Fest schlossen sie sich in die Arme und ignorierten alle Personen um sie herum, die ihre Lieben begrüßten, Trolleys hinter sich herzogen, sie anrempelten. Mitten in der Menschentraube waren sie sich begegnet und beide wussten mehr als je zuvor, was geschehen war. Auf der einen Seite gab es nicht enden wollende Tränen, auf der anderen Seite Verständnis, auch wenn es wohl der schwächste Trost war.
"It's going to be okay, Louise!", flüsterte Joy sanft in ihr Ohr, während Louise ihr tränenüberströmtes Gesicht in den Schal ihrer Assistentin vergrub.
Eine Nachricht an Joy aus London mit der Bitte, sie so schnell wie möglich nach New York zu holen, hatte genügt und die junge Frau setzte alles in Bewegung um Louise in den nächstbesten Flieger in Richtung Vereinigte Staaten zu setzen. Wenn Louise jedoch eines aus dieser unglaublich schmerzhaften und ausweglosen Situation gelernt hatte war, das Reden manchmal vielleicht doch besser ist als Schweigen und sich anschließend in Lügen zu verstricken, so zögerte sie nicht, am Flughafen von Heathrow, versteckt in einer hintersten Ecke Joy die ganze Geschichte am Telefon zu erzählen. Ob es nun aus Pflichtbewusstsein oder doch Sympathie ihr gegenüber war, hörte Joy aufmerksam zu, ohne in ihrer sonst so gewohnten Manier ihre Kommentare unverblümt dazwischenzuschieben. Umso glücklicher war Louise, dass Joy ihren freien Sonntagmorgen dafür geopfert hatte, sie am JFK ein Empfang zu nehmen.
"Have you eaten? You must be hungry. Where do you wanna go?", fragte Joy zurückhaltend, als die beiden Frauen im Uber auf dem Weg nach Manhattan saßen. Es war ein vorsichtiger Versuch das Schweigen zu brechen, das über ihnen hing, seit Louise aus dem Gate herausgetreten war. Ihre Tränen waren mittlerweile getrocknet, die Trauer und der Schmerz, den sie fühlte, machten jedoch keine Anstalten aus ihr zu weichen. Sie hatte jedoch keine Kraft mehr zu weinen, fast so, als wäre sie vollkommen ausgetrocknet. Ihr Gesicht brannte von den Massen an salziger Flüssigkeit und ihre Augen pochten unaufhörlich. Sie war sich sicher, dass sie aussehen musste, wie ein Boxer nach einem harten K.O., dass die Partien um ihre Augen dick angeschwollen waren. Fest hielt Joy ihre tröstend ihre Hand, fuhr ihr immer wieder mit dem Daumen über den Handrücken. Sie war ihrer Assistentin so viel schuldig, dass sie das nun alles mit ihr mitmachen musste, aber niemand war ihr in dem Moment näher, als sie. Joy war die Einzige, die halbwegs vertraut war mit der Vorgeschichte und die sie in der vergangenen Nacht aus purer Verzweiflung in alles eingeweiht hatte.
"I have a proposition.", fuhr Joy fort, als Louise auf ihre vorherige Frage nicht antwortete.
"How about, I'll take you to my place in Brooklyn? You can get some rest, have a coffee and maybe something to eat? And we'll talk, if you want to. Maybe this would be the best than returning to your place right away."Joys Weitsichtigkeit und Feingefühl brachte Louise dazu, fast den allerletzten Rest ihrer Tränen vor Rührung zu opfern. Die panische Angst vor den über sie hineinbrechenden Gefühlen, wenn sie ihr Zuhause betrat, das, was sie noch vor einigen Tagen voller Vorfreude auf London und Tom verlassen hatte, war Joy durchaus bewusst. Ihr Townhouse verband sie mit all den wunderbaren neuen, aufregenden Momenten mit Tom. Wie könnte sie heute Nacht in dem Bett schlafen, in dem sie sich das erste Mal wirklich nahe waren? Wie konnte sie in der Küche stehen, sich Earl Grey zubereiten, wenn der Bergamotte-Geruch seit vielen Monaten mit ihm verbunden war. In ihrem Kopf, lief sie durch ihr Apartment, und in jedem Raum, in den sie hineinblickte, war Tom. In ihrem Windfang, an der Garderobe, in ihrem Wohnzimmer auf der Couch, in ihrer Küche am Tresen und schlafend in ihrem Bett. Abwesend nickte sie vor sich hin, versuchte dadurch die Bilder in ihrem Kopf verschwinden zu lassen.
"Carter, to Cobble Hill in Brooklyn, Amity Street, instead of Murray Hill, please.", instruierte Joy den Fahrer, der auf vom Expressway 465 kurz vor Long Island City wieder in entgegengesetzte Richtung auf den Brooklyn Queens Expressway wechselte. Auch hier hatte sie nicht die Antwort ihrer Chefin abgewartet, doch Louise war froh, dass Joy sie in ihrer aktuellen Lage, auch ohne Worte verstand.
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If we meet again... [Wattys 2018 Longlist]
Fanfic[Wattys 2018 Longlist] Arbeit, Arbeit, Arbeit - das ist der Lebensinhalt der Karrierefrau Louise Ward. Als Teil eines großen Familienimperiums, hat sie ihr Leben voll und ganz Ward Brothers & Co. verschrieben, bis zufällige Begegnungen, einige Earl...