Ich atmete tief durch, als ich neben meinen Brüdern herging. Sie führten mich gerade in den Keller ihres Stripclubs, wo ich meine Aufnahme machen sollte. Dass ich jemanden erschießen sollte, ließ mich zwar zweifeln, aber ich sah keinen anderen Weg mehr, als zu dem zu werden, was ich nicht ausstehen konnte. Keiner meiner Brüder sagte etwas, allgemein waren sie seit ich beschlossen hatte, ein Mala Noche zu werden, kaum mit mir geredet und Alarico hatte ich bis zu diesem Moment noch nicht einmal gesehen. Als wir an der Tür ankamen, öffnete sie Enrique für uns, wartete, bis wir hindurch waren und folgte uns dann. Im Raum warteten bereits alle, die oben am Tisch gesessen hatten. Es war eine Regel, dass alle, die meine Aussage mitbekommen hatten, auch Zeugen davon sein mussten. Sie standen links und rechts an die Wände gelehnt und beobachteten uns. Während Enrique und Ramon sich zu den anderen gesellten, führte mich Alarico zur Mitte des Raumes, dann fing er an, eine Rede zu halten, die ich allerdings nur so halb mitbekam. Ich war in meiner eigenen Welt und konzentrierte mich mehr darauf, nicht die Nerven zu verlieren. Er sagte etwas von Familie, dass ich ja ein neues Mitglied werden würde, irgendetwas über die Person, die ich hinrichten musste und den Rest blendete ich komplett aus. Zustimmendes Nicken kam aus der Runde, bevor sie anfingen zu jubeln. Mein Herz fing an zu rasen, als er uns alle informierte, dass er das Opfer nun in den Raum holen würde. Noch hatte ich keine Waffe in der Hand, das sollte sich allerdings schnell ändern, denn Enrique kam zu mir herüber. Er reichte mir eine Pistole, ohne mir in die Augen zu sehen. Ich wusste, dass er enttäuscht von mir war. Klar, alle meine Brüder hätten es gerne gehabt, dass ich durch Heirat eintrete, aber sicher nicht so. Selbst in Alaricos Gesicht hatte ich erkennen können, wie er mir es am liebsten ausgeredet hätte. "Du weißt, wie du damit umgehen musst?", fragte Enrique, als ich ihm die Waffe abgenommen hatte. Ich nickte langsam und sah zu Boden. Um nicht im letzten Moment den Schwanz einzuziehen, starrte ich auf einen Abfluss direkt vor mir. Die Tür hinter mir öffnete sich und es wurde still im Raum. Aufgeregt wartete ich darauf, dass Alarico mir die Person vorsetzen würde und je näher die Schritte kamen, desto schlimmer wurden meine Nerven. Ich musste jemanden töten, etwas, wofür ich die Gang am meisten verachtet hatte in der Vergangenheit. Auch wenn ich innerlich völlig durchdrehte, zeigte ich es nicht, nach außen hin stand ich ruhig da und fixierte nach wie vor den Abfluss vor mir. Als ich zwei Paar Schuhe sehen konnte, löste ich meinen Blick vom Boden und sah zu meinem Bruder auf, dessen Gesicht so emotionslos war, wie noch nie zuvor. Vermutlich versuchte er einfach nur ruhig zu bleiben, denn so wie ich es mitbekommen hatte, wollte er nicht, dass ich die Aufnahme machte, Regeln waren aber nunmal Regeln und ihr wisst ja bereits, wie wichtig sie ihm waren. Alarico befahl dem Opfer sich vor mich zu knien. Ich sollte bereits zielen, also entschärfte ich die Waffe und richtete sie auf die Person. Sie hatte einen Sack über dem Kopf und ich betete, dass er genau dort bleiben würde, das würde es um einiges einfacher für mich machen. Leider war das nicht der Fall und als Alarico den Sack anhob, wurde mir schlecht. Es war Nico, mein Nico, den ich mit allen Mitteln versucht hatte, von den Mala Noche fernzuhalten. Das konnte nicht der Ernst meines Bruders sein. Er sah schlimm aus, seine Nase hatte geblutet und seine linke Gesichtshälfte war angeschwollen und tiefrot. Meine Hände fingen an zu zittern ohne Ende und ich spürte dieses Brennen in den Augen, wenn sich Tränen formten. Zwar war mein Finger am Abzug, aber ich konnte nicht abdrücken und ich wollte auch nicht mehr. Wenn ich jemanden opfern sollte, den ich liebte, würde ich lieber sterben, als ihm etwas anzutun. Je länger ich zögerte, desto unruhiger wurde unser Publikum. "Worauf wartest du?", fragte Alarico bestimmt. Ich wandte meinen Blick zu meinem Bruder ab, der mich erwartungsvoll ansah. Währenddessen fing Nico vor mir an zu flehen, völlig normal für so etwas, was mich wieder zu ihm sehen ließ. "Na los! Erschieß ihn!", rief Alarico laut. Ein Jubel und Zustimmung gingen durch unser Publikum, aber alles, worauf ich mich konzentrieren konnte, war Nico. Er hatte Angst und ich werde niemals diesen Blick vergessen. "Bitte, lasst mich gehen.", hörte ich ihn wimmern. Langsam fing ich an, meinen Kopf zu schütteln und die Waffe zu senken. "Ich kann das nicht.", flüsterte ich. "Bitte?", fragte Alarico aggressiv. "Ich kann das nicht!", wiederholte ich nun lauter, während ich die Pistole sicherte. "Bringt sie hier raus, ich kümmere mich um ihn!", sagte er daraufhin an meine beiden anderen Brüder gewandt.
