Kapitel 42

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Aufgeregtes Gemurmel durchflutete den Saal, während Fiona versuchte die Worte des Königs zu verdauen. Callen? Woher kam dieser Name? Sie konnte sich nicht daran erinnern dem König je diesen Nachnamen genannt zu haben, geschweige denn irgendeinen Namen, der sie mit ihrer längst verstorbenen Mutter verband.
Wieder hob der König die Hand und der stumme Saal riss sie aus ihren Gedanken. „Nun trinkt und stoßt auf die glorreiche Zukunft der Menschen an! Möge es nie wieder einen Tag geben, an dem wir weniger Wert sind, als wir es verdient haben!" ,rief der König fast feierlich, bevor er sich unter dem Klirren der Gläser wieder auf seinen Thron niederließ.
Wiederwillig stieß Zayn mit ihr an und Fiona nippte vorsichtig an dem weißen edlen Getränk. Es schmeckte süß und lief kalt ihre Kehle hinunter. Als sie den Alkohol spürte, verzog sie das Gesicht, während sie versuchte Zayns verächtliches Grinsen, das er ihr über sein Glas hinweg zu warf, zu ignorieren.
Sie hatte noch nie etwas derart kostbares getrunken und es war ihr egal. All diese wunderschönen Kleider, prunkvollen Räume und anderen Kostbarkeiten, die es nur am Hof des Königs gab, hätte sie ohne einen zweiten Gedanken für ihre und Livs Freiheit eingelöst.
Langsam ließ sie ihren Blick durch den Saal schweifen. Es wurde gelacht und sich unterhalten, doch nur um dem Gegenüber das Gefühl von Belanglosigkeit zu geben. Beinah jeder in diesem Saal verfolgte ein Ziel und wenn es nur war die Ehefrau eines anderen für die Nacht zu verführen. Fiona sah die Blicke, die immer mal wieder in ihre und Zayns Richtung wanderten. Neugierig, fragend, misstrauisch. Diese Menschen kannten sie nicht und bestimmt jeder der Edelmänner hatte sich schon einmal seine Tochter an die Seite des Lords von Amyr erträumt. Einfluss und etwas zum Prahlen reichte ihnen schon aus, um unschuldige Frauen an einen Psychopathen zu binden.
Während Fiona den riesigen Raum nach den blonden Haaren von Robin absuchte, trat ein Mann zu ihnen. Er sah anders als die anderen Adligen aus. Sein dunkles Haar war zu einem Zopf zusammen gebunden, das Gesicht zur Hälfte von einem Bart bedeckt und seine Kleidung wirkte irgendwie unpassend. Am auffälligsten war jedoch eine wulstige Narbe, die sich seinen Hals hinunter zog. Ein Krieger, kein Edelmann.
Er verneigte sich knapp. „Mylord, Mylady. Ich denke meine Glückwünsche wären angebracht" ,sagte er freundlich. Zayn bedankte sich nicht, doch Fiona nickte freundlich, nicht sicher, ob sie es bereuen würde zu sprechen.
„Sie sind der Abgesandte aus den kalten Dörfern, wenn ich richtig informiert bin" ,antwortete Zayn kühl.
Der Mann nickte zustimmend. „Ich bin bereits vor ein paar Tagen eingetroffen und ehrlich gesagt hatte ich eine solche Feier nicht erwartet, nicht dass mich solch glückliche Neuigkeiten stören würden" ,erklärte er mit einem Lächeln auf den Lippen, doch Fiona konnte den Unmut in seiner Stimme deutlich hören, genauso wie Zayn, der provokant eine Braue hob.
Fiona kannte die Regionen des riesigen Reiches nicht. Sie wusste nur, dass die kalten Dörfer irgendwo im Norden zwischen Schnee und Eis lagen und ihre eigenen Gesetze hatten. Um so mehr wunderte es sie, dass dieser Mann hier war.
In diesem Moment sah sie im Augenwinkel blonde zerzauste Haare aufleuchten, die bei einer Gruppe von Edelleuten stehen blieben und sich dann in die Richtung eines Hintereingangs bewegten. Kurz bevor Robin in der Tür verschwand, fing er ihren Blick auf und deutete unauffällig auf die große Flügeltür, die aus dem Saal führte. Fiona wusste, was sie zu tun hatte.
Sie nickte dem Mann und Zayn kurz zu, die sich immer noch misstrauisch anstarrten, und ging zum Podest des Königs. Sie spürte die Blicke der beiden Männer und die der anderen Menschen im Saal, die sich in ihren Rücken brannten, doch sie ignorierte sie und knickste vor dem König, der fragend auf sie hinab blickte.
Darüber bewusst, dass jeder im Saal ihren Worten lauschte, fragte sie: „Dürfte ich mich vielleicht schon entschuldigen? Es war ein langer Tag und der Wein bekommt mir glaube ich nicht sehr gut."
Der König hob beide Brauen. Er wusste, dass sie schauspielerte und ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort. Dann sagte er jedoch: „Natürlich, Fiona! Ich werde dich die Tage nochmal aufsuchen. Wir haben noch einiges zu besprechen." Damit entließ er sie.

Fiona war immer noch überrascht, wie schnell der König nachgegeben hatte und noch überraschter war sie gewesen, als er sie ohne ihre Wachen gehen ließ. Nun lief sie durch die dunklen leeren Gänge des Palastes in die Richtung ihres Zimmers, während sie unbemerkt nach Robin Ausschau hielt.
Seit sie Liv in dem dunklen Kerker alleine zurück gelassen hatte, dachte sie nur noch an die Flucht. Sie wusste nicht, wie lange sich der König Zeit nehmen würde, bis er entschied, dass Liv sterben musste. Einen Monat, eine Woche, einen Tag? Alles wäre möglich und deswegen musste sie so schnell wie nur irgendwie möglich einen unbemerkten Weg aus diesem Palast finden. Je länger sie blieben, desto gefährlicher wurde es.
Während Fiona um eine Ecke bog und drei riesige Bogenfenster passierte, dachte sie über den Captain nach. Was war mit ihm passiert? War er tot? Hatte der König ihn bereits ermordet oder hatte er es geschafft von den Landkarten zu verschwinden? Es waren einfach zu viele Fