Stefans Sichtweise:
„Damon?" Ich trete langsamen Schrittes an meinen Bruder heran. Keine Reaktion. Seufzend hebe ich meinen Arm und wedele vor seinem Gesicht damit herum, sodass er endlich aus dem aufgeschlagenen Buch in seinen Händen aufblickt.
„Was ist?" Seine Stimme, die pure Entspannung. Seine Gesichtszüge und Haltung gelassen. Ich allerdings platze womöglich jeden Moment vor Anspannung.
„Was ist?!" Ich starre ihn entsetzt fast schon betroffen an.
Seine Gesichtszüge verfinstern sich über seine dramatisch zurückgeworfene Frage.
„Hast du heute schon Sabrina gesehen?"
„Nein..." Er macht schon Anstalten wieder in sein Buch zu blicken.
„Ich frage mich nur, warum nicht?" Mein sarkastischer Tonfall lässt Damon zornig knurren. Ich wollte ihm gewiss nicht zu nahe treten, doch wenn ich nicht das Wort ergreife, wer wird es sonst tun?
„Sie kommt bestimmt gleich aus dem Zimmer." Damons Stimme wird wieder zuversichtlich ruhig. Wie kann er bei dieser Situation nur so gelassen bleiben?
„Das wird sie nicht, Damon. Sie sperrt sich schon den ganzen Tag in das Zimmer. Kein einziges Mal ist sie herausgekommen um etwas zu trinken oder zu essen. Sie ist ein Mensch, sie braucht Nahrung."
Damon hebt die Hand: „Es war gestern ein verwirrender Tag für uns alle. Sie muss sich erst noch von dem Schreck erholen. Sie braucht etwas Zeit."
„Warum bist du so zuversichtlich?" Meine Augen verengen sich zu Schlitzen.
„Warum sollte ich es nicht? Ich habe gewonnen, ich bin der Vormund meiner Tochter. Meinem Fleisch und Blut. Es reicht auch wenn sie morgen erst rauskommt, ich weiß, dass sie für immer ein Teil von mir sein wird."
„Nicht wenn sie da drin verdurstet oder verhungert!" Meine Stimme erhebt sich unbewusst und die Laune hat ihren Tiefpunkt erreicht. Lasse ich das meinen Bruder spüren? Ja. Werde ich in seine Machenschaften eingreifen? Nein. Es ist sein Leben. Seine Tochter.
Ich wende mich ab.
Ich gehe auf und ab. Immer wieder: Auf und ab. Auf und ab. Ich höre das ohrenbetäubende Knarzen der Dielen unter meinen Schuhen, das gebrochene Quietschen des Leders. Auf, ab.
Was kann ich machen? Wie kann ich eingreifen ohne selbst die Kontrolle zu verlieren?
Es ist nicht meine Angelegenheit. Nicht meine Tochter. Aber meine Nichte. Vielleicht ist Damon der falsche Vormund, um solche Entscheidungen zu treffen.
„Du scheinst nachdenklich." Elena sitzt auf meinem Bett und beobachtet mich angestrengt.
„Ja." Ich nicke.
„Wegen Sabrina?"
Ich nicke wieder, seufze schwer und lasse mich neben sie auf das Bett fallen.
„Denkst du, ich habe einen Fehler gemacht?"
„Ich denke, dass man immer einen Fehler macht, wenn man Damon unterstützt." Sie ringt sich um ein Lächeln, dann fügt sie hinzu: „Nein, das denke ich nicht. Sabrina gehört hierher. Gehört zu ihm."
Ich nicke. Sabrina hat Damon in so vielen Art und Weisen seit ihrem ersten Erscheinen gewandelt. In einen fühlenden Menschen.
„Aber warum stört es ihn dann nicht, wenn sein Mädchen in diesem Raum sitzt, alleine, ohne hinauszukommen, ohne sich auch nur bemerkbar zu machen?"
Elena zuckt die Achseln.
„Sie hat den ganzen Tag nichts gegessen oder getrunken."
Die Mundwinkel von Elena zucken.
Verschweigt sie mir womöglich irgendetwas?
Ich werfe ihr einen fragenden Blick zu.
„Darum musst du dir wirklich keine Sorgen machen."
„Warum?"
„Als ich vorhin an ihrem Zimmer vorbeigegangen bin, habe ich leise geklopft und mich nach ihrem Wohlergehen erkundigt. Sie scheint wirklich verwirrt und verängstigt, aber ich konnte sie wenigstens dazu überreden, ihr etwas zu trinken und zu essen zu bringen."
„Hat sie es auch gegessen?"
Sie zuckt ihre Achseln: „Aber somit hat sie wenigstens die Wahl."
Ich nicke erleichtert und ziehe meine Freundin lächelnd an mich.
Am frühen Abend, als die Sonne schon fast hinter dem Horizont verschwunden ist, werden meine komplexen Gedankengänge durch ein leises Türklopfen unterbrochen. Elena schläft leise neben mir, eingerollt in eine Bettdecke, die sie sich bis über die Nase gezogen hat. Ich dagegen liege unruhig in diesem Bett, kann überhaupt nicht an einen Spätnachmittagsschlaf denken und versuche stattdessen meine Gedankengänge zu sortieren. Ich mache mir einfach nur schreckliche Sorgen um meine Nichte.
Ich antworte nicht, in der Vermutung, dass es sich um Damon handeln muss. Die Tür öffnet sich ohne meine Zustimmung einen Spalt und Sabrina steckt ihren Kopf herein: „Stefan?"
Ich setzte mich auf, überrascht und aufatmend zugleich.
„Hast du Hunger?"
Sie schüttelt den Kopf.
„Durst?"
Wieder Fehlanzeige.
„Was ist dann?"
Ich sehe in ihre meerblauen Augen, habe das Gefühl in die von Damon zu blicken. Nur mit dem einzigen Unterschied, dass ich bei ihm nicht das Gefühl habe, in eine reine liebevolle Seele zu blicken.
Eine kleine Träne rutscht ihr über das Gesicht: „Denkst du, ich werde meine Mama wiedersehen?"
Mein Herz sackt mir in die Hose. Ich kriege keinen Ton heraus und in diesem Moment wird es mir schlagartig klar. Ich sehe es vor meinem inneren Auge, Sabrina heranwachsend ohne die Zuneigung und Liebe ihrer Mutter: Ich habe nicht richtig gehandelt, auch wenn ich meinen Bruder, ihren Vater mit seiner Tochter vereint habe, habe ich ihr ihre Mutter entzogen. Wie kann dieses kleine Mädchen nur ohne diese heranwachsen? Sie wird sie in ihrem Leben doch brauchen. Was für ein schrecklicher grausamer Mensch kann ich nur sein?
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"Papa..." Damon (Vampire Diaries FF)
FanfictionKann Damon ein guter Vater sein? Verantwortungsbewusst, geduldig, warmherzig? Als das kleine stürmische freche Mädchen Sabrina auftaucht, muss Damon sein komplettes Leben umkrämpeln. Kann dieser überhaupt ein gutes Vorbild sein? Doch leider wird ihm...