Als ich in Alaricos Büro saß und wartete, versuchte ich mich irgendwie zu beruhigen. Ich zitterte immer noch, weinte wie ein Schlosshund und wollte am liebsten alles in diesem Büro zerstören, so wütend war ich. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür und meine drei Brüder kamen herein. Sofort sprang ich von meinem Stuhl auf und ging auf Alarico los. So fest ich konnte, prügelte ich auf seine Brust ein, während ich schrie:"Wie konntest du?! ¡Te odio!" Komischerweise wehrte er sich weder, noch sagte er irgendetwas, er ließ es einfach über sich ergehen. Enrique und Ramon gingen ebenfalls nicht dazwischen, was mich auch wunderte, sie standen entspannt neben uns und mussten sich anscheinend sogar ein Lachen verkneifen. Ich bekam nicht einmal mit, dass die beiden durch das Büro gingen und uns alleine ließen. "Calmate, Lu.", kam es irgendwann von hinter mir, aber weder von Ramon, noch von Enrique, sondern von Nico. Sofort hielt ich inne und drehte mich um. Er war nicht mehr gefesselt und stand entspannt vor der Hintertür des Büros. Seine Nase sah zwar immer noch schlimm aus, das Blut war allerdings verschwunden. Verwirrt sah ich Alarico an, der mich anlächelte. Ich verstand die Welt nicht mehr, was bitte war hier los? Ohne darüber nachzudenken, lief ich auf Nico zu und umarmte ihn stürmisch, ich war einfach nur froh, dass er lebte und es ihm einigermaßen gut ging. "Verstehst du, warum wir ihn ausgesucht haben?", fragte Enrique. Ich verstand gar nichts, also schüttelte ich stumm meinen Kopf. "Ich war eingeweiht und bin freiwillig hier. Deine Brüder wussten, dass du das nicht kannst, also haben sie mich gefragt.", erklärte Nico, als er sich von mir löste. "Danke, Rique.", sagte ich, weil er der einzige war, von dem ich das erwartet hatte. "Ehrlich gesagt, war das Alaricos Idee, nicht meine.", antwortete Enrique schulterzuckend. Sofort sah ich wieder zu meinem ältesten Bruder, der mich anstrahlte, wie schon lange nicht mehr. "Du hast das arrangiert?", hakte ich ungläubig nach. Er nickte, bevor er sich auf einen der Stühle setzte. "Warum?", fragte ich verwundert. "Erstens schulde ich euch beiden sowieso noch was, weil ich mich unmöglich verhalten hab und zweitens wollte keiner von uns, dass du so zum Mala Noche wirst.", gab er mir locker als Antwort. Ich lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er hatte schon lange nichts so nettes mehr getan und es überwältigte mich. "Außerdem kannst du machen, was du willst, aber ich will, dass du weißt, dass wir dich trotzdem immer beschützen werden.", redete er weiter, während er die Umarmung erwiderte. Ich drückte ihn noch fester, weil ich verdammt froh war, auch wenn es erst soweit kommen musste, bis er es endlich akzeptiert hatte. "Danke.", flüsterte ich, bevor ich mich von ihm löste. "Ich denke, ihr zwei habt noch Klärungsbedarf, also werden wir euch mal alleine lassen.", mischte sich nun Ramon ein. Alarico und Enrique stimmten zu, dann stand mein ältester Bruder von dem Stuhl auf und die drei verließen den Raum. "Es tut mir leid, dass du hier mit reingezogen wurdest.", fing ich an, aber Nico kam auf mich zu und zog mich in seine Arme. "Schon gut. Wir können uns nicht aussuchen, in wen wir uns verlieben.", antwortete er, legte seine Arme um mich und küsste meinen Kopf. Ein riesiger Stein fiel mir vom Herzen. Wer hätte gedacht, dass dieser beschissene Tag noch so gut ausgehen würde.
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Diabla. (Nico Santos)
Hayran Kurgu-"Du bist wie eine Droge, die ich niemals probieren hätte sollen!"- Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an. Lucrecia wächst zwischen Gewalt, Drogen und Angst auf, während Nico sich davon eher fern hält und trotzdem können die beiden nicht ohne ein...