Schangnau - Hochdeutsche Übersetzung

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Wir haben in der Emme schwimmen gelernt, wir waren Schlittschuh laufen auf dem Eisfeld gleich neben dem Färzbach. Dieser Bach kommt vom Wachthubel, fliesst dem Krähenbühl, dem Haus meiner Urgrosseltern, sowie am Haus meiner Grosseltern vorbei und der Emme entgegen. Das Haus ist immer noch gleich wie damals, als wir als Kinder durch die Gänge flitzten und verstecken spielten. Irgendwie riecht hier alles vertraut, nach dem warmen Brot aus der Bäckerei oder nach dem frischen Fleisch des Metzgers. Seit gefühlten hundert Jahren hat sich daran nichts geändert. Es ist ein stattliches Haus mit tiefen gedeckten Balkonen, den Lauben, auf beiden Seiten, ein altes Berner Haus - obwohl es 'Neubau' heisst. Früher haben wir die Tiere noch gesehen, bevor sie danach zu Wurst und Braten verarbeitet wurden. Wir konnten dem Schlachtprozess zusehen. Es war so normal für uns wir der Mehlstaub aus der Backstube. Das alte Holz des Hauses wird den Geruch all dieser Geschichten nie verlieren. Es wäre schade, das Haus neu zu streichen. Da ginge etwas verloren. In Schangnau ist die Zeit auf eine angenehme Art stehen geblieben. Man hat zwar Internet und in der Bäckerei kann man auch Geld abheben. Dennoch spürt man nichts von Hektik. Niemand wird nervös, wenn du noch Kleingeld zählst oder kurz ein paar Worte mit dem Bäcker Andreas wechselst.

Etwas höher gelegen als der Dorfkern steht das Haus unserer Urgrosseltern, der Krähenbühl. Selbst wenn schon lange niemand der Verwandtschaft mehr als Landwirt arbeitet, steht der stattliche Hof immer noch dort. Wahrscheinlich wären die Bauern schon noch entfernt verwandt, aber im Unterland vergisst man eben solche Dinge schnell. Die Emme fliesst seit eh und je vom hintersten Teil des Tals, dem Kemmeriboden, am Dorf vorbei und entschwindet in der Rebloch-Schlucht. Niemals durften wir in die Nähe dieser Schlucht. Sie war geheimnisvoll und galt als gefährlich, es hiess gar, es spuke dort. Dabei ist es bloss eine sehr enge Schlucht, wie jene der Aare, aber einfach ohne Touristen und ohne den ganzen Rummel.

Über dem Dorf thront und wacht der Hohgant, der langgezogene Hausberg. Er bewacht und beschützt die Heimat. Manchmal denke ich, etwas "Schangnau" täte uns allen gut. Mal stehen bleiben, inne halten. Einen Schwatz abhalten, einen Kaffee trinken und einander helfen, wenn Not am Manne ist. Neunhundertsechsunddreissig Einwohner sind zufrieden mit dem, was sie haben. Für mich als Weltenbummler ist es jeweils ein Heimkommen, wenn ich über die kleine Brücke in der scharfen S-Kurve fahre und es plötzlich mehr Schnee hat als noch davor. Eine plötzliche Ruhe und Zufriedenheit umgibt mich, wie man sie nur dort finden kann. Und die Emme verschwindet im Rebloch, der grossen Welt entgegen.

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