Kapitel 30

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Ein Feuer knisterte im Kamin und warf warme Schatten an die dunklen Wände. Kilian saß auf der Eckbank und starrte das Weinglas in seiner Hand an. Rotwein! Eine wahre Antiquität, seit dem Krieg und nachdem der Handel in den Weinbergen von Eletheria eingestellt worden war. Kilian fragte sich immer noch woher seine Mutter diese Flasche hatte. So verstaubt, wie sie gewesen war, als sie sie aus dem Schuppen geholt hatte, könnte sie auch gut noch aus der Zeit vor dem Fall von Eletheria stammen.
Er trank einen Schluck, während er seinen Blick zu Liv wandern ließ. Sie saß neben ihm und war gerade dabei ihr drittes Glas zu leeren. Ihre sturmgrauen Augen schimmerten im Licht des Kamins und sie starrte ausdruckslos ins Feuer.
Sie war wieder auf Abstand gegangen, hatte eine weitere Mauer um sich errichtet. Kilian wusste nicht, was geschehen war und über die letzten Tage hatte er gelernt, dass er auch nicht fragen sollte. Er hätte es trotzdem fast getan, als er gesehen hatte wie sie eine Karre Pferdemist über den Hof geschoben hatte.
Die Stimme seiner Mutter riss Kilian aus seinen Gedanken. „Bei den Göttern verdammt nochmal!" ,fluchte sie leise.
Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, während er sie dabei beobachtete, wie sie versuchte ihre alte Geige zu reparieren. Eine Hand versuchte die Saite unterhalb zu befestigen, während die andere eine weitere Saite vom Boden angelte.
Die Geige war das Einzige gewesen, was sie bei ihrer Flucht aus dem Palast von Eletheria mitgenommen hatte. Es war ein Geschenk von Kilians Vater gewesen, kurz nachdem er sie kennengelernt hatte und seine Mutter hatte, als er noch klein gewesen war, jeden Tag darauf gespielt. Bei dem Gedanken musste Kilian noch breiter lächeln.
Livs Stimme ließ ihn aufschauen. „Du wirkst so als hättest du gewusst, dass der König ein Gestaltwandler ist" ,sagte sie an seine Mutter gewandt.
Diese hielt in ihrer Arbeit inne und schaute überrascht auf, bevor sie sagte: „Ich habe es vielleicht geahnt, nach allem was passiert ist, doch ich wollte ehrlich gesagt nicht daran glauben."
Liv nickte langsam. Dann schaute sie wieder ins Feuer.
Kilian musterte seine Mutter nachdenklich von der Seite, bevor er fragte: „Weißt du wer es sein könnte?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Ein dahergelaufener Krieger wird es denke ich mal nicht sein, wenn er sich im Norden verwandeln kann" ,murmelte sie nachdenklich.
Kilian runzelte die Stirn. „Ich dachte immer nur der Erbe der Königsfamilie und sein Partner können sich bei Kälte verwandeln" ,sagte er, während er sein Weinglas auf dem Tisch abstellte.
Der Blick seiner Mutter huschte kurz zu Liv, bevor sie an ihn gewandt sagte: „Es kommt drauf an. Manche Gestaltwandler, deren Fähigkeiten sehr stark ausgeprägt sind, können es ebenfalls. Du hast es doch auch schon mehrere Male getan" Kilian lachte auf.
„Aber danach bin ich unter Schmerzen vom Himmel gestürzt und habe mir eine Rippe gebrochen" ,stellte er fest. Seine Mutter schaute ihn verurteilend an. Es war ein Fehler gewesen sich zu verwandeln, doch einen anderen Ausweg hatte es nicht gegeben.
Nachdenklich fuhr seine Mutter fort: „Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Ich habe Liam von Eletheria vor langer Zeit einmal darüber reden hören. Ab und zu kommt es nämlich vor, dass der Kodex gebrochen wird und ein Gestaltwandler auf die Welt kommt, der die gleichen Fähigkeiten besitzt, wie die Königsfamilie. Damals wurden diese Kinder getötet, wenn man es heraus fand. Nicht selten taten es die Eltern selbst." Kilian schaute überrascht und gleichzeitig verstört seine Mutter an.
„Sie haben was getan!?" ,fragte er ungläubig.
Liv lachte neben ihm auf. „Dachtest du ernsthaft das Volk der Gestaltwandler war so unterschiedlich zu dem der Menschen? Wir sind alle irgendwo grausam, manche von uns mehr manche weniger, egal ob Tier, Mensch oder Gestaltwandler. Schlussendlich sind wir doch alle gleich" ,murmelte sie beinah belustigt. Es klang schrecklich, doch vermutlich war es die Wahrheit. Der Blick seiner Mutter bestätigte diese Vermutung.
Während sie fortfuhr ihre Geige zu flicken, erzählte sie weiter: „Liam hat im Krieg viele Entscheidungen getroffen. Die meisten davon waren falsch und schrecklich. Es wundert mich nicht, dass ihn auch jemand aus unseren Reihen gehasst hat. Aber, dass es jemanden gibt, der ihn so sehr verabscheute, um sich als der Feind auszugeben und sein eigenes Volk systematisch abzuschlachten... Wer auch immer es ist, er muss wahnsinnig sein."
Kilian beobachtete schweigend, wie Liv ihr Glas erneut füllte, bevor sie an seine Mutter gewandt fragte: „Was ist mit dem Bruder des Königs? Er taucht in einem der Bücher von Lucien auf. Niemand scheint so genau zu wissen, ob er noch lebt."
Kilian musterte Liv nachdenklich. „Meinte Lucien nicht, er wäre vom damaligen König gefangen genommen und getötet worden?" ,erinnerte er sich.
Seine Mutter schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte erneut in ihrer Arbeit inne gehalten und auf ihrer Stirn hatten sich einige Falten gebildet.
„Das ist so nicht ganz richtig" ,sagte sie langsam, „Kieron wurde nicht gefangen genommen. Er hat sich dem König ausgeliefert."
Liv lachte erneut auf. „Das wird ja immer interessanter!" ,stellte sie laut fest. Am liebsten hätte Kilian ihr Glas und den Wein vom Tisch gefegt, doch das wollte er seiner Mutter nicht antun.
Diese warf Liv nur einen kurzen Seitenblick zu, bevor sie leise fortfuhr: „Kurz bevor Kieron sich ausgeliefert hat, ist er in einer Nacht zum Palast zurück gekommen. Er wollte mit Lyana allein sprechen und weil sie zustimmte, hat Liam es erlaubt. Ich weiß nicht was er ihr erzählt hat, doch danach war sie anders, irgendwie distanzierter. Als ich sie fragte, sagte sie es wäre nichts." Diesmal blieb Liv stumm und Kilian ergriff das Wort: „Als Eletheria fiel, als du mit mir geflohen bist, als Vater... Lyana war diejenige, die dich warnte, oder?"
Seine Mutter schaute ihn traurig an, während sie zustimmend nickte. „Ich wollte, dass sie mit mir kommt, doch sie meinte, sie müsse erst noch etwas in Sicherheit bringen" ,sagte seine Mutter langsam. Mit vernebeltem Blick starrte sie ins Feuer. Sie schien nicht mehr in der Hütte zu sein. Kilian riss sie aus ihren Gedanken.
„Was war es, was sie in Sicherheit bringen musste?" ,fragte er ernst.
Überrascht sah seine Mutter ihn an und ihr Blick huschte erneut für einen kurzen Moment zu Liv, bevor sie sagte: „Ich weiß nicht, was es war. Bis vor kurzem dachte ich noch, Lyana hätte es noch nicht einmal geschafft es zu retten." Zum Ende wurde ihre Stimme immer leiser.
Kilian wusste, dass sie log. Er wusste es und es machte ihn wütend. Er schaute zu Liv, doch sie starrte wieder ausdruckslos ins Feuer, ein Schimmern in den Augen, dass Tränen hätten sein können.

Der fliehende FalkeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt