Der Erbe Slytherins (2)

174 9 1
                                    

„Tom Riddle", hauchte ich tonlos.
„Lucy Potter", sagte er mit seltsamer Stimme und in seinen Augen blitzte etwas auf.
„Was meinst du damit, sie wird nicht aufwachen?", fragte Harry hinter mir verzweifelt. „Sie ist nicht... sie ist doch nicht...?"
Tom schüttelte den Kopf.
„Sie ist noch am Leben", antwortete er. „Grade eben noch."
„Bist du ein Geist?", fragte Harry unsicher.
„Eine Erinnerung", meinte Riddle leise. „Fünfzig Jahre lang in einem Tagebuch aufbewahrt."
Er deutete auf den Boden neben die Riesenzehen der Statue. Dort lag aufgeschlagen der kleine schwarze Taschenkalender, den wir im Klo der Maulenden Myrte gefunden hatte.
„Du musst uns helfen, Riddle", sagte Harry und hob Ginnys Kopf. „Wir müssen sie hier rausbringen. Da ist ein Basilisk... ich weiß nicht, wo er steckt, aber er könnte jeden Augenblick kommen... bitte, hilf uns!"
Riddle rührte sich nicht.
„Harry", sagte ich bestimmt. Fragend sah er zu mir während ich den Kopf schüttelte. „Ich glaube nicht, dass Tom ein Verbündeter ist."
„Ich habe lange auf diese Stunde gewartet, Harry und Lucy Potter", sagte Riddle. „Auf die Gelegenheit, euch zu treffen. Mit euch zu sprechen."
„Was willst du von uns?", zischte ich, die Augen zu Schlitzen verengt. Harry schüttelte den Kopf.
„Reden können wir später! Wir müssen Ginny retten!"
„Wir reden jetzt", meinte Riddle und ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Eiskalt lief es mir den Rücken runter.
„Was ist mit Ginny passiert?", fragte ich langsam.
„Nun, das ist eine interessante Frage", sagte Riddle vergnügt. „Und eine ziemlich lange Geschichte. Ich denke, der eigentliche Grund, warum Ginny hier liegt, ist, dass sie ihr Herz ausgeschüttet und all ihre Geheimnisse einem unsichtbaren Fremden verraten hat."
„Wovon redest du?", fragte Harry verwirrt.
„Das Tagebuch", murmelte ich und sah hinüber zu dem schwarzen Taschenkalender.
„Du bist sehr schlau Lucy Potter", meinte Riddle anerkennend. „Mein Tagebuch. Die kleine Ginny hat Monat für Monat darin geschrieben und mir all ihre jämmerlichen Sorgen und ihr Herzeleid anvertraut – wie ihre Brüder sie triezen, wie sie mit gebrauchten Umhängen und Büchern zur Schule kam, und dass sie nicht glaubt, der berühmte, gute, große Harry Potter würde sie jemals mögen."
Bei seinen letzten Worten hatten Riddles Augen wieder einen seltsamen Glanz angenommen.
„Es war sehr langweilig, den albernen kleinen Sorgen eines elfjährigen Mädchens zu lauschen", fuhr er fort. „Doch ich war geduldig. Ich schrieb zurück, ich zeigte Mitgefühl, ich war nett. Ginny hat mich einfach geliebt."
Riddle lachte. Es war ein hohes, kaltes Lachen, das nicht zu ihm passte und mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Ich erkannte nichts mehr von dem Jungen mit dem ich verbotenerweise im Dämmerlicht getanzt hatte.
„Ich darf durchaus von mir behaupten, dass ich jene, die ich brauchte, immer bezaubern konnte", sagte Riddle langsam und in seinen Augen erkannte ich, dass er an ebenso an jene Nacht zurück dachte. „Und so hat Ginny mir ihr Herz ausgeschüttet, und ihr Herz war genau das, was ich brauchte. Ich wurde stärker und stärker, denn ich konnte mich von ihren tiefsten Ängsten, ihren dunkelsten Geheimnissen nähren. Ich wurde mächtig, viel mächtiger als die kleine Miss Weasley. Mächtig genug, um sie mit ein paar meiner Geheimnisse zu füttern, um ihr allmählich ein wenig von meiner Seele einzuflößen.
„Ginny hat die Kammer des Schreckens geöffnet", hauchte ich. Sämtliche Farbe wich aus meinem Gesicht als mir klar wurde war geschehen war. Riddle nickte.
„Sie hat die Schulhähne erwürgt und Drohungen an die Wände geschmiert. Sie hat die Schlange von Slytherin auf vier Schlammblüter losgelassen und auf die Katze von diesem Squib."
„Nein", flüsterte Harry geschockt.
„Ja", sagte Riddle gelassen. „Natürlich wusste sie zuerst nicht, was sie tat. Es war sehr lustig. Ich wünschte, du hättest ihre neuen Tagebucheinträge lesen können ... Wurden jetzt bei weitem interessanter ... Lieber Tom", zitierte er und beobachtete Harrys entsetztes Gesicht, „ich glaube, ich verliere mein Gedächtnis. Auf meinem Umhang sind überall Hühnerfedern, und ich weiß nicht, wie das kommt. Lieber Tom, ich kann mich nicht erinnern, was ich in der Nacht von Halloween getan habe, aber eine Katze wurde angegriffen und ich bin überall mit Farbe bekleckert. Lieber Tom, Percy sagt ständig, ich sei blass und nicht mehr die Alte. Ich glaube, er verdächtigt mich ... Heute gab es wieder einen Angriff, und ich weiß nicht, wo ich war. Tom, was soll ich tun? Ich glaube, ich werde verrückt ... Ich glaube, ich bin es, die alle angreift, Tom!"
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Meine Fingernägel gruben sich tief ins Fleisch.
„Es hat sehr lange gedauert, bis die dumme kleine Ginny aufgehört hat, ihrem Tagebuch zu vertrauen", sagte Riddle. „Schließlich wurde sie doch misstrauisch und versuchte es loszuwerden. Und dann kamt ihr auf die Bühne. Ihr habt es gefunden, zu meinem allergrößten Vergnügen. Von allen, die es hätten finden können, wart es ausgerechnet ihr, die Menschen, die ich am sehnlichsten treffen wollte!"
„Und warum?", fragte Harry. Seine Stimme zitterte vor Wut. Riddles Augen folgen über Harrys und meine Narbe und nahmen einen hungrigen Ausdruck an. „Ich musste einfach noch mehr über euch rausfinden, mit euch sprechen, euch treffen, wenn ich konnte. Also beschloss ich, eurer Vertrauen zu gewinnen und euch meine Ruhmestat vorzuführen: wie ich diesen gewaltigen Hornochsen Hagrid erwischt hab..."
Seine Augen huschten wieder zu mir und seine Lippen kräuselten sich.
„Natürlich hätte es nie für möglich gehalten, dass einer von euch in meiner Vergangenheit auftauchen würde."
Ich zuckte zusammen und biss mir auf die Lippe.
„Du bist wirklich eine außergewöhnliche junge Hexe, Lucy Potter", sagte er und seine Augen funkelten. „In so jungen Jahren hast du nicht nur die Kontrolle sondern auch die magische Kraft soweit in die Vergangenheit zurück zu reisen. Du bist wirklich etwas besonderes."
Riddle ließ erneut sein hohes Lachen vernehmen.
„Doch die Vergangenheit war mir nicht genug. Also ließ ich Ginny ihren eigenen Abschiedsgruß auf die Wand schreiben und kam hier herunter, um auf euch zu warten. Sie hat sich gewehrt und geheult und hat mich sehr gelangweilt. Doch jetzt ist nicht mehr viel Leben in ihr. Sie hat zu viel in das Tagebuch gesteckt, in mich. Genug, damit ich endlich dessen Seiten verlassen konnte. Ich wusste, ihr würdet kommen. Ich habe viele Fragen an euch."
„Zum Beispiel?", blaffte ihn Harry an, die Hände immer noch geballt.
„Nun", sagte Riddle vergnügt lächelnd, „wie kommt es, dass ein Baby ohne außergewöhnliche magische Begabung es geschafft hat, den größten Zauberer aller Zeiten zu besiegen? Wie konntet ihr mit nichts weiter als einer Narbe davonkommen, während Lord Voldemorts Kräfte zerstört wurden?"
In seine hungrigen Augen trat jetzt ein merkwürdiges rotes Leuchten.
„Was schert es dich, wie wir überlebten?", sagte Harry langsam. „Voldemort kam nach deiner Zeit!"
„Voldemort", sagte Riddle sanft, „ist meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft, Harry Potter."
Er griff nach Harrys Zauberstab vor sich, schwang ihn durch die Luft und schrieb drei schimmernde Wörter:

TOM VORLOST RIDDLE

Und mit einem Schwung des Zauberstabs vertauschten die Buchstaben ihre Plätze:

IST LORD VOLDEMORT

Mit einem Mal wurde mir alles klar. Dumbledore hatte es gewusst! Deshalb hatte er mir nichts über Tom Riddle sagen wollen aber auf der anderen Seite mich davor gewartet noch einmal in Kontakt mit ihm zu treten. Er hatte mich von Anfang nur schützen wollen.
„Seht ihr?", flüsterte Riddle. „Es war ein Name, den ich schon in Hogwarts gebraucht habe, natürlich nur für meine engsten Freunde. Glaubst du etwa, ich wollte für immer den Namen meines miesen Muggelvaters tragen? Ich, in dessen Adern von der Mutter her das Blut von Salazar Slytherin selbst fließt? Ich soll den Namen eines schäbigen, gemeinen Muggels behalten, der mich verließ, noch bevor ich geboren war, nur weil er herausfand, dass seine Frau eine Hexe war? Nein! Ich erfand mir einen neuen Namen, einen Namen, von dem ich wusste, dass Zauberer allerorten ihn eines Tages, wenn ich der größte Zaubermeister der Welt sein würde, vor Angst nicht auszusprechen wagen würden!"
„Du bist nicht der größte Zauberer der Welt!", zischte ich.
„Ach ja?", fragte Riddle spöttisch.
„Luce hat recht", sagte Harry, stand auf und trat neben mich. „Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, doch der größte Zauberer der Welt ist Albus Dumbledore. Selbst als du stark warst, hast du nicht gewagt, Hogwarts zu erobern. Dumbledore hat dich schon durchschaut, als du noch in der Schule warst, und er macht dir immer noch Angst, wo du dich auch heute verstecken magst."
„Dumbledore ist nicht hier!", knurrte Riddle, das Gesicht zu einer wütenden Fratze verzogen. „Er ist aus der Schule vertrieben worden durch eine Bloße Erinnerung meiner selbst!"
„Er ist nicht so weit weg wie du vielleicht denkst!", warf ich ein als ich mich an Dumbledores Worte in Hagrids Hütte erinnerte:
Und wer immer in Hogwarts um Hilfe bittet, wird sie auch bekommen

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt