Kapitel 7 "Die Sonne II"

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„Was glaubst du war das?" fragte Anna. Sie ritt neben Natalie her, die in Gedanken versunken war und über die Ruine und den Ruf nachdachte.
„Hm?" machte sie, als Anna sie aus ihren Gedanken riss.
„Was war das für eine Ruine?" wiederholte Anna ihre Frage. Natalie zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Kann eine alte Kirche oder Kapelle gewesen sein."
„Mitten im Nirgendwo?" Justine runzelte nachdenklich die Stirn.
„Als Elysion gegründet wurde, gab es noch keine großen Siedelungen. Es kann gut sein, dass sie aus dieser Zeit kommt."
„Glauben die Menschen hier an Gott?" fragte Stefanie neugierig. Natalie lächelte amüsiert.
„Das wird dich jetzt vielleicht schocken, aber nein. Gott, Allah, Jesus kennt hier keiner und wird auch nicht angebetet."
Stefanie verdrehte die Augen. „An was glauben die Menschen hier?"
„An zwei Göttinnen. Die Göttin des Guten Sire und die Göttin des Bösen Nefera. Und an sechs alte Gottheiten, aber das tun nur noch wenige."
„Das klingt ja komisch. Eine Göttin des Guten und des Bösen. Da weiß man ja sofort, wer der Liebling ist." Stefanie schüttelte sich scherzend.
„Aber was bedeutet Gutes und Böses?" fragte Justine.
„Das muss jeder selbst entscheiden." Natalie zuckte mit den Schultern, „Außerdem geht es mehr um das Gleichgewicht, das von den Göttinnen erzeugt wird und weniger um, was ist Gut und was Böse."
„Und zur Ausübung des Glaubens gab es Kirchen?" fragte Anna, um auf die Ruine zurück zu kommen. Natalie nickte. „Dort können die Menschen mit den Göttinnen Kontakt aufnehmen."
Die Mädchen sahen sich misstrauisch an. Bis auf Stefanie waren sie nicht religiös und konnten sich auch nicht daran erinnern, dass Natalie es war.
„Wurdest du in einer Kathedrale gekrönt?" hakte Justine nach. Wieder nickte Natalie.
„Ja, von den Göttinnen selbst sogar." Sie lächelte ihre Freundinnen an.
„Das ist ein Scherz."
Natalie schüttelte den Kopf. Ihre Freundinnen lachten verächtlich.
„Es stimmt. Die Göttinnen sind bei jeder Krönung dabei. Sie sind sogar dabei, wenn der Nachfolger ausgewählt wird. Die vorherige Königin wurde sogar von den Göttinnen ausgewählt."
„Du verarschst du uns. Das geht gar nicht." sagte Stefanie. Natalie hob eine Augenbraue.
„Ach, aber der Papst wird von Gottes Gnaden gewählt, ja?"
„Du weißt, dass meine Familie evangelisch ist und nicht katholisch." erwiderte Stefanie eingeschnappt.
„Trotzdem glaubt ihr an einen Gott, der nur manchmal, wenn überhaupt, antwortet."
„Was willst du damit sagen?" fragte Justine.
„Ich will sagen", Natalie räusperte sich, „dass unsere Religion darauf beruht, dass wir uns auf die Göttinnen verlassen können. Wenn wir sie rufen, kommen sie. Die Klöster und die Mönche, die dort lebten, bauten ihr Leben danach auf. Allerdings greifen sie nicht ein, wenn wir sie nicht rufen und sie müssen auch nicht antworten. Das ist irgend so eine kosmische Regel der Götter.", Natalie hob die Hände und fuhr in einem spöttischen Ton fort, „Greift ja nicht zu sehr in menschliche Angelegenheiten ein, das bringt das Gleichgewicht auseinander."
„Es gibt Klöster?" fragte Anna neugierig und ignorierte den letzten Teil völlig.
„Ja, es gab Klöster. Aber nach einem Vorfall, wurden sie aufgegeben." antwortete Natalie.
„Was für einen Vorfall?"

Die Sonne ging nun langsam unter und die Mädchen näherten sich dem Palast. Natalie sagte, dass sie es den Mädchen nach dem Abendbrot erzählte. Dieses mussten Anna, Justine und Stefanie leider alleine verbringen, da Natalie sich um wichtige Angelegenheiten kümmern musste. Es gab eine Art Auflauf mit Käse und verschiedenen Gemüsesorten. Stumm saßen die Mädchen an der langen Tafel im Speisesaal und stocherten lustlos in ihrem Essen umher. Als eine Tür laut zugeworfen wurde, zuckten sie erschrocken zusammen und schauten in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Jonas hatte den Speisesaal betreten. Er lief schnurstracks, ohne den Mädchen Beachtung zu schenken, zum Speisewagen und nahm einen Teller. Er machte eine Portion Auflauf auf den Teller. Währenddessen beobachteten ihn die Mädchen neugierig. Als Jonas die Blicke bemerkte, entgegnete er ihnen einen mürrischen Blick, drehte sich um und wollte gehen.
„Warte!" rief Stefanie ihm nach. Er drehte sich seufzend zu ihnen um.
„Du kannst dich ruhig zu uns setzen." sagte Stefanie freundlich und machte eine einladende Handbewegung.
„Oh, nein. Das ist nicht für mich." antwortete Jonas. „Das ist für Natalie. Sie hat viel zu tun."
„Oh." machte Stefanie.
„Wann ist sie denn fertig?" fragte Anna. Jonas zuckte mit den Schultern. „Könnte noch länger dauern. Sie gibt euch Bescheid, wann sie fertig ist. Ich empfehle mich."
Mit diesen Worten und einer Verbeugung verschwand Jonas wieder.
Stefanie sah ihre Freundinnen verwirrt an. „Warum empfehlt er sich? Und für was?"

Das verlorene Königreich - Das gebrochene HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt