Kapitel 25

594 51 0
                                    

Fiona musterte neugierig ihre Umgebung, während sie an Crows Seite durch den Palast von Vasilias ging. Ihre Wunden waren in den letzten zwei Tagen Bettruhe nach ihrem Besuch beim König weiter geheilt und schmerzten nur noch leicht, auch wenn der Heiler, der sie behandelte, gesagt hatte, dass sie den Schmerz wohl nie mehr vollständig los werden würde.
Zu Fionas eigener Überraschung machte es ihr jedoch nichts aus. Es war eine stetige Erinnerung daran, was Zayn ihr angetan hatte und welches Monster sie als seine Verbündete bezeichnete, obwohl Fiona nicht glaubte, dass sie die Worte des Königs je wieder vergessen würde.
Die letzten zwei Tage hatte sie unter anderem damit verbracht das Gespräch mit dem König immer wieder in ihrem Kopf durchzuspielen und auf Lücken in seinen Erzählungen zu durchsuchen. Er hielt sich selbst für einen Propheten, einen Retter, doch was würde das Volk sagen, wenn sie herausfanden, wer ihr König in Wirklichkeit war? Würden sie ihm weiterhin folgen? Und wenn, dann aus Angst oder Überzeugung?
Eine andere Frage, die sich Fiona immer wieder stellte: Was hatten Liv und der Captain mit all dem zu tun? Wieso war der König so erpicht darauf sie zu fangen und wieso verwendete er dafür Zayn und damit seinen besten Soldaten? Irgendeine Bedrohung mussten die Beiden für ihn darstellen und damit meinte sie nicht, dass Liv eine Gestaltwandlerin war und der Captain ein Verräter. Sie mussten etwas wissen oder die Beiden waren mehr als nur ein Soldat und eine Diebin.
Doch die größte Frage, die ihr immer wieder im Kopf herum geisterte, war, was sie für eine Rolle in dieser ganzen Sache spielte. Sie, Fiona, eine ehemalige Magd, eine vergewaltigte Ehefrau, eine wehrlose Gefangene. Sie war nicht wie Liv, die so überzeugt von sich selbst war, dass sie behauptet hatte eigenständig aus den dunkelsten und am besten gesichertsten Kerkern des Königs fliehen zu können. Fiona hatte bloß ihr Wissen, dass ihr so oder so niemand glauben würde, abgesehen vielleicht von der schwarzhaarigen Dienerin in ihrem einfachen weißen Kleid, die mit hoch erhobenem Kopf neben ihr her ging.
Unauffällig beobachtete Fiona Crow von der Seite. Sie war am Morgen zu ihr gekommen, hatte ihr in ein mintgrünes Kleid geholfen, indem Fiona aussah wie eine Adlige und verkündet, dass der König erlaubt habe, dass sie sich den Palast anschauen dürfte. Seit dem hatte Crow ihr mehrere Salons mit hohen Decken und wunderschönen Sofas gezeigt, einen der großen Balkone, von denen man über die frisch mit Schnee bedeckte Landschaft blicken konnte und nun waren sie auf dem Weg in die große Bibliothek des Königs, die nur ein paar Türen von Fionas eigenem Zimmer entfernt lag.
Immer wieder begegneten ihnen Wachen, Diener und Adlige, die bei ihrem Anblick jedes Mal anfingen hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln oder wenn sie alleine unterwegs waren, nur verstohlen in ihre Richtung zu sehen. Fiona wusste nicht, ob es an ihr lag. Ihre Narben waren vom Stoff des Kleides wieder komplett bedeckt und ehrlich gesagt glaubte sie nicht, dass der König im ganzen Palast verkündet hatte, dass sie eine Gestaltwandlerin und somit der Feind war.
Als sie an zwei Frauen in prunkvollen Gewändern vorbei gingen, die sogar mit dem Finger auf sie zeigten, konnte Fiona sich nicht mehr zurückhalten und fragte an Crow gewandt, die sich bei den Worten der Frauen sichtlich angespannt hatte: „Worüber reden sie alle? Wissen sie was... was ich bin?"
Crow schaute sie überrascht an. „Nein! Sie reden nicht über dich" ,sagte sie leise, aber bestimmt. Eine Falte bildete sich auf Fionas Stirn, bevor sie fragte: „Weshalb reden die Soldaten und Adligen über eine einfache Dienerin?"
Crows Körper verspannte sich erneut und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie schien nur gerade so nicht die Fassung zu verlieren. Was war mit ihr los?
„Habe ich etwas Falsches gesagt?" ,fragte Fiona schnell.
Die schwarzhaarige Dienerin entspannte sich augenblicklich wieder und sagte schnell: „Nein. Es ist nur... Ich rede nicht gerne darüber."
Fiona nickte, während sie ihre dürren Finger verschränkte. „Schon gut, aber wenn du irgendwann mal mit jemandem darüber reden möchtest, bin ich für dich da" ,sagte sie lächelnd. Crow nickte und erwiderte ihr Lächeln.
„Danke" ,murmelte sie leise, „Du bist wirklich ein toller Mensch, weißt du das?"
Schnell schaute Fiona zu Boden, als sie bemerkte, wie ihre Wangen sich bei Crows Worten leicht röteten. Crow hatte Mensch gesagt, nicht Gestaltwandlerin, nicht Feindin, nicht Gefangene, nicht irgendetwas anderes. Ein Mensch, wie jeder andere!
Fiona wollte schon etwas erwidern, als sie in den Gang zur Bibliothek einbogen und den König entdeckten, der vor den Türen zu seinem Turm stand und mit einem Mann in einem ziemlich hässlichen Gewand redete. Vermutlich war er ein Minister oder Berater, wenn der König überhaupt so jemanden hatte. Er schien nicht der Typ für eine derartige Anstellung zu sein und wenn, war es wahrscheinlich nur Fassade. Zwei Wachen standen mit ausdruckslosen Gesichtern vor den Türen und versuchten nicht zu offensichtlich das Gespräch zu verfolgen.
In diesem Moment wurde die Stimme des Königs lauter und Fiona konnte hören, wie er mit gezügelter Wut sagte: „Sie sind Zayn schon wieder entwischt?! Und wie zum Teufel konnten sie unbemerkt an den Stadtwachen von Amyr vorbeikommen?! Das kann nicht ihr Ernst sein! Ich frage mich, warum der Lord sie nicht schon längst rausgeschmissen hat, wenn sie die Stadt noch nicht einmal vor einem Mann schützen können, dessen Gesicht an jeder Straßenecke hängt!" Fiona wusste, wen der König meinte. Liv und der Captain hatten es wohl bis nach Amyr geschafft. Vielleicht waren sie mittlerweile sogar schon bis zum Fluss gekommen.
Eine Welle des Glücks durchströmte sie, während sie mit einer gewissen Genugtuung beobachtete, wie der Mann aus Amyr zusammenzuckte und immer kleiner zu werden schien. „Ich... ich bitte um Verzeihung, mein König. Es wird nicht wieder vorkommen" ,stammelte er, während er sich mehrere Male verbeugte und dabei rückwärts die Flucht ergriff.
„Ich glaube kaum, dass es ein nächstes Mal geben wird" ,sagte der König mehr zu sich selbst, während der Mann sich bei seinen Worten endgültig umdrehte und fast rennend um die Ecke in den nächsten Gang verschwand.
Fiona hätte wohl gegrinst, wenn sie die Angst des Mannes vor dem König nicht so gut verstanden hätte. Als dieser sich plötzlich umdrehte und Fiona ein wissendes Grinsen zuwarf, verkrampften sich ihre Hände noch mehr und sie versteckte sie schnell in den Falten ihres Kleides. Ihr Puls beschleunigte sich und sie wusste nicht ganz, ob vor Wut oder Angst. Sie musste ihre Beine dazu zwingen an Crows Seite dem König entgegenzugehen, während sie versuchte ihre Gefühle so gut es ging zu verbergen.
Crow knickste vor dem König, doch ihr Kopf blieb hoch erhoben. Sogar ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als der König sie etwas zu genau musterte. Doch bevor Fiona sich fragen konnte, was sich hier gerade genau abspielte, wandte sich der König ihr zu.
„Kein Knicks von meiner Verbündeten?" ,fragte er mit hochgezogenen Brauen.
Alles in Fiona sträubte sich, als sie schnell einen kleinen Knicks vollzog und dabei wütend auf die Stiefel des Königs starrte. Als sie wieder aufblickte, war ihr Gesicht wieder eine Maske aus Ehrfurcht und Unschuld. Genau das Bild, was der König von ihr sehen wollte.
„Ich muss schon sagen, das Kleid steht dir außerordentlich gut, Fiona. Du solltest öfter in Erwägung ziehen diese Farbe zu tragen" ,sagte er, während sein Blick an ihr hinauf wanderte.
„Vielen Dank, dass ihr es mir zur Verfügung gestellt habt" ,antwortete Fiona, auch wenn sie sich gleichzeitig wünschte wieder in Livs dunklem Umhang zu stecken, den Dolch an ihren Bauch gedrückt, der zu ihrem Bedauern wieder in dem Blumentopf in dem großen Bad verborgen lag.
Crow, die immer noch neben ihr stand, wechselte abrupt das Thema: „Ich wollte Fiona gerade eure beeindruckende Bibliothek zeigen, mein König."
Der König nickte gelassen. „Wahrlich ein besonderer Ort. So viel Wissen, das nur darauf wartet entdeckt zu werden. Wenn du willst Fiona, kannst du dir gerne eines der Bücher ausleihen, um dir die Zeit zu vertreiben. Ich bin sicher du wirst einige interessante Geschichten finden" ,sagte er und Fiona war sich ziemlich sicher, dass er wusste oder zumindest ahnte, dass sie kaum lesen konnte.
Ihre Mutter hatte, bevor sie krank wurde, angefangen ihr das Lesen und Schreiben beizubringen, doch danach hatte es niemand mehr für nötig gehalten. Für Kochen, Putzen und Schönheit brauchte man nicht lesen und schreiben zu können und eine Gestaltwandlerin brauchte diese zivilisierte Fähigkeit erst recht nicht zu beherrschen.
Fiona war Crow unendlich dankbar, als diese schnell sagte: „Fiona wird sicherlich auf das Angebot zurück kommen." Der König nickte wissend, während er Fiona mit seinem Blick durchbohrte.
„Wenn ihr uns dann entschuldigt, mein König" ,beeilte sich Crow zu sagen, während sie erneut knickste und Fiona bedeutete ihr zu folgen.
Als sie schon fast die Tür zur Bibliothek erreicht hatten, rief der König ihnen noch einmal hinterher: „Ach! Crow! Ich erwarte sie heute Abend in meinen Gemächern. Ich würde gerne ein Bad nehmen und bringen sie etwas zum Essen mit."
Diesmal bildete Fiona sich nicht ein, wie sich die Wangen der schwarzhaarigen Dienerin leicht röteten, während sie den Blick senkte und mit fester Stimme sagte: „Wie sie wünschen, mein König."
Am liebsten hätte Fiona Crow gefragt, wieso der König sie mit ihrem Namen ansprach, doch sie hatte das ungute Gefühl, dass es etwas mit dem Getuschel der Wachen, Diener und Adligen zu tun hatte und Fiona wollte Crow nicht dazu drängen ihr etwas zu erklären, was sie selbst womöglich nichts anging.

Der fliehende FalkeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt