"Hän' die kei Schnüerle?"

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So fragte der erstaunte Bauer, als er den Städter mit dessen neuem Mobiltelefon sah. Sie soll aufgrund dieser Frage entstanden sein, die Bezeichnung Händi oder auf gut Neudeutsch Handy. Wie hat dieser Knochen doch unsere Welt verändert. Knochen war am Anfang die richtige Bezeichnung, wir erinnern uns gern an die unförmig grossen, mit externem Akku verbundenen und nur einflussreichen Geschäftsleuten vorbehaltenen Geräte. Dann folgten die ersten Geräte für die Normalmenschen. Die kultigen Nokia-Zwerge finden sich heute in vielen Museen wieder.

Heute sehen wir kleine Kinder gelangweilt im Sand sitzen, während ihre Mütter nicht auf sie, sondern auf den hellen Bildschirm in ihren Händen blicken. Ihr Kind sehen sie dann ja auf Instagram, wozu also beobachten? Die Menschheit folgt in gebückter Haltung dem roten Punkt in der App ohne dabei auf Mitmenschen, Strassen oder den Verkehr zu achten. Bereits gibt es Programme, die per Handykamera die Strasse filmen und auf den Bildschirm übertragen, damit der Betrachter nicht stolpert. Orientierung in der wirklichen Welt wird immer schwieriger ohne Siri, Alexa und Cortana.

Alle weiblich. Die Männer folgen offenbar einer weiblichen Stimme wohlgesinnter. Der eingangs erwähnte Bauer hat schliesslich auch immer so abgestimmt, wie es ihm seine Frau gesagt hat. Aber der Bauer hat seinen Stall und die Kirche im Dorf ohne Maps und ohne App gefunden. Das Stichwort heisst also Orientierungslosigkeit oder eben Abhängigkeit. Wir verlagern unser Leben in eine virtuelle Welt, posten, liken und followen was das Zeug hält, während das reale Leben an uns vorbei zieht.

Am Wochenende gehen wir protestierend und schreiend auf die Strasse, fordern mehr Freiheit und mehr Schutz für unsere Privatsphäre. Selbstverständlich posten wir das auf Insta. Wir wehren uns gegen Überwachung und kontrollieren gleichzeitig unsere Gesundheit mit der neuen App, die uns sagt, wie viele Schritte wir noch tun müssen, um gesund zu bleiben. Wir sind gegen G5 Antennen und ärgern uns gleichzeitig über den schlechten Empfang. Ohne Navi finden wir keine Adresse mehr, wollen aber unbedingt die selbstfahrenden Fahrzeuge verbieten. Früher habe ich meine Grossmutter gefragt, welche Pflanzen man essen könne. Die Grossmutter heisst heute Google.

Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist nicht der permanente Zugriff auf das schier unbeschränkte Wissen, welches in Clouds gespeichert ist. Es ist vielmehr unsere Gleichgültigkeit, welche uns zusehends Sorge bereiten sollte. Wozu soll man noch etwas lernen, wenn man jederzeit das volle Wissen der Menschheit abrufen kann? Wir verlassen uns auf Dinge, die wir nicht mehr kontrollieren können. Wir befolgen Ratschläge, jenseits jeder Vernunft, bloss weil die App es uns gesagt hat. Lachend geben wir unsere Entscheidung, unser Leben, an eine Smartwatch ab, auf dass sie uns zu mehr Zufriedenheit leite.

Für mich tönt das etwas nach 1984 von G. Orwell oder nach den Eloi aus Time-Machine von H.G. Wells. Die Morlocks sind aber nicht die bösen Monster, auch nicht die mächtigen und reichen Männer in ihren schwarzen Rollkragenpullovern oder weissen Massanzügen. Nein, die Morlocks sind wir gleich selbst. Mit jeder Neuerung, die wir hoch preisen und mit der wir noch mehr Leben an eine App delegieren, verlieren wir an Daseinsberechtigung. Wir mutieren zu willenloser und ungebildeter Biomasse, welche irgendwann durch robustere, effizientere Ware ersetzt wird. Wahrscheinlich werden wir aber nicht einmal aufschreien, wenn das passiert, weil eine App uns sagt, unser Untergang sei gut.

Wir sägen am inneren Ende des Astes, auf welchem wir sitzen und merken es nicht. Unter uns aber steht der Bauer, blickt lächelnd zu uns hoch und schüttelt den Kopf.

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