Ausgebrannt

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Sie steht ruhig im Fenster, weiss, gross, stolz. Sie spendet Licht, sie erhellt den Weg. Wenn ein Funke springt, beginnt sie zu leuchten, ihr Feuer brennt. Wenn man ihr näher kommt, spürt man wohltuende Wärme. Sie kann ihr Feuer weiter geben. Kleinere Kerzen können es empfangen, entwickeln eine eigene Flamme und leuchten eigene Wege.

Komm ihnen nicht zu nahe, du wirst dich verbrennen. Die Flamme gibt die Grenze vor. Die grosse Kerze nimmt ihre Energie aus ihrem Körper, scheinbar endlos. Nur langsam stellt man fest, sie wird kleiner, sie verändert sich. Sie hat schon so vielen kleinen Kerzen ihr Licht weiter gegeben.

Sie wird nicht für immer leuchten können, irgendwann wird sie ausgebrannt sein. Dann wird ihr Licht nur noch Erinnerung sein, vielleicht im Licht der kleinen Kerzen weiter getragen. Niemand wird sich jedoch daran erinnern, woher die kleinen Kerzen ihr Leuchten haben.

Ohne Wind brennt die Kerze länger. Wird der Wind zu stark, kann die Flamme nicht mehr auf die scheinbar endlose Energie im Körper zugreifen. Sie erlischt mit einem sich sanft lösenden Rauchfaden.

Eine Laterne aus Glas könnte die Flamme davor schützen, das ausgebreitete Licht verliert dabei aber die Wärme. Sie bleibt in der Laterne drin. Das Licht hat nur noch halbe Wirkung und kleinere Kerzen haben es schwerer, die Flamme zu übernehmen.

Lassen wir die Kerze also ohne Käfig leuchten und halten den Wind im Zaum. Denn wenn die Flamme ausgeht, ist die Kerze ausgebrannt und es braucht eine andere Flamme, die versuchen kann, sie neu zu entzünden. Freut euch an den vielen Kerzen, die heute an diesem kalten, verschneiten Tag den Weg leuchten. Noch brennt die Kerze und ich erfreue mich an ihrem warmen Licht.

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