Das verlorene Königreich - Das gebrochene Herz

Kapitel 1 "Der Gehängte"

„Was machen wir eigentlich wegen morgen?" fragte Anna, während sie die bunt bemalte Rakete aus Pappe in den Kofferraum ihres kleinen weißen Autos stopfte, ohne sie dabei kaputt zu machen. Ihre blondgefärbten Haare fielen ihr dabei immer wieder ins Gesicht und sie musste sie hinter die Ohren streifen.

„Wieso? Was war nochmal morgen?" entgegnete Justine und schaute fragend in den blauen Himmel hinauf. Anna sah sie genervt an. Ihre grünen Augen verrieten, dass sie Justine nicht zum ersten Mal so ansah.

„Mal überlegen", entgegnete Anna, „Morgen ist der 23. April."

„Und was machen wir immer am 23. April?" ergänzte Stefanie, die die restlichen Dekorationen in das Auto lud. Die Sternengirlanden waren hartnäckig und wollten nicht so recht, wie Stefanie wollte. Justine runzelte die Stirn, doch dann weiteten sich ihre blasgrünen Augen und sie erinnerte sich an den Geburtstag ihrer verschwundenen Freundin, den sie immer am 23. April feierten.

„Ach so, stimmt." sagte sie und schlug sich mit der Hand vor den Kopf.

„Ja, genau." Anna warf energisch die Kofferraumtür zu.

„Wo liegt da das Problem?" fragte Justine und erntete einen erneuten genervten Blick von Anna dafür.

„Wir wollen doch alle morgen in der Schule schlafen, als Abi-Streich." erklärte Stefanie und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Mh." machte Justine und sah ihre Freundinnen ratlos an, während Stefanie die andere Autotür zuwarf, sie wieder öffnete, um einen Teil der Girlande in das Auto zu stopfen und sie wieder zuwarf.

„Ja, mh. Wie machen wir es denn jetzt? Ich hab das Hexenbrett und die Tarot Karten gekauft." sagte Anna und stellte die Hände in die Hüften. Der Schlüsselbund in ihrer Hand rasselte bei dieser Bewegung.

„Dann machen wir es einfach in der Schule." entgegnete Justine, als wäre es ihr gleichgültig und bekräftigte das mit einem Schulterzucken. Anna sah Stefanie erwartungsvoll an, als erwarte sie scharfen Widerspruch. Aber Stefanie hatte selbst keine bessere Idee und es gab auch keine andere Möglichkeit. Denn sie hatten zugestimmt am Abi-Streich teilzunehmen, der von Vormittags bis Nachts andauern sollte. Ihr Jahrgang hatte sich dazu entschlossen, in diesem Jahr gegen alle Regeln zu verstoßen. Das hieß Alkohol in der Schule, sich vor Lehrern verstecken und die jüngeren Schüler zu erschrecken. Der eigentliche Streich fand jedoch in der Nacht statt. Sie wollten die Schule verunstalten. Von innen und außen. Die Drei konnten sich diesem aufregenden Ereignis nicht einfach entziehen. Und so blieb ihnen keine andere Wahl.

Stefanie nickte zustimmend. Ihre kurzen dunkelblonden Haare wippten bei dieser Bewegung, als wollten sie dem ebenfalls zustimmen.

„Gut, dann machen wir es so.", beschloss Anna und schloss endlich ihr Auto ab, „Bringt ihr das andere Zeug mit?"

„Klar. Der Weihrauch ist startklar." sagte Justine und zeigte einen Daumen nach oben.

„Und die Kerzen auch." fügte Stefanie eifrig hinzu.

„Sehr gut, dann treffen wir uns morgen um 23 Uhr in der Schule."

So wie es die Mädchen beschlossen hatten, taten sie es auch. In solchen Sachen waren sie konsequent. Sie standen am 23. April um 23 Uhr vor der Schule. Anna hatte sich ein Hexenbrett unter dem Arm geklemmt und ein Deck Tarot Karten in der Tasche. Justine hatte mehrere Bündel Weihrauch in ihrem Rucksack verstaut und ein Bananensaft-Kirschlikör-Gemisch in einem Saftkarton, für den Fall der Fälle dabei. Gerade nahm sie einen kräftigen Schluck aus dem Karton und reichte ihn Anna. Diese nahm ihn dankbar an und trank ebenfalls einen großen Schluck. Stefanie trug in einem Netz mehrere Kerzen und ein Feuerzeug mit Kindersicherung. Sie lehnte das Gemisch ab, als Anna ihr den Karton anbot. Sie waren bereit für die Nacht.