Kapitel 12

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Tief atmete Fiona die kalte Nachtluft ein. Sie stand am Fenster, den Blick zu den Sternen und zum Mond gerichtet, der von Minute zu Minute heller zu leuchten schien. Für einen Moment kam es ihr so vor als stünde sie nicht im Schloss des Königs von Vasilias, als wäre sie nicht von pochenden Wunden übersäht, die ihr das Stehen zur Qual machten, als wäre unter ihr nicht eine Stadt, die nur so von Menschen wimmelte, die ihresgleichen verabscheuten. Für einen Moment flog sie den Sternen entgegen und der Stimme in ihrem Kopf, der sie sich unter dem Nachthimmel immer am nächsten fühlte.
Crow war nicht wieder gekommen, sondern hatte stattdessen eine andere Dienerin geschickt, die Fiona Essen gebracht hatte und auch später dem Heiler zur Hilfe gekommen war, der ihre Verbände gewechselt und ihre Wunden neu versorgt hatte. Fiona hatte die Abscheu in seinen Augen beim Anblick ihres silbernen Blutes gesehen und doch hatte sie ihn wortlos, wenn auch wiederwillig, an sich heran gelassen.
Den restlichen Tag hatte sie damit verbracht die Decke über dem Himmelbett anzustarren und sich zu überlegen, was sie tun würde, wenn sie dem König wieder gegenüber treten musste. Denn ihm wortlos Folge zu leisten, würde das Letzte sein, was sie tun würde, auch wenn sie so ihr neu gewonnenes Leben riskant aufs Spiel setzte.
Nachdenklich betrachtete Fiona ihre verbundenen und vernarbten Hände. Ihre Finger zitterten, als sie vorsichtig versuchte sie zu strecken und sie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut aufzuschreien.
Nur wage erinnerte sie sich daran zurück wie weich ihre Hände einmal gewesen waren, wie zierlich sie ausgesehen hatten in der Hand des Bauern, der sie an dem riesigen Steinaltar ergriffen hatte, als hätte er Angst jemand könnte sie ihm wegnehmen. Sie war sein Besitz gewesen, das Juwel seiner Sammlung und er hatte sie vorgeführt, als wäre sie ein Tier, das ohne ihm zum Tode verurteilt gewesen wäre. Fiona hatte ihn gehasst, so abgrundtief wie man eine Person nur hassen konnte und doch hatte sie den Kopf gesenkt, ihn ihren Körper berühren lassen und sie war nicht vor ihm geflohen, auch wenn sie diese Entscheidung jetzt mehr als bereute.
Ein energisches Klopfen riss sie aus ihren Gedanken und ihr Kopf fuhr ruckartig nach oben, als bereits die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet wurde. Am liebsten wäre sie zurück zu dem riesigen Himmelbett gerannt und hätte so getan als würde sie schlafen, als sie sah wer eintrat und den Wachen den Befehl gab vor der Tür zu warten, bevor er sie hinter sich schloss. Doch Fiona konnte sich nicht bewegen. Wie erstarrt stand sie vor dem Bogenfenster in dem kurzen weißen Nachthemd, während der eiskalte Wind ihr ihre blonden lockigen Haare ins Gesicht wehte und beobachtete wie der König von Vasilias auf sie zutrat und sich wortlos neben sie stellte.
Er trug das gleiche silberne Gewand, wie in der Nacht zuvor und die Krone auf seinen kaum noch vorhandenen Haaren leuchtete blass im Licht des Mondes. Ein Lächeln, das Fiona nicht ganz deuten konnte und das irgendwie nicht zu ihm zupassen schien, lag auf seinem Gesicht, als er sie von der Seite betrachtete.
„Wie ich sehe geht es dir schon etwas besser" ,stellte er fest, während sein Blick abschätzend über ihre verbundenen Wunden wanderte.
Fiona schauderte unter seinem Blick, doch sie zwang sich weiter ihre Füße anzustarren, als sie leise, aber mit fester Stimme sagte: „Ich danke euch für eure Hilfe, mein König, auch wenn sie mir ein Rätsel ist."
Sie hatte die Worte mit Bedacht gewählt. Eine indirekte Frage, die der König zu ihrer Enttäuschung jedoch nicht beantwortete.
Stattdessen fuhr er nach einiger Zeit des Schweigens ausdruckslos fort: „Du fragst dich bestimmt, ob Liv fliehen konnte. Nachdem sie dir ihren Umhang schenkte, verriet sie dir sicherlich, was sie vor hatte. So war es doch?"
Fiona schluckte leicht. Wie der König Livs Namen ausgesprochen hatte und wie er mit ihr sprach, als wäre sie ein kleines Kind, das keine Ahnung hatte, wie grausam die Welt war. Schnell schob sie die beiden Gedanken beiseite. Sie würde später überlegen, wie sie ihr nützen könnten.
„Die Erinnerungen an die Zeit in euren Kerkern liegt hinter einem Nebel verborgen" ,wich sie der Frage des Königs aus.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie bei ihren Worten ein leichtes Schmunzeln über das Gesicht des Königs huschte, bevor er ausdruckslos erklärte: „Sie konnte mit dem Verräter von Captain fliehen. Ich habe den Lord von Amyr auf die beiden angesetzt. Es wird also nicht lange dauern bis wir sie gefasst haben und zurück hier ins Schloss bringen können. Ach und bevor ich es vergesse, Liv ist ebenfalls eine Gestaltwandlerin, doch ich vermute mal das wusstest du bereits."
Jedes Wort war ein Stich, ein Stich um sie dazu zubringen zu verraten, was sie wusste und doch klang die Stimme des Königs, als würde er über das Wetter sprechen.
Möglichst überrascht schaute Fiona zum König auf. Dieses Spiel konnte sie auch spielen. „Verzeiht mir, mein König. Ich hatte keine Ahnung" ,sagte sie leise, bevor sie ihren Blick wieder auf ihre nackten Füße richtete.
Aus dem Augenwinkel sah sie wie der König erneut leicht schmunzelte, doch in seinen Augen konnte Fiona einen Funken der Wut erkennen, die bei ihren Worten durch ihn hindurch fuhr. Sie hatte es zu weit getrieben! Doch schon im nächsten Moment wendete der König sich abrupt zur Tür und durchquerte mit schnellen Schritten das Zimmer.
Über die Schulter hinweg hörte sie ihn noch sagen: „Schlaf ein wenig, Fiona."
Beim Klang ihres Namens schoss ihr Kopf in die Höhe. Bei den Göttern woher...? Doch der König hatte bereits die Tür geöffnet.
„Ich erwarte dich in zwei Tagen bei Sonnenuntergang im Thronsaal. Meine Dienerinnen werden dir Kleidung bringen" ,rief er, ohne noch einmal zu ihr zurück zu blicken. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Immer noch nicht fähig sich zu bewegen stand Fiona vor dem Fenster und starrte die geschlossene Tür an. Die Stimme in ihrem Kopf war so stumm, als würde sie nicht existieren. Ihren Namen... der König kannte ihren Namen und Fiona wollte gar nicht wissen, ob er ihn von Crow oder aus irgendeiner anderen Quelle erfahren hatte.
Langsam hinkte Fiona zurück zu dem großen Himmelbett, während sie das Gespräch mit dem König in ihrem Kopf erneut durch ging. Liv und der Captain hatten es geschafft zu fliehen. Doch wenn Zayn hinter ihnen her war, dann würde es wohl nicht sehr lange dauern, bis sie gefasst wurden und dann war da auch noch die Jagd.
Der Lord von Amyr hatte an dem Tag, an dem er sie das letzte mal folterte, von nichts anderem gesprochen. Das hieß, dass bald nicht nur er und seine Soldaten hinter Liv her sein würden, sondern auch ein riesiges Pack an Menschen, denen es nach silbernem Blut dürstete.
Ein weiterer Gedanke schoss durch Fionas Kopf. Der König hatte gesagt er wollte sie ins Schloss zurück bringen, also sollten die beiden, aus welchem Grund auch immer leben?! Es machte keinen Sinn. Der König machte keinen Sinn.
Stöhnend ließ Fiona sich auf die weiche Matratze fallen. Vor ihren Augen drehte sich alles und ihre Glieder schmerzten wieder schlimmer. Sie hätte nicht aufstehen sollen. Vorsichtig rutschte sie unter die warme Decke und starrte solange auf ihre zitternden Hände bis sich ihr Kreislauf wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sie spürte wie ihre Augenlieder dabei waren zuzufallen, doch sie zwang ihren Körper sich noch ein letztes Mal zu konzentrieren.
Ein Treffen in zwei Tagen im Thronsaal des Königs. Hoffentlich würde sie dort endlich ein paar Antworten bekommen, welche Rolle sie in diesem verwirrenden Spiel spielte.
Du bist wichtiger als du glaubst, Fiona! ,flüsterte plötzlich die Stimme in ihrem Kopf, doch vielleicht hatte Fiona sich auch nur geirrt, denn im nächsten Moment übermannte sie die beißende Erschöpfung und sie schlief ein.

Der fliehende FalkeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt