Kapitel 3 "Der Wagen"

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Alle starrten sie ungläubig an.
„Ihr wart wo?" fragte Joanna ungläubig. Die drei Mädchen standen ihren Klassenkameraden direkt gegenüber.
„Wir sind nach Berlin gefahren." wiederholte Justine.
„Ja, klar!" lachte Jan. Die anderen Schüler lachten mit ihm.
„Doch." versuchte Stefanie verzweifelt sich zu rechtfertigen. Justine stoppte sie und zeigte ihren Mitschülern wortlos das Zugticket auf ihrem Handy. Diese hörten auf zu lachen und starrten das Handy in Justines Hand verwundert an. Es zeigte klar und deutlich das Ticket von Berlin nach Stadtdorfsfeld.
„Okay." machte Joanna.
„Ihr seid ja wild." sagte Jan. Verlegen lachten die drei Mädchen.
„Ihr wart so betrunken?", fragte Joanna mehr sich als die Mädchen, „Wow, ich dachte wir hatten Spaß. Nein, ihr hattet ein ganzes Abenteuer."
Wieder erwiderten die Drei nur ein nervöses Lachen. Ihre Sachen hatten sie gottseidank aus dem Pausenraum geholt, bevor ihre Mitschüler sie abfangen konnten. Sie hatten wohl vergessen, die Pausenräume zu verunstalten, denn sie sahen noch genauso sauber aus wie vorher. Oder sie hatten keinen Schlüssel für diese Räume. Das war auch gut so. So mussten sie nicht mehr erklären, warum ein Kreis aus Kerzen und ein Hexenbrett neben ihren Sachen, dort waren. Die Mädchen konnten nicht sagen, dass das genauso eine Schnapsidee war, wie um 2 Uhr morgens nach Berlin zu fahren.
Nach einer langen Unterhaltung darüber, was die anderen in der Schule alles angestellt hatten, war es auch endlich soweit. Die Mädchen bekamen ihre Zeugnisse. Auf diesen Moment hatten sie sich sehr gefreut. Sie hielten nun den Beweis in der Hand, dass 12 lange, qualvolle Jahre in der Schule zu einem guten Abitur führten. Mit dem Zeugnis in der Hand, hatten sie die Eintrittskarte zu den Prüfungen und gingen nun zum ernsten Teil über. Die Drei strahlten sich gegenseitig an. Diesen glücklichen Moment hätten sie gerne mit jemanden geteilt. Natalie sollte jetzt eigentlich neben ihnen stehen und ebenfalls ein Zeugnis in den Händen halten. Sie wünschten sich diesen Moment mit ihr teilen zu können. Doch Natalie war irgendwo in einem fremden Land.
Nach der Zeugnisausgabe war erneut eine Party angesagt. Viele ihrer Klassenkameraden waren immer noch verkatert von der Nacht davor, ließen es sich aber nicht entgehen, noch einmal so richtig zu feiern. Auch bei Anna, Stefanie und Justine lief der Alkohol in Strömen. Sie feierten bis sie müde waren und in irgendeiner Ecke des Clubs einschliefen. Am Morgen um fünf Uhr wurden sie schroff vom Clubbesitzer geweckt und prompt rausgeschmissen.
„Wie gemein!" rief Anna ihm empört hinterher und rückte ihren Rock zurecht.
„Was machen wir jetzt? Nach Hause fahren?" fragte Justine und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Stefanie zuckte mit den Schultern und zupfte nervös am Saum ihres Kleides herum.
„Es ist Fünf Uhr am Morgen. Meine Eltern bringen mich um, wenn ich jetzt nach Hause komme."
„Und deswegen gehen wir nicht nach Hause." sagte Anna entschlossen. Ihre Freundinnen sahen sie entgeistert an.
„Ich würde mich gerne vorher umziehen." entgegnete Justine. Sie wusste genau auf was Anna hinaus wollte.
„Wozu? Wir sehen doch noch ganz gut aus." bemerkte Anna. Stefanie stimmte ihr leise zu. Ihr war es lieber jetzt nach Heris zu gehen, als nach Hause. Justine sah Anna und Stefanie erwartungsvoll an. Diese erwiderten den Blick. Nach einer Weile rollte Justine mit den Augen und gab nach. So vollzogen sie das Ritual auf dem dreckigen Parkplatz des Clubs, da Anna die Sachen nie aus ihrem Auto geräumt hatte.

Als sie die Augen öffneten, fanden sie sich in den Ida-Feldern wieder.
„Nicht schon wieder." murmelte Justine.
„Na dann, gehen wir los." sagte Anna und ging voraus. Sie gingen zum Weg und entschieden sich diesmal in die andere Richtung zu gehen. Diesmal kam ihnen kein Pferdewagen entgegen. Eine halbe Ewigkeit zog sich der Weg völlig unverändert in die Landschaft. Schnurgerade führte er ins nichts. Sie erkannten nur die Silhouette eines Gebirgszuges am Horizont. Doch dann zeigte Stefanie aufgeregt auf ein Haus, das vor ihnen lag. Die Mädchen nahmen all ihre noch vorhandene Kraft und liefen schneller zu dem Haus, das wie ein Bauernhaus aus einem Mittelalterfilm aussah. Ein Pferd graste neben dem Haus auf einer umzäunten Wiese.
„Ob jemand zuhause ist?" fragte Justine. Sie war völlig außer Atem.
„Hoffe ich doch mal." entgegnete Stefanie ebenso außer Atem. Anna zeigte plötzlich auf jemanden, der aus dem Haus kam. „Da!"
Der Jemand war der Kutscher, der die Mädchen mit ins Dorf genommen hatte. Aufgeregt sahen sich die Mädchen an. Vielleicht konnte er ihnen noch einmal helfen. Justine ging auf ihn zu und grüßte ihn freundlich.
„Oh, Hallo. Ihr seid ja wieder da." begrüßte er die Mädchen überrascht.
„Ja, wir sind immer noch auf der Suche." sagte Justine.
„Nach eurer Freundin." Er holte das Pferd von seiner Koppel. Die Mädchen nickten.
„Dann hattet ihr das letzte Mal keinen Erfolg." bemerkte er, während er das Pferd vor seinen Wagen spannte.
„Ja, leider." antwortete Justine.
„Wir wollen zur Hauptstadt. Könnten sie uns sagen, wo es lang geht?" fragte Stefanie höflich.
Die Mädchen sahen ihn erwartungsvoll an.
„Louis!" rief plötzlich jemand aus dem Haus. Eine Frau trat heraus. Sie trug ein einfaches Leinenkleid und einen Poncho mit aufgenähten Blumen darüber. Ihre braunen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. Sie lächelte die Mädchen freundlich an, als sie sie bemerkte.
„Hallo." begrüßte sie die Mädchen. „Hallo." gaben die Mädchen ebenso freundlich zurück.
„Bist du fertig?" fragte sie Louis. Dieser nickte und küsste sie auf die Stirn.
„Sind die Kinder auch fertig?" Die Frau nickte und kaum eine Sekunde später kamen zwei Kinder aus dem Haus gesprungen. Ein Junge und ein Mädchen, beide kaum älter als 10 Jahre.
„Kann es losgehen?" „Ich will endlich los!" riefen sie und sprangen auf den Wagen. Die Frau lachte leicht und setzte sich vorne in den Wagen.
„Wenn ihr in die Hauptstadt wollt, können wir euch mitnehmen." sagte Louis an die Mädchen gewandt.
„Wenn das okay ist, sehr gerne." antwortete Anna dankbar.
„Natürlich ist das okay." bemerkte Louis Frau, während Anna, Stefanie und Justine einstiegen.
„Seid ihr die Mädchen aus Mondos, die Papa mit ins Dorf genommen hat?" fragte der kleine Junge frech.
„Ja." antwortete Stefanie. „Das ist ja aufregend." sagte das Mädchen aufgeregt. Den Rest der Fahrt beantworteten die Mädchen Fragen von den Kindern und ließen sie mit ihren Handys spielen. Sie erfuhren von den Erwachsenen, dass heute im ganzen Königreich Elysion die Krönungsfeier der neuen Königin gefeiert wurde. Deswegen wollten sie in die Hauptstadt. Die Mädchen sahen sich fragend an. Ob die Königin ihnen vielleicht helfen konnte?
In der Hauptstadt herrschte eine ausgelassene Feierstimmung. Selbst die Wachen auf der Stadtmauer schienen in Feierlaune zu sein. Überall spielte Musik, die Menschen tanzten. Aber da waren nicht nur Menschen, sondern auch Trolle, Elfen, Feen und andere magische Wesen, die die Mädchen nur aus Märchen kannten. Es war wunderschön. Über der Stadt thronte das Schloss auf einem Berg. Es schien, als bestünde es aus Perlmutt. Es funkelte wunderschön im Sonnenlicht. Die Mädchen bedankten und verabschiedeten sich von der Familie und mischten sich unter die feiernden Leute. Sie fragten die Menschen und magischen Wesen nach ihrer Freundin und zeigten ihnen das Foto. Wieder erfolglos. Niemand kannte sie, niemand hatte sie gesehen. Am Abend, als die Sonne langsam unterging hatten die Mädchen schon alle Hoffnung aufgegeben, bis Justine die Mädchen plötzlich anhielt und in Richtung des Schlosses deutete. Anna und Stefanie folgten Justines Blick und sahen, was oder wen Justine meinte.
Die Königin. Sie war jung. Von weitem sahen die Mädchen nur eine zierliche Gestalt. Sie trug ein weißes Kleid und ihre goldene Krone funkelte im Schein der untergehenden Sonne. Begleitet wurde sie von drei Männern. Einer der drei trug eine Rüstung, die im Schein der Sonne glänzte. Ein Schwert war an seiner Hüfte befestigt. Er war kaum größer als die Königin selbst. Der zweite Mann war ungefähr einen Kopf größer, als die Königin und war in ein Kastanienbraunes Frack gekleidet. Er schritt elegant neben ihr her. Der dritte Mann überragte die anderen zwei wie ein Riese. Seine schwarzen Haare waren an den Seiten kurz geschoren und oben grün gefärbt. Wild standen sie in alle Richtungen ab. Er lief locker neben der Königin her. Es schien, als könnte ihn nichts aus der Fassung bringen. Die Königin stach aus dieser merkwürdigen Gruppe heraus wie ein Exot. Hellblonde lange Haare, Haut so weiß wie Schnee und eine Statur wie eine Elfe.
„Ob sie eine Elfe ist?" fragte Stefanie, während die Mädchen die Königin und ihre Begleiter beobachteten und sich dem Schloss langsam näherten.
„Nein, sie hat doch normale Ohren." antwortete Justine. Anna musterte Justine und Stefanie, als wären sie hinter dem Mond aufgewachsen.
„Ich frage mich eher, ob sie uns helfen kann." bemerkte Anna und sah der Gruppe hoffnungsvoll nach. Diese verschwand gerade im Schloss. Hastig forderte Anna ihre Freundinnen auf, ihr zu folgen. Sie eilten zum Schloss. Am Tor stoppten die Wachen sie.
„Wir müssen mit der Königin sprechen." sagte Justine zu den Wachen. Diese reagierten nicht.
„Hey! Hallo!" schrie Stefanie ihnen ins Gesicht. Wieder reagierten sie nicht. Justine begann einen komischen Tanz zu tanzen, den sie vermutlich auch vor den Wachen des Buckingham Palace aufgeführt hatte, als sie London mit ihren Eltern besucht hatte. Sie fuchtelte wild mit den Armen, um die Aufmerksamkeit der Wachen zu bekommen. Anna sah wie der Mundwinkel der einen Wache verdächtig zuckte. Stefanie stoppte Justines kleinen peinlichen Tanz nach einer Weile.
„Lasst uns rein!" befahl Stefanie den Wachen. Keine Reaktion.
„Wir haben ein wichtiges Anliegen...?" versuchte es Anna. Die eine Wache richtete seinen Blick auf sie.
„Worum geht es?" fragte er.
„Es geht um unsere Freundin. Sie ist verschwunden." antwortete Anna bestimmt. Die Wache musterte die Mädchen kurz und wechselte dann einen vielsagenden Blick mit der anderen Wache. Dann zuckten sie mit den Schultern und öffneten das Tor. Verblüfft traten die Drei in den Palast ein. 

Das verlorene Königreich - Das gebrochene HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt