Day 2.2

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„Wir wollten reden." Das waren Ezra's erste Worte nach dem Frühstück. Langsam wurde ich skeptisch, dass er es so häufig erwähnte. Irgendetwas musste da sein, was er mir erzählen oder irgendwem erzählen wollte.

„Ich habs nicht vergessen", erwiderte ich und lächelte müde, als er aufschaute und seinen Blick über mich gleiten ließ. „Hab schon gemerkt, dass es dir wichtig ist."

„Schon irgendwie...", murmelte er und senkte seinen Blick. Ich schaute ihn an, wartete das er weitersprach. „Ich hab Angst." Das war das Einzige, was er sagte. Es konnte sich auf alles beziehen. Still betrachtete ich ihn. Erst nachdem einige Minuten verstrichen waren, beugte ich mich vor und legte meine Hand auf seine. Eine stumme Aufforderung zum Weitersprechen.

„Ich hab Angst um uns. Du bist mir nach wie vor wichtig. Aber was bringt eine Beziehung auf dieser Basis? Wir können nicht gemeinsam das Haus verlassen, auf keine Dates gehen, nicht zusammen Joggen gehen, keine gemeinsamen Erinnerungen schaffen. Fuck, eigentlich dürften wir nicht mal zusammen hier sein. Was ist, wenn uns der Lockdown trennt? Was ist wenn sich die Menschheit so verändert, dass manche eine richtige Phobie gegenüber anderen Menschen oder Menschenmassen entwickeln? Was wird dann aus uns?"

Ich schluckte. Die Angst sprach deutlich aus ihm und am Liebsten würde ich ihn einfach in die Arme nehmen. Es tat weh ihn so zu sehen und nicht zu wissen, was ihm half. Nicht zu wissen, was ich tun konnte, damit er sich besser fühlte. Und zu wissen, dass ich nicht unschuldig war. Ich tauchte mitten in der Nacht vor seiner Tür auf und ließ zu, dass er zu mir kam, wo ich täglich mit Baloo raus musste.

Statt zu antworten, führte es mir meinen Egoismus vor Augen. Er war immer für mich da, lenkte mich ab, sprach mit mir und wusste immer was mir half. Und ich schaffte es nicht einmal ihn zu fragen, wie es ihm ging. Fuck! Ich war wirklich ein schrecklicher Mensch!

„Aber... wir haben den ersten Lockdown auch gemeinsam überstanden."

„Nein. Es ist uns zu Kopf gestiegen und du bist abgehauen", verbesserte er mich.

„Ja, aber doch nur wegen Jack. Wir hatte uns wegen Jack gestritten. Ich glaube wenn nicht wieder so eine schwierige Situation kommt, dann schaffen wir das."

„Ich weiß nicht, C. Versteh mich nicht flasch. Ich will nicht gehen, ich habe einfach Zweifel." Ezra drehte seine Hand in meiner und drückte diese sanft.

„Habs schon verstanden", brummte ich. Ich hatte es wirklich verstanden und konnte ihn auch ein wenig verstehen. Aber nach allem, was momentan zwischen uns stand wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. „Hast du eine Idee was wir heute machen können, Ez?"

„Boxen? Ich wollte schon immer mal Boxen lernen. Könntest du es mir beibringen? Oder zocken. Du hast ja diese Partyspiele."

„Du meinst Just Dance und Singstar? Die Spiele hab ich von Aves und meiner Schwester bekommen. Früher haben wir das oft zusammen gespielt."

„Echt? Ich hab noch nie solche Partyspiele gespielt. Ein paar mal, aber immer alleine."

Während des Frühstücks machte Ezra einen entspannten und erleichterten Eindruck. Wahrscheinlich, weil er endlich mit jemandem über seine Ängste reden konnte.

„Oder... du hattest hier doch Smoothie und Kochbücher. Ich wollte schon immer mal gefüllte Pilze probieren. Oh oder ein Erdbeersmoothie."

„Nein. Auf gar keinen Fall", entgegnete ich und wirbelte zu ihm herum. Ich konnte nicht glauben, dass er tatsächlich gefüllte Pilze essen wollte. Überhaupt etwas mit Pilzen.

„Och komm schon... wenn nicht heute dann an Weihnachten...?"

„Nein, Ez. Ich hasse gefüllte Pilze. Meine Mom hat das einmal gemacht und ich fand es echt widerlich."

„Du verletzt die Gefühle der Pilze", erwiderte Ezra. Er stieß mich grob in die Seite. Schließlich schaute ich zu ihm auf und rieb mir über die schmerzende Seite. Seine Lippen waren aufeinandergepresst und er wirkte, als würde er etwas unterdrücken. Statt was zu sagen oder ihn abzulenken, stand ich auf und trat an das Spülbecken. Ich ließ heißes Wasser hineinlaufen und nahm mir einen dreckigen Teller zur Hand.

„Mir egal. Es wird keine gefüllten Pilze geben." Ganz sicher nicht. Ich hasste gefüllte Pilze und ich hasste Pilze. Er zog eine Schnute und schaute mich an. Es wirkte wie ein stummes flehen. Bisher hatte er diese Karte nie gezogen und ich wusste, dass ich dem nicht lange standhalten konnte, daher verzog ich mich in das Wohnzimmer und machte es mir auf der Couch bequem.

Ich hörte tapsende Schritte. Ich wusste, dass Ezra ohne Kommentar den Abwasch übernehmen würde. Kurz darauf sprang Baloo mit Leichtigkeit auf die Couch und schmiegte sich an meinen Körper. Ich strich sanft durch sein silbergraues Fell, vergrub meine Finger darin.

„Man Cole... du kannst mich nicht einfach schmollend in der Küche zurücklassen. Kannst du mir wenigstens einen Grund nennen?"

„Was soll ich denn sagen? Bringt doch nichts."

„Doch C. Es bringt was."

Ich seufzte. Es nervte mich, dass er so aufdringlich war und immer für alles eine Erklärung wollte.

„Meine Mom hat früher Pilze gesammelt und eine Pilzpfanne gemacht, danach hatten wir alle einen verdorbenen Magen", sagte ich. Mein Blick richtete sich nach oben zu ihm. Im ersten Moment runzelte er die Stirn. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich seine vergrößerten Pupillen. Dann fuhr er sich durch die dunkelblonden Haare und strich über seinen Nacken. Er setzte sich neben Baloo und schaute mich an. Ich war sicher, dass er mich umarmt hätte, wenn der Hund nicht zwischen uns gelegen hätte.

„Du vertraust mir oder?" Seine Stimme war nahezu ein Flüstern, dennoch hatte sie ein bisschen Sanftheit in sich, was mich verleitete, ihn anzuschauen. „Ja..."

„Siehst du. Ich mach heute die gefüllten Pilze und wenn du davon einen verdorbenen Magen haben solltest, nerv ich dich nie wieder damit. Und du darfst dann eine Woche das Essen aussuchen und ich darf nichts sagen."

„Meinetwegen", grummelte ich. Ich wusste, dass er ansonsten nie nachgeben würde.

Everything hopeless [Everything 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt