Nach diesem Konzert fing ich aktiv an, Nicos Musik zu hören und ich musste sagen, ich verliebte mich mit jedem neuen Lied, das ich entdeckte, mehr und mehr in seine Stimme. Die anfängliche Schwärmerei war mittlerweile wieder verflogen, auch wenn ich noch tagelang von unserer Begegnung geträumt hatte und sogar überlegt hatte, eines der Fotos, das wir gemacht hatten, auf Instagram zu stellen, doch das hätte wahrscheinlich nichts gebracht, er bekam bestimmt tausende Benachrichtigungen am Tag. Ich stand hinter der Theke des Cafés, in dem ich arbeitete und wischte gerade eine der Auslagen ab, als sich die Eingangstür öffnete. Da meine Kollegin an der Kasse stand, beachtete ich die ankommenden Gäste nicht wirklich und nahm dankend das dreckige Geschirr an, das zurückgebracht wurde. Gekonnt warf ich den Lappen, den ich benutzt hatte in das Waschbecken hinter mir, nahm die beiden Tassen auf der Theke in die Hand und wollte sie gerade in die Spülmaschine räumen, als ich einen Blick auf die Person warf, die gerade bestellte. Es war Nico und genau wie bei unserer ersten Begegnung setzte mein Kopf völlig aus, ich merkte nicht einmal, wie die das Tablett auf meiner Hand ins Ungleichgewicht geriet. Nicht mal eine Sekunde später zersprangen beide Tassen auf dem Boden, was dafür sorgte, dass ich die Aufmerksamkeit des gesamten Ladens hatte. "Lucrecia!", warnte meine Kollegin. Peinlich berührt sah ich mich kurz um, ich wollte im Boden versinken. "Entschuldigung, wie ungeschickt von mir.", stammelte ich, bevor ich auf die Knie ging und anfing, die Scherben aufzusammeln. Währenddessen sah ich immer mal wieder zu Nico hoch, der mich ebenfalls beobachtete, solange er auf seinen Kaffee zum Mitnehmen wartete. Er schien intensiv über etwas nachzudenken, beziehungsweise mein Gesicht verzweifelt einzuordnen. Als ich die Scherben aufgesammelt hatte, schmiss ich sie in den Mülleimer unter der Kasse, dabei stand ich ihm genau gegenüber und das war dann wohl auch der Moment, in dem es ihm einfiel. "Lu?", fragte er zögernd. Sofort spürte ich, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Hastig nickte ich, schenkte ihm ein Lächeln und drehte mich dann zur Kaffeemaschine um, weil sein Getränk fertig war. Meine Kollegin war einmal durch den Laden gelaufen, um das Geschirr einzusammeln, das nicht abgegeben wurde. "Wie geht's dir?", fragte Nico, während ich seinen Becher füllte. "Ganz gut und selbst?", erwiderte ich nervös. "Ja, auch. Hey, ich wollte dich das nach dem Konzert schon fragen, kam aber nicht dazu. Kann ich deine Nummer haben?", wollte er danach wissen, was mich fast den Becher wieder loslassen ließ. "Äh, ja klar.", antwortete ich zögerlich. Er wollte meine Nummer haben und all die komischen Gefühle, die ich erfolgreich wieder verdrängt hatte, kamen auf einen Schlag wieder. Mir wurde heiß, meine Knie wurden weich, mein Kopf, der gerade erst wieder angefangen hatte zu arbeiten, setzte aus und meine Hände wurden schwitzig. Als der Becher endlich voll war, machte ich noch einen Deckel darauf. "Das macht dann 3,50. Ich schreib dir die Nummer auf den Kassenzettel.", sagte ich, bevor ich ihn anlächelte und den Becher auf ihn zuschob. Er nickte und holte seinen Geldbeutel aus der Hosentasche. Nachdem er mir die Münzen auf den Tresen gelegt hatte, druckte ich den Kassenzettel aus und schrieb meine Nummer auf den unteren Rand, dann händigte ich ihm ihn. "Krass, dass ich dich hier wiedersehe, hätte ich echt nicht gedacht!", sagte er, bevor er ihn zusammen mit seinem Wechselgeld in seinen Geldbeutel steckte. Ich nickte verlegen und schenkte ihm noch ein Lächeln. Da ich völlig überfordert war mit der Situation, wusste ich nicht so recht, was ich sagen sollte. "Ich werd dir nachher schreiben! Und richte Miriam schöne Grüße aus, bitte!", kam es von ihm, als er seinen Kaffee nahm. Nico zwinkerte mir kurz zu, drehte sich um und dann war er schon wieder verschwunden.
Ich musste erst einmal tief durchatmen, bevor ich wieder arbeiten konnte, aber da hatte ich die Rechnung ohne Alarico gemacht, der genau in den Moment den Laden betrat, als Nico ihn verließ. Sein Blick sagte schon alles. Hätten Blicke töten können, wäre Nico sofort tot umgefallen. Augenblicklich war meine gute Laune verschwunden, denn seit dem Vorfall in seinem Büro hatten mein Bruder und ich nicht mehr miteinander gesprochen oder uns gesehen. "Wer war das?", fragte er direkt. "Ein Kunde. Wenn du nicht hier bist um einen Kaffee zu trinken, dann geh.", antwortete ich genervt und drehte mich zum Waschbecken um, um den Rest von meinem verursachten Chaos zu beseitigen. "Lu, es tut mir Leid.", fing er an. "Was? Dass du mich geschlagen hast oder dass du mich kontrollieren willst?", fragte ich gereizt. Seinetwegen hatte ich eine Woche lang eine dicke Schicht Make-Up tragen müssen, weil meine Wange rot geworden war. "Die Ohrfeige.", antwortete er. Ich konnte an seiner Stimmlage erkennen, dass er es auch so meinte. Ja, mein Bruder konnte manchmal verdammt aggressiv werden, aber er hatte mich bis dahin noch nie wirklich geschlagen, Ramon und Enrique schon. Auch wenn ich ihm glaubte, dass es ihm Leid tat, ignorierte ich ihn und stand vom Boden auf, um den Lappen auszuwaschen. "Kommst du nachher mit zu unserem monatlichen Abendessen?", fragte er dann leise. "Damit du mir wieder einen Vortrag halten kannst? Bestimmt nicht.", lehnte ich ab. Ich wollte sicher nicht mit meinen Brüdern und beiden Schwägerinnen an einem Tisch sitzen und mir anhören müssen, wie viele Regeln ich gebrochen hatte. Regeln, denen ich nicht folgen musste, weil ich ja wie gesagt kein Mala Noche war. "Nein, ein Familienessen und ich werd dir keine Vorwürfe machen, versprochen.", erwiderte er ruhig. "Das hast du letztes Mal auch versprochen und trotzdem hast du's getan.", kam es aus meinem Mund, als ich mich umdrehte. Ich sah ihn sauer an und verschränkte meine Arme vor der Brust. "Lu, Alejandro würde gerne seine Tante mal wieder sehen und Gabriela und Isabel haben auch schon nach dir gefragt.", versuchte er mich zu überzeugen. Alejandro war mein vier Jahre alter Neffe, Alaricos Sohn, Gabriela war seine Frau und Isabel war Ramons Frau. Eigentlich verstand ich mich mit den beiden Frauen ziemlich gut und ich musste zugeben, dass ich meinen Neffen wirklich vermisste, also willigte ich schließlich ein. "Nur ein einziger Vorwurf und ich bin weg, oyes?", warnte ich ihn. Alarico nickte und fing an zu lächeln. Es war ein seltener Anblick, den ich wirklich vermisste. Seit dem Tod unserer Mutter hatte er sich stark verändert. Früher war er ein aufgeweckter, fröhlicher junger Mann gewesen, der immer gute Laune versprüht hatte. Klar, auch damals hatte er schon dieses Beschützersyndrom gehabt, aber richtig schlimm war es erst geworden, als sie erschossen worden war. Er hatte sich damals mit der Gang abgelenkt, um irgendwie damit klar zu kommen, was ihn auch schon fast in den Knast gebracht hatte. Gelächelt hatte er danach auch kaum noch, denn das passt ja nicht zu einem Teufel. Ich hatte ihn auch schon lange nicht mehr mit einer Jogginghose und einem Tanktop gesehen, er trug meist ein Hemd und eine Jeans und verdeckte damit auch seine Tattoos. Mala Noches hatten alle ein Erkennungstattoo am Arm, deswegen überdeckte er ihn meistens, aber nicht an diesem Tag. Er zog definitiv die Blicke der weiblichen Gäste auf sich mit seiner Größe, seinem Drei-Tage-Bart und seinem gut gebauten Körper, den man durch das Top nur erahnen konnte. Alle meine Brüder nahmen Sport ziemlich ernst und achteten darauf, immer gut auszusehen, vor allem Enrique, der eindeutig am meisten Aufmerksamkeit auf sich zog. "Gut dann treffen wir uns um acht bei unserem Stammitaliener, ja?", vergewisserte er sich noch einmal. Ich nickte als Antwort, dann lehnte er sich über die Theke, küsste meine Stirn und ging.
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Diabla. (Nico Santos)
Fanfiction-"Du bist wie eine Droge, die ich niemals probieren hätte sollen!"- Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an. Lucrecia wächst zwischen Gewalt, Drogen und Angst auf, während Nico sich davon eher fern hält und trotzdem können die beiden nicht ohne ein...