Kapitel 4

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Um ehrlich zu sein, ist es mir  echt unangenehm von Felix untersucht zu werden, weil ich es nicht mag, von meinem Freund während der Untersuchung als Patientin und nicht als Frau die er liebt, betrachtet zu werden. Andererseits behandelt er PatientInnen, die er nicht kennt, doch wieder ganz anders als mich. Wenn PatientInnen tun, was er von ihnen verlangt, ist er total einfühlsam, aber wenn sie sich weigern, kann er schon mal echt streng werden – bis das passiert, dauert es aber meistens relativ lange, da er echt geduldig ist. Bei mir hingegen kommt diese Strenge schneller, als ich schauen kann. Ist ja schön, dass ich ihm etwas bedeute, aber er könnte ja ein bisschen weniger besorgt sein – dann wäre er sicher entspannter und nicht immer so forsch. Ein weiteres Problem ist, dass er weiß, dass ich normalerweise keine Angst vor Untersuchungen habe, sie aber als sehr nervig wahrnehme. Wenn ich Angst hätte, wäre er sicher einfühlsamer. Da wir im gleichen Spital arbeiten, habe ich schon erlebt, dass er sehr gut mit Angstpatientinnen umgehen kann, die zum Beispiel einen Katheter benötigen. Da ich keine solche bin, setzt er seinen Willen immer relativ forsch durch, ohne lange mit mir zu diskutieren. Ich kann mich noch erinnern, als ich mich das erste Mal von ihm untersuchen lassen musste – schon damals habe ich gemerkt, dass er seinen Willen in solchen Belangen durchsetzt, was mich schon damals auf die Palme gebracht hat.

Flashback: 

„Scheiße, nicht schon wieder", sage ich leise zu mir selbst, als ich angestrengt versuche, mich auf der Toilette zu erleichtern. Das Brennen da unten ist mir nur zu gut bekannt – ich habe mir wohl schon wieder eine Blasenentzündung zugezogen. Warum bin ich so anfällig für die? Ich brauche mich nur ein paar Minuten zu lange auf eine kalte Fläche setzen und habe schon eine. Nach 15 Minuten gebe ich es auf und verlasse die Toiletten wieder. Ich spüre zwar schon einen echt unangenehmen Druck auf der Blase, aber was soll ich denn machen? Da die Toiletten fürs Personal heute auf meiner Station saniert werden, bin ich schnell zur naheliegenden Urologiestation gelaufen, was sich als eine sehr blöde Idee herausstellt, da Felix mir mit einem fragenden Blick entgegenkommt. Scheiße, Urologen „riechen" eine Blasentzündung ja schon aus einer Entfernung von mehreren Metern. Wie soll ich ihm das langfristig verheimlichen? Es kommt ja auch noch dazu, dass wir uns heute für nach der Schicht verabredet haben. „Hey Ellie, was machst du denn hier?" „Die Toiletten auf unserer Station werden saniert, also musste ich auf eure gehen. Bei dir alles ok?", versuche ich die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. „Ja, alles perfekt. Das Date steht noch, oder?" „Ja klar, ich muss dann auch wieder.", sage ich leicht hektisch und umarme ihn schnell, da er seine Arme für mich aufhält. Als sein Körper jedoch meine Blase berührt, spüre ich einen heftigen Druck und kann nicht anders, als mein Gesicht zu verziehen. „Whoa, alles ok?", fragt er besorgt. „Ja, alles klar. Ich bin dann mal weg.", schneller als er schauen kann, bin ich schon wieder auf dem Weg zum Kreißsaal. Ich hoffe, dass ich meine Problematik so lange verheimlichen kann wie nur möglich.

Nach Dienstschluss ziehe ich mich schnell um und gehe danach zum vereinbarten Treffpunkt. Ich hoffe wirklich, dass er weder merkt, dass etwas mit mir nach wie vor nicht in Ordnung ist, noch unsere Begegnung heute Vormittag anspricht. Da wir uns noch nicht sooo lange kennen, fände ich es echt unangenehm, mit ihm über solche Probleme sprechen zu müssen. Pünktlich um 6 sehe ich, dass auch er aus der Klinik raus- und auf mich zukommt. Da mein Tag, vor allem mit den Schmerzen, nicht der angenehmste war, freue ich mich jetzt auf einen entspannten Abend mit meinem Freund – auch wenn ich ein bisschen Angst davor habe, dass er merkt, was mit mir los ist. Als er bei mir ankommt, geben wir uns einen schnellen Kuss, da wir es beide nicht mögen, vor unseren Kollegen rumzuschmusen und machen uns auf den Weg zu seinem Auto. „Wie war deine Schicht?" „Echt anstrengend, aber ich hab' mir bei den zwei wunderschönen Geburten definitiv trotzdem meine Dosis Serotonin geholt. Und deine?" „Das klingt schön. Bei mir hingegen war es heute echt nicht sonderlich angenehm. Wie legt man einer ängstlichen Teenagerin einen Katheter?" „Oh ja, das klingt nicht so nett." „Nein, war es auch nicht. Vor allem, weil sie mir beim Einführen auch noch fast eine gescheuert hat, obwohl ich echt vorsichtig war." „Naja, an das muss man sich wohl gewöhnen, wenn man mit Geschlechtsteilen der Frau arbeitet – wir sind da nun mal sehr empfindlich. Ich hab' auch schon mal fast eine Ohrfeige bekommen, als ich versucht habe, einer Schwangeren einen Katheter zu legen. Ich war damals total perplex und habe abgebrochen, aber du hast es zumindest durchgezogen." „Naja, was sein muss, muss nun mal sein. Du weißt, dass ich bei PatientInnen, die Angst haben, immer echt nett bin, aber da musste ich dann streng werden. Wie aus dem nichts hat sie plötzlich kooperiert." „Ja, wenn du deine strenge Stimme verwendest, dann geht wohl jede Patientin in die Knie." „So schlimm ist es nun auch wieder nicht." „Äh, hast du dich schon mal selber gehört?" „Wirklich so schlimm?" „Also wenn man dich nicht kennt, ziemlich sicher ja." „Tja, schadet aber manchmal auch nicht. Ab und zu ist es gut, wenn Leute merken, dass etwas sein muss." Ich schweige und hoffe einfach, dass ich nie in diese Lage kommen werde.

Warum ausgerechnet dominant? (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt