Konjunktiv II

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Der Konjunktiv II, also was wäre wenn, der ist bei allen Schülern unbeliebt. Die meisten erwachsenen Menschen nutzen ihn nur beim Kartenspiel: "Hätte ich anstatt der Neun ein Ass gespielt, so wäre dein König nutzlos gewesen." Aber auch König Fussball lebt vom Konjunktiv: "Hätte der Ball nicht die Latte gestreift, so wäre er unhaltbar im Tor gelandet." - Was für eine tiefgründige Weisheit doch in manchem Konjunktiv II steckt. Selbst Sorgen werden im Konjunktiv II ertränkt: "Hätte ich gestern Abend bloss nicht so viel getrunken - es ginge mir heute deutlich besser."

Der Konjunktiv II, also was wäre wenn, der ist jedoch weit mehr als bloss eine weitere grammatische Plage für Schüler. Er lässt Raum für Fantasien und für Träume. Somit nutze ich ihn heute, um einen möglichen Brief zu schreiben.

Hejhej

Ich wünschte mir, du wärst heute bei mir. Wir hörten die selbe Musik, wahrscheinlich hättest du eine Playlist zusammengestellt. Sie würde perfekt zu jeder Stimmung passen und wir sässen da und hörten zu. Wir würden nebeneinander aufs Meer blicken und der Wind wäre plötzlich nur noch halb so lästig. Selbst die Kälte wäre kaum mehr Kälte, sie wiche der Wärme, welche nur wir beide spüren könnten. Wir könnten über so viele Dinge miteinander diskutieren und die alltäglichen Sorgen würden verschwindend klein, selbst emsige Ameisen wären grösser. Wir könnten uns verhalten wie die flinken Eichhörnchen auf dem Baum, der uns die Sicht aufs Meer raubte. Dahinter würde das Wasser blauer, mit dir wäre alles bunter.

Zusammen könnten wir Städte besuchen, Eis schlecken und gemütlich am Strand ein Picknick halten. Abends würden wir uns ein Restaurant suchen, du dürftest entscheiden, wonach dich gelüstet. Kerzenlicht würde dein Gesicht in weiche Farbnoten hüllen, du sähst glücklich aus. Das Essen schmeckte auf einmal würziger mit dir, der Wein unterstützte die Stimmung und hüllte uns langsam in seinen angenehmen Nebel.

Wir würden danach am Strand entlang zu unserem wohl ausgesuchten Hotel schlendern und weiter diskutieren. Es gäbe kein Thema, welches wir nicht besprechen könnten. Wir wären glücklich und es gäbe keinen Morgen. Ich wünschte mir, du wärst hier, damit ich dir sagen könnte, wie sehr ich dich mag.

Wo, bitte schön, ist hier der unbeliebte Teil des Konjunktivs? Ist er nicht vielmehr wunderbar? Ich glaube, der Konjunktiv ist nicht erfunden worden. Er ist ein natürlicher Teil von uns, lebt in allen unerfüllten Träumen und Sehnsüchten der Menschen. Viele von uns sollten öfter der strengen Welt des Indikativs entfliehen, los fliegen in den Konjunktiv und sich voll und ganz dem hingeben, was sein könnte. Puristen sagen, Träume seien Schäume. Ich aber sage: Wer mag schon einen Cappuccino oder ein heisses Bad ohne Schaum? Schaum gehört dazu, er ist die Krone jeden Genusses. Also, meine lieben Mitmenschen, lebt mehr im Konjunktiv. Lasst uns den nächsten Tag vom Konjunktiv bestimmen und nur das tun, was wäre, wenn die eine oder andere Person da wäre. Nur so handeln, wie wir handeln würden, wenn wir frei entscheiden könnten. Uns nur so benehmen, wie wir uns eigentlich schon lange einmal benehmen möchten. Legen wir die Fesseln des Alltages einmal ab und ertrinken in den Möglichkeiten des Konjunktivs!

Die folge davon ist ganz Indikativ: Es geht uns deutlich besser als zuvor. Und dabei wischen wir uns breit grinsend den Schaum von der Oberlippe, atmen tief aus und lehnen uns zufrieden zurück. Das Leben ist wunderbar.

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