What am I supposed to do?

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Louise benötigte einige Tage der eindringlichen Selbstmeditation, bevor sie wieder in der Lage war klar zu denken und auch das Büro wieder zu betreten. Nach ihrer Ankunft in New York, hatte Joy auf sie eingeredet, dass sie sich zunächst krankmeldete. Ihr war bewusst, dass Louise in ihrer Verfassung nicht imstande war an ihrem beruflichen Alltag teilzunehmen, ohne die Aufruhr zu verursachen, die sie so fürchtete. Weil auch Louise das wusste, willigte sie ein und verbrachte einige Tage in ihrer Wohnung in Murray Hill.

Die Erinnerungen hatten sie übermannt, als sie Joys Angebot ausschlug, die erste Nacht in Brooklyn bei ihr zu verbringen und stattdessen zu sich nachhause fuhr. Die Gefühle, die über sie hereinbrachen, waren noch schlimmer, als sie es befürchtet hatte. Louise war selbst erschrocken von dem Schwall an Emotionen, der sie überschwemmte, der Flut an wirren Gedanken - dem Gefühl der absoluten Hilflosigkeit. Louise weinte sich im Stillen die Augen aus dem Kopf, während sie zusammengerollt in ihrem Schlafzimmer lag. In dem Bett, in dem sie und Tom sich so nah waren. Auch ohne Adrafinil schlief sie nicht. Die Momente, die in denen die absolute Erschöpfung sie dazu zwang ihre Augen zu schließen und abzudriften, waren geplagt von Albträumen, von Bildern ihres Vaters, von Tom und Kellerman, von Pierce.

Louise hatte Beth die Tage freigegeben. Ihre gute Seele sollte sie in diesem Zustand nicht sehen. Joy hatte mehrfach nach ihr gesehen, sie nach Louises mehrmaligem Nachfragen mit dem Nötigsten aus dem Büro versorgt. Ganz konnte sie ihre Verantwortung trotz des tobenden Chaos in ihrem Kopf nicht loslassen. Auch Richard hatte mehrfach versucht, seine Nichte zu erreichen. Es war untypisch für Louise so plötzlich abzutauchen. Die Ausrede jedoch, sie hatte sich bei einer Angestellten in London mit einer schweren Erkältung angesteckt, die sie niedergestreckt hatte stillte auch die Sorge ihres Onkels.

Die Dämmerung brach gerade über die Stadt hinein, als Louise an dem eisig kalten Montagmorgen durch das gotische Portal in Green-Wood hindurch schritt. Schützend vor dem beißenden Wind vergrub sie ihre Nase in ihren Wollschal, während sie zielstrebig entlang der schlängelnden Pfade lief. Der Weg hinüber nach Brooklyn an diesem Morgen war nicht geplant. Die Nacht über hatte Louise einige Stunden schlafen können. Mit einer gehörigen Portion an Selbstdisziplin, dem glücklichen Umstand, dass sie in den vergangenen Tagen keine Hiobsbotschaften mehr erhalten hatte, hatte sie entschieden, wieder die Hallen von Ward Brothers zu betreten. In den vergangenen Tagen hatte sie jedoch den innigen Drang verspürt, wenigstens mit ihm zu reden. Kurz bei ihm zu sein.

Bestimmt folgte sie dem Weg, an den sie sich noch immer gut erinnerte, auch wenn sie schon sehr lange nicht mehr hier war. Von dem Hauptweg, den sie bereits einige Minuten gefolgt war, bog sie auf den ausgewiesenen Trampelpfad. Der Raureif hatte die niedergemähte Wiese in ein schneeweiß getaucht. Leise knirschte es unter ihren Stiefeletten, als sie auf den Rasen wechselte, sich ihrem Ziel nähernd. Der schlichte, graue Stein, der im Boden eingelassen war verriet ihr, dass sie angekommen war. Louise hielt kurz den Atem an. Sie spürte, wie sich auf der Oberfläche ihres Schals bereits Kondenswasser gebildet hatte und zog diesen, mit einer schnellen Handbewegung von ihrem Gesicht.

"Hey Dad...", wisperte Louise und ihr Blick streifte den dezenten Schriftzug:

"Robert Cornelius Ward
Beloved Father and Brother
1954 - 2011"

Sie erinnerte sich an den heißen Sommer vor mittlerweile fast acht Jahren, an dem die ganze Wiese übersät war mit Menschen, die der Urnenbeisetzung ihres Vaters beiwohnten. Sie erinnerte sich gut daran, wie sie mit starrer Miene den Worten des Predigers lauschte, der über das Leben und die Wirkung ihres Vaters sprach. Mit keinem Wort erwähnte er die bedingungslose Aufopferung Robert Wards in das Familienunternehmen, das ihn seine Gesundheit und letztendlich sein Leben gekostet hatte. Jeder wusste das, auch Louise, aber keiner redete darüber. Das Business war hart, die Konkurrenz groß und die neuen Medien machten es klassischen Verlagen wie Ward Brothers zunehmends schwer, sich am Markt weiter zu etablieren.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 09, 2021 ⏰

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If we meet again... [Wattys 2018 Longlist]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt