Zuerst sehe ich nur ein kleines, mit Tränen überströmtes Mädchen, dass ängstlich im Türrahmen steht, aber mir fällt schnell auf, dass sie eines der Kleider trägt, dass ich als Kind immer anhatte. Ist das Zufall? „Hey, was ist denn los?", frage ich und lege ihr meine Hand auf die Schulter. „Ich bin von unseren Eltern geflohen – bitte hilf mir!" Mein Glas fällt mir aus der Hand und zerspringt in tausend kleine Stücke. Das kann nicht sein. Ich dachte, ich hätte meine Familie für immer hinter mir gelassen. Ich schaffe es nicht, nochmal mit meinen Eltern konfrontiert zu werden – ich kann das nicht. Felix sieht mich geschockt an und will mir seine Hand auf die Schulter legen, was ich jedoch verhindere, indem ich mich leicht ducke und schnell nach oben in unser Schlafzimmer laufe. Obwohl ich gerne anders reagiert hätte, ist mir in diesem Moment nichts anderes eingefallen. Wie soll ich nur damit umgehen? Wie soll ich diesem kleinen Mädchen da draußen sagen, dass ich ihm nicht helfen kann? Eine erneute Konfrontation mit meinen Eltern halte ich nicht aus. Was soll ich tun?Als ich versuche, meinen Atem ein bisschen zu beruhigen, kommt auch schon Felix zur Tür hereingestürmt. „Hey, was ist denn los?", fragt er und kniet sich schnell neben mich. Obwohl ich es gerne tun würde, kann ich ihm nicht antworten. Ich fühle mich leer, hilflos und meine Atmung beschleunigt sich wieder. „Hey, hey, ganz ruhig atmen. Tieeeef einatmen und tief wieder ausatmen.", leitet er mich an. Gleichzeitig legt er meine Hand auf seine Brust, um mir auch so den Atemrhythmus vorzugeben. „Ganz ruhig atmen. Ich bin hier bei dir. Wenn ich da bin, kann dir nichts passieren. Tief ein- und ausatmen – genau, super machst du das." Nach ein paar Minuten hat er es tatsächlich geschafft, mich zumindest soweit zu beruhigen, dass ich nicht mehr nahe an einer Panikattacke bin. „Ok, ganz ruhig. Was ist denn gerade los gewesen, hm?" „Ich... ich...sie." „Hey... nochmal tief durchatmen und dann reden. Genau und jetzt erzählst du mir, was passiert ist." „Sie... sie hat ein Kleid getragen, dass ich früher als Kind immer anhatte. Ich bin mit 17 vor meinen Eltern geflüchtet, weil sie mich geschlagen haben. Einmal hat mich mein Vater sogar so schlimm verprügelt, dass ich eine Zeit lang bewusstlos war. Ich bin hierher nach Wien gezogen und habe mir ein neues Leben aufgebaut." Felix hört mir genau zu und sieht mich mit einem ruhigen Gesichtsausdruck an, auch wenn ich merke, dass er innerlich vor Wut brodelt.
„Hast du sie angezeigt?" „Nein, ich wollte diesen Teil meines Lebens einfach vergessen. Alle dachten immer, wir wären die Vorzeigefamilie schlechthin. Wir hatten ein großes Haus, viel Geld und einen guten Ruf. Sie haben mich auch grundsätzlich gut behandelt, mir alles ermöglicht und gut für mich gesorgt, aber wenn ich mal schlechte Noten von der Schule nach Hause gebracht habe, konnte ich die nächsten paar Tage nicht mehr sitzen. Sie waren selten zuhause, also hatte ich immer einen Nanny, die auf mich aufgepasst hat, aber wenn sie zuhause waren, habe ich meistens nur Schläge von ihnen bekommen." „Das tut mir unendlich leid, mein Schatz.", sagt er und nimmt mich fest in den Arm. „Deshalb wolltest du nie über deine Eltern sprechen." „Ja, ich wollte diesen Abschnitt meines Lebens einfach vergessen und nie wieder darüber reden, aber wenn jetzt dieses Mädchen vor unserem Haus steht und meine Hilfe braucht... Was soll ich da bitte tun? Wir können sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie ist doch auch noch viel jünger als ich damals." „Schatz, ich weiß, du möchtest nicht mit deinen Eltern konfrontiert werden, aber diese Leute müssen dafür bestraft werden, was sie dir und der Kleinen angetan haben." „Woher weiß sie denn überhaupt von mir? Ich habe dieses Kind noch nie in meinem Leben gesehen." „Vermutlich hat sie Bilder von dir gesehen und dich dann im Internet über Fachzeitschriften oder sowas ausfindig gemacht." „Ich kann das nicht Felix..." „Doch, du kannst das und ich werde dich dabei unterstützen. Wir kriegen das gemeinsam hin!" „Aber was sollen wir denn mit dem Mädchen machen?" „Jetzt gehen wir erst mal hinunter und reden mit ihr. Vielleicht stellt sich heraus, dass du gar nicht die bist, für die sie dich hält." „Aber sie hat doch meine Kleidung an!" „Ja, da hast du recht. Wir werden schon eine Lösung finden. Ich helfe dir bei jedem Schritt – wir schaffen das gemeinsam!"
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Warum ausgerechnet dominant? (Teil 2)
RomanceIn der Fortsetzung von "Warum ausgerechnet Arzt?" geht es um die charakterstarke Hebamme Ellie und um ihren Freund den Urologen Felix. Wie werden sie damit umgehen, dass Felix immer seinen Willen durchsetzen will und was passiert, wenn die beiden au...