behalten sollen. Ich weiss jetzt, wie schmerzvoll es war, von allem, was man liebt, getrennt zu werden. Ich will, dass du wieder zu mir kommst. Ich werde dich, ein paar Wochen nachdem dieser Brief bei dir angekommen ist, abholen und wieder zu mir nach Stuttgart holen. Ich vermisse dich.

In Liebe, Mama

«Nein», hauchte ich. Ich merkte, wie meine Augen wässrig wurden, bis mir auch schon meine erste Träne über die Wange lief.

Die Wilden Kerle, die Könige der HöhlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt