Kapitel 22

273 35 9
                                        

Was zuletzt geschah:

Zu gerne würde sich Marco seiner Wut hingeben. Er hat es satt, ständig derjenige zu sein, der nachgibt und Erik hinterherrennt, wenn sich dieser mal wieder in sein Schneckenhaus zurückzieht. Inzwischen betreibt Erik das Spiel seit fast zwei Wochen, drückt Marcos Anrufe weg, lässt sich nicht im Tässchen blicken, ignoriert Aisha und Charlotte ... Moment, was? Zu gerne würde sich Marco seiner Wut hingeben, aber die ist schon längst in Sorge umgeschlagen. Unfähig, weiter abzuwarten, entscheidet er sich für den Frontalangriff.

Kapitel 22

Eriks Wohnung lag weder in der besten noch der schönsten Gegend der Stadt. Graffiti zierte die Hauswände, und der Gestank nach ranzigem Fett waberte von der Pizzabude nebenan bis zu Marcos Nase, als er die Klingel mit der Aufschrift ‚Kolb' drückte. Er wartete. Klingelte. Wartete. Niemand öffnete.

Einige Schritte rückwärts gewährten ihn einen Blick auf die Fassade, mit all ihren erleuchteten Fenstern. Eriks Wohnung befand sich im zweiten Stock, rechts von der Eingangstür. Die Vorhänge waren zugezogen, doch dahinter brannte Licht. Er musste zuhause sein.

Marco klingelte erneut. Wieder und wieder drückte er den Knopf, bis er sich schlicht weigerte, den Finger wegzunehmen. So fokussiert auf seine Aufgabe, hätte er um ein Haar das Summen des Türöffners überhört. Eilig schob er sich in den Hausgang, bevor der Schließmechanismus einrastete. Nach einem tiefen Atemzug, der ihn zur Ruhe mahnen und sämtliche undurchdachten Vorwürfe ins hinterste Eck seines Bewusstseins schieben sollte, stieg er die Treppe hoch.

Im ersten Stock begrüßte ihn eine verschlossene Wohnungstür. Marco klopfte. Nicht kräftig, nur ausreichend, um seine Anwesenheit anzukündigen. Ein Rasseln erklang und die Tür öffnete sich so weit, wie es die vorgelegte Kette zuließ. Auf der anderen Seite spähten Eriks Augen wachsam durch den Spalt.

„Ciao." All die schönen Worte, die sich Marco auf dem Weg zurechtgelegt hatte, ergriffen panisch die Flucht. Nur er selbst blieb stumm zurück. „Äh ..."

Erik zeigte sich weniger zögerlich. „Was willst du hier?"

„Naja, ich–"

„War ich nicht deutlich genug, als ich dir gesagt habe, dass wir fertig miteinander sind?" Sein kühler Ton schmerzte mehr als die Frage an sich. Kein Gramm Emotion lag in seiner Stimme.

„Doch, aber–"

„Und trotzdem hast du dich dazu entschieden, meine Wünsche zu ignorieren. Anstatt mich in Ruhe zu lassen, tauchst du hier auf und zwingst mich, dir Aufmerksamkeit zu schenken. Zwingst mich, mit dir zu sprechen."

„Du sprichst ja sonst mit niemandem!" Marco räusperte sich. Sollte Eriks Haus ansatzweise so hellhörig sein wie sein eigenes, hatten die Nachbarn jetzt mehr als genug Gesprächsstoff. „Hör zu, es tut mir leid, dass ich hier unangekündigt aufschlage. Das ist Mist, das weiß ich, und wenn du mich nie wieder sehen willst, dann akzeptiere ich das. Es ist nur ... ich mache mir Sorgen um dich, okay? Das kannst du doof und anmaßend finden, es ändert nichts. Ich musste einfach mit eigenen Augen sehen, dass es dir gut geht. Ich schätze, das habe ich dann jetzt." Verlegen fuhr sich Marco durchs Haar. „Es geht dir doch gut, oder? Äh, du musst mir nicht dein Herz ausschütten, wenn du nicht willst, aber ... kannst du dich wenigstens bei Aisha und Charlotte melden? Dann köpfen die beiden mich vielleicht nicht dafür, dass ich ohne sie hergekommen bin."

Für einen Sekundenbruchteil wurde der harte Zug um Eriks Mund weicher, sein Gesicht weniger scharfkantig. Dann schloss er die Tür.

Unschlüssig, ob er nochmal klopfen, oder seine Niederlage eingestehen und verschwinden sollte, starrte Marco auf das zerkratzte Holz. Die Stofftüte, die er um eine Schulter geschlungen trug, schien in den vergangenen Minuten an Gewicht zugelegt zu haben.

Wolken mit TomatensoßeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt