Feuer

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Ein Stapel Holz liegt scheinbar ewig während in der Schale. Wie von Zauberhand ist da plötzlich ein schwacher Lichtschimmer sichtbar. Zuerst ist es nur ein kleines Zucken, ein scheues Lichtlein, das sich vorsichtig zwischen den grossen und alten, ehrwürdigen Holzstücken hin und her bewegt. Manche von ihnen mag es erreichen und etwas anschwärzen, einzelne greifen die Flamme auf, verbreiten sie. Aus dem kleinen Flämmchen wird mehr, es wird grösser, es verbreitet sich energischer, erreicht mehr Holzstücke. Das kleine Feuer nimmt sich seinen Raum, frech, frisch und energisch. Es gibt die Energie weiter, entflammt nach und nach das Holz, zuerst die kleineren Stücke, dann die grossen. Die Wärme, welche zu Beginn bloss im kleinen Flämmchen schlummerte, wird um das noch immer bescheidene Feuer spürbar. Sie überträgt sich auf unsichtbare Weise auf den Raum, verbreitet Wohlgefühl.

Das noch immer jugendliche Feuer brennt. Mit seinem Licht erhellt es die Umgebung, kann von weit her gesehen werden. Mit seiner Wärme macht es den erreichten Raum lebenswert, spendet Energie, Hoffnung. Sichtbare Spuren seines Wirkens legen sich am Grund und an den Seiten nieder, noch sind sie einfach nur Spuren, unwichtig. Die Flammen knabbern am Holz. Sie erweitern damit ihren Wirkungskreis, das Feuer betritt eine unsichtbare Bühne und steht im Rampenlicht. Die Bühne gehört dem Feuer alleine. Mit Knistern und Knallen macht es auf sich aufmerksam. Sein Hunger nach mehr greift nach den umliegenden Holzstücken. Das Feuer entflammt sie, als wolle es die Welt verschlingen. Alles scheint möglich.

Die Flammen sind nun überall, das Feuer wirkt an allen noch so entfernten Stellen, hat seine Umgebung fest im Griff. Das Holz beugt sich seinem Schicksal, es biegt sich und zerfällt. Die Spuren des Feuers werden mehr. Unter dem lodernden Holz liegt Glut, erst ganz am Rand ist Asche sichtbar. Das Feuer lodert weiter. Es verändert sich dauernd, ist nie gleich und dennoch bleibt es auf seinem Weg, nährt sich unruhig vom Holz und spendet doch Licht und Wärme. Seine Energie scheint unendlich zu sein, nichts kann sie stoppen. Was in die Nähe der Flammen gerät, wird unweigerlich von ihnen eingenommen.

Nach und nach wird das Feuer ruhiger. Es brennt kontrollierter, geordneter. In diesem Zustand verharrt es scheinbar, obwohl es noch immer brennt, sich noch immer bewegt. Nichts ist statisch, alles verändert sich. Gegen das Ende hin verliert das Feuer an Kraft. Seine Energie der Flammen hat es weiter gegeben. Glut liegt da, die Spuren des Feuer übernehmen die Bühne. Was vor kurzer Zeit beständiges Holz war, ist nun Glut und Kohle. Der helle Schein des Feuers weicht dem weichen, sanften Glimmen der heissen Glut. Dann und wann züngelt noch ein letztes Flämmchen, aber längst ist Ruhe eingekehrt, Frieden. Die wohlige Strahlung der Glut erwärmt Räume und Herzen. Sie zeugt von reicher Erfahrung, wüsste so manche Geschichte zu berichten. Wie ein klassisches Orchester spielen die aufleuchtenden roten und orangen Lichter eine sanfte Sinfonie des Lebens. Aber auch sie werden weniger, die Wärme der Glut nimmt ab. Zum Schluss sind nur noch die Spuren da. Aus der Kohle wird Asche, Staub. Der Rand der Schale ist schwarz. Er zeugt als einziger davon, dass hier ein Feuer war. Jedes Feuer hinterlässt andere Spuren auf dem Rand.

Das Leben ist wie das Feuer. Als Jugendliche brennen wir auf die Welt, wollen al-les erreichen. Irgendwann brennen wir ruhig und stetig für einen kleineren Umkreis, geben uns mit dem zufrieden, was wir erreichen können. Doch am Schluss werden wir alle Asche sein. Zurück bleiben die einzigartigen Spuren als Zeugen unseres Daseins. Es ist vollkommen unwichtig, ob wir dabei ein Land, eine Stadt, ein Haus oder einfach bloss eine kleine Schale von Holz verbrannt haben. Das Entscheidende ist, mit der Gewalt der eigenen Flammen nicht zu zerstören, sondern Wärme und Licht zu spenden, bis zum letzten Aufglimmen eines orangen Lichtleins in der kälter werdenden Glut.

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