Alarico
Unruhig wartete ich darauf, dass mein Vater in den Besucherraum gebracht wurde. Seit drei Tagen hatte ich kein Auge mehr zugemacht und Lucrecia 24 Stunden lang beobachten lassen, nur durfte sie das nicht wissen. Die Drohung des Italieners war mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Wenn er wusste, dass ich eine kleine Schwester hatte, dann schloss ich nicht aus, dass er auch bereits wusste, wo sie wohnte. Ich kaute auf meinen Fingernägel herum, während ich die Tür des Besucherraums nicht aus den Augen ließ. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde mein Vater endlich herein geführt wurde. Er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte, da ich normalerweise nicht der Typ war, der Angst vor irgendetwas hatte. "Diablo, tranquilo. ¿Qué pasa?", fragte er besorgt, nachdem er sich an den Tisch gesetzt hatte. "Lucrecia ist in Gefahr, jedenfalls glaube ich das.", antwortete ich hastig. "Was meinst du?", wollte er daraufhin wissen. "Am Freitag war ein Cosa Nostra in der Arena. Er hat sich unmöglich verhalten, also hab ich ihm eine Lektion erteilt. Als er ging, meinte er, sie würde den Preis dafür zahlen.", erklärte ich ihm so ruhig ich konnte. Mein Vater zog die Augenbrauen zusammen und sah mich verwirrt an. "Wie hieß er?", fragte er dann leise. "Alle haben ihn den Maestro genannt.", antwortete ich ruhig. Sofort wich ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht. So bleich hatte ich ihn noch nie gesehen und es machte mir Angst. "Eso no es bueno.", brachte er kaum hörbar hervor. "Du kennst ihn, hab ich Recht?", hakte ich nach. Nickend vergrub er seine Hände in seinem Gesicht und seufzte. "Er hat deine Mutter erschiessen lassen.", murmelte er in seine Handflächen. Ich starrte ihn geschockt an und wurde unweigerlich an den Tag erinnert, an dem es passiert war. Vor meinem inneren Auge sah ich uns alle wieder im Krankenhaus sitzen und warten. "Was?", fragte ich kaum hörbar. Er hatte uns nie gesagt, wer sie umgebracht hatte, nicht einmal eine Andeutung hatte er je gemacht. Es war zwar schon zehn Jahre her, aber es fühlte sich immer noch an, als wäre sie erst am Tag davor gestorben. "Die Cosa Nostra hat sie getötet.", wiederholte er. "Warum?", wollte ich wissen. "Ein Deal mit ihnen ist damals schief gelaufen, Benito ist ausgerastet und hat einen von den Boten erschossen, als eine Art Warnung, weil sie uns abziehen wollten. Das war ihre Rache. Es hätte jeden von uns treffen können, aber eure Mutter war ein leichtes Ziel in der Bahn. Nach der Beerdigung kam Maestro zu mir und hat mich gewarnt.", erklärte er bedrückt. Meine Brust fühlte sich an, als würde eine Tonne Gewicht darauf liegen. Gleichzeitig raste mein Puls und mir wurde schlecht. Mir schien als würde der Raum immer enger werden, weil ich keine Luft mehr bekam. "Ich dachte sie würden uns in Ruhe lassen, deswegen hab ich es euch nicht erzählt.", sprach mein Vater weiter. Ich konnte mich nicht bewegen und auch nicht klar denken, weil ich immer wieder den Moment vor mir sah, als meine Mutter beerdigt wurde. Wir saßen so lange schweigend da, bis mein Vater zurück in seine Zelle musste und ich verließ das Gefängnis mit einem Klos im Hals. Ich musste das unbedingt Enrique und Ramon erzählen.
Ich traf mich noch am selben Abend mit meinen Brüdern im Büro. "Was bitte ist so dringend, dass du mich herbestellst?", kam es ziemlich angepisst von Ramon. Er war bei seinen Schwiegereltern zum Essen eingeladen gewesen und dementsprechend sauer, weil Isabel ihm jedes Mal Vorwürfe machte, wenn er früher gehen musste. "Erklär ich dir sobald Rique hier ist.", antwortete ich, bevor ich mir ein Glas Scotch einschenkte. Ich kippte es auf Ex, um meine Nerven irgendwie zu beruhigen. Der Schrank mit den Getränken war hinter meinem Schreibtisch, weswegen ich mit dem Rücken zur Tür stand. "Sorry, der Neue hat so lange gebraucht.", hörte ich hinter mir, bevor die Tür geschlossen wurde. "Setzt euch lieber.", sagte ich, während ich mich an dem Schrank abstützte und tief durchatmete. "¿Hermano, estás bien?", fragte Enrique besorgt. Anstatt seine Frage zu beantworten, drehte ich mich zu meinen Brüdern um, die mich beide skeptisch beobachteten. Sie setzten sich auf die beiden Stühle gegenüber meines Schreibtisches. "Wir haben ein ernsthaftes Problem", fing ich an, "der Maestro ist kein Unbekannter für die Mala Noche und Papa kennt ihn auch.", fuhr ich fort. Beide sahen mich verwirrt an, sagten aber nichts, weil sie wussten, dass ich noch nicht fertig war. "Ich war heute bei ihm in Gefängnis, wollte ihn eigentlich nur darüber informieren, dass Lucrecia in Gefahr ist und fragen, was genau wir tun sollen und dann hat er mir gesagt, wer Mama erschossen hat und warum.", erklärte ich ihnen. Ich setzte mich in meinen Stuhl und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. "Wer?", wollte Enrique sofort wissen. "Der Maestro hatte Männer auf sie angesetzt, weil Benito einen Cosa Nostra erschossen hat.", antwortete ich, rieb mir das Gesicht und seufzte. "¡Ay qué coño!", kam es leise aus Ramons Mund. Sein Blick sagte alles, er war fassungslos. "Und jetzt hat er es auf Lu abgesehen, weil ich ihn im Club bedroht hab.", sagte ich leise. Enrique wusste zwar, was vorgefallen war, wir hatten ihm allerdings nicht gesagt, dass ich einen der Hunde auf den Maestro gehetzt hatte. "Wir müssen Lu das sagen.", kam es von ihm nachdenklich. "Auf keinen Fall! Sie soll normal weiterleben und sich keine Sorgen machen.", erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen. "Sie hat genauso ein Recht darauf zu erfahren, was mit Mama passiert ist, wie wir.", entgegnete er entsetzt. "Wir werden es ihr sagen, aber erst müssen wir dieses Problem lösen.", sagte ich, bevor ich mir frustriert durch die Haare fuhr. "Was machen wir jetzt?", fragte Ramon. "Ihre Wohnung wird schon 24/7 überwacht, wir weiten das auf das Café aus. Sagt allen Mala Noches bescheid, dass ihr Schutz höchste Priorität hat. Wir geben ihr einen deiner Wachhunde.", antwortete ich und sah zwischen den Beiden hin und her. "Ich hab morgen früh gleich eine Schicht bei ihrer Wohnung, dann ich ihr den Hund bringen.", bot Enrique an. "Nein, das muss gleich passieren.", entgegnete ich kopfschüttelnd. "Gut, dann mach ich das nachher gleich.", stimmte er zu. Ich nickte zufrieden und schloss kurz die Augen. "Okay, wir wären hier erstmal fertig. Wenn ihr irgendetwas seht oder bemerkt, ruft mich bitte sofort an.", sagte ich, bevor ich wieder aufstand. "Diablo, wir bekommen das hin.", versuchte Ramon mich zu beruhigen, als er ebenfalls von dem Stuhl aufstand. Zögernd nickte ich, dann drehte ich mich wieder zu dem Schrank mit dem Alkohol um. Ich hörte, wie die beiden den Raum verließen. Mein schlimmster Albtraum war Realität geworden und ich war völlig machtlos. Klar, ich hätte den Maestro auch einfach töten lassen können, aber das hätte wieder einen Teufelskreis an Rachetoden losgetreten, den ich nicht wollte, vor allem nicht mit der Mafia.
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Diabla. (Nico Santos)
Hayran Kurgu-"Du bist wie eine Droge, die ich niemals probieren hätte sollen!"- Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an. Lucrecia wächst zwischen Gewalt, Drogen und Angst auf, während Nico sich davon eher fern hält und trotzdem können die beiden nicht ohne ein...