Ezra

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Seit meinem Urlaub mit Jack in Glasgow sind weitere anderthalb Monate vergangen. Jack und ich verbrachten die Zeit hauptsächlich gemeinsam in seiner Wohnung mit Baloo. Der zwei Jahre alte Husky war inzwischen immer dabei.

Momentan war ich mit Baloo in meiner Wohnung, da Jack seinen Job wieder aufgenommen hatte und auf einer Geschäftsreise war. Er war seit drei Wochen weg, müsste diese Nacht aber wiederkommen.

Gerade hockte ich auf meiner Couch und las ein Buch. Es war ein Roman von Stephen King. Baloo lag neben mir und hatte seinen Kopf auf meine Beine gebettet. Es schien, als würde er schlafen. Ich wusste, dass er nur so tat.

So war es seit Tagen. Sobald ich mich bewegte oder irgendein Geräusch zu hören war, war Baloo hellwach. Es schien, als würde er Jack vermissen. Mir fehlte er auch, aber umso mehr freute ich mich auf morgen früh. Auf unser gemeinsames Frühstück. Immerhin war Jack der Einzige, den ich hatte. Er war zwar der Überzeugung, dass ich Ezra noch hatte, aber nachdem monatelang kein Kontakt zwischen uns war, war ich sicher, dass ich ihn verloren hatte.

Baloo schielte mit seinen eisblauen Augen zu mir rauf, als ich meine Finger durch sein silbernes Fell gleiten ließ. „Ja ich weiß, du bist auf Jacks Seite. Aber du musst auch mich verstehen."

Er legte seinen Kopf schief, als würde er mich verstehen. Ich seufzte und legte schließlich mein Buch zur Seite. Ich wusste, was er mir mit seinem unschuldigem Blick sagen wollte.

Ich sollte gefälligst meinen Arsch hochbekommen und ihm nicht nachtrauern.

Eigentlich tat ich das nicht. Unterbewusst schon, da er noch immer in meinen Gedanken herumgeisterte. „Guck nicht so", grummelte ich und zog mich trotzig die Bettdecke bis an mein Kinn. „Ich schlaf jetzt."

~~~

Mit zitternden Fingern drückte ich immer wieder die Klingel und hämmerte gegen die Tür. Nichts war auf der anderen Seite der Tür zu hören. „Bitte... ich brauch dich", schluchzte ich und glitt an der Tür hinab. Im selben Moment wurde diese geöffnet.

„Verdammt! Es ist mitt- Cole?!" Er hinderte mich am fallen und drehte mich langsam zu sich um.

Ezra blinzelte mir verschlafen entgegen. Er starrte mich entgeistert an und fuhr sich durch die verstrubbelten dunkelblonden Haare. „Was zur Hölle tust du hier, um zwei Uhr nachts?"

Ich schluckte. Es war keine gute Idee, hierher zu kommen. Seine Reaktion bestätigte es. Aber Ezra war der einzige, der immer da war. Er hatte es versprochen. Ich wusste nichts Passendes darauf zu erwidern. Ezra trat kurz darauf zur Seite und machte mir Platz zum Eintreten. Helles Licht blendete mich, als ich eintrat und ich kniff schnell meine Augen zusammen.

„Cole... du siehst echt scheiße aus. Fuck... was ist mit dir passiert? Was ist los?"

„Ich...-"

Ezra atmete einmal tief durch. Erst dann griff er nach meiner Hand und zog mich eng an seinen Oberkörper. Ich war ihm für diese kleine Geste unendlich dankbar. Er gab mir wieder einmal genau das, was ich brauchte.

„Komm mit ins Bett. Ich bin sau müde und du siehst alles andere als gut aus."

Ich erwiderte nichts darauf, ließ mich von ihm direkt zu seinem Bett dirigieren. Kaum lag ich auf der Matratze, kroch ich unter die Decke und rutschte näher an Ezra heran. „Hey... ich weiß genau, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Du kommst nach Monaten nicht einfach so zu mir. Noch dazu, sehe ich in deinen Augen, dass du fertig bist und geweint hasst. Keine Ahnung warum. Aber ich werde da sein, wie ich es damals versprochen hatte. Vorausgesetzt du lässt mich?"

Ich schluckte. Seine Worte schockten mich. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so leicht zu durchschauen war. Es bewies mir nur noch mehr, dass mich Ezra viel zu gut kannte. Ich brachte es nicht über mich zu antworten, rutschte näher an ihn und ließ mich von ihm halten.

~~~

„Guten Morgen", murmelte jemand an mein Ohr. „Jack?"

Eine Bettdecke raschelte und kurz darauf sah ich Ezras Gesicht über meinem und nicht das von meinem Bruder. „W-was?"

„Erinnerst du dich nicht?", fragte Ezra heiser und rutschte von mir ab. „Du standest mitten in der Nacht vor meiner Tür und hast Sturm geklingelt. Du warst am Boden zerstört... und fuck ich hab dich noch nie so gesehen, ich hab noch niemanden so am Boden gesehen, wie dich gestern..."

„Ich-" Er schaute mich aufmerksam an, versuchte aber nichts, um mich zum Reden zu bringen.

„Hör zu. Ich habe keine Ahnung was mit dir passiert ist, aber ich werde dich jetzt sicherlich nicht wegschicken. Aber..." Ezra hielt inne und schaute mich eingehend an. „Ohne, dass es jetzt blöd klingt. Ab übermorgen ist erneut ein Lockdown über die Feiertage geplant. Ich will mich dir jetzt nicht aufdrängen. Aber mir gehts nicht gut dabei, dich so zu sehen..."

Ich schluckte. Es bedeute mir viel, dass er das sagte und für mich da sein wollte. Ich wusste nicht, ob es das Richtige war.

„Ich weiß nicht. Baloo ist bei mir zuhause. Und... Ehrlich gesagt... ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt gekommen bin. Wir beide sind doch Geschichte."

„Denkst du das wirklich, Cole?", fragte er und schaute mich an.

„Ja. Du hast dich nicht einmal gemeldet."

„Du bist abgehauen, C. Warum sollte ich dir da hinterherlaufen?"

Seine Frage war berechtigt. Statt zu antworten, wandte ich mich von ihm ab. „Okay... Deal, Cole. Ich packe ein paar Sachen zusammen und komme mit zu dir und dann werden wir dort den Lockdown und die Feiertage gemeinsam verbringen. So wie du hier letzte Nacht aufgetaucht bist lass ich dich nicht alleine."

„Meinetwegen." Ich wandte mich ab und schnappte mir den Kaffee.

„Zwei Stunden. Dann gehen wir zu dir", sagte er und begann bereits eine Tasche zu packen. 

Everything hopeless [Everything 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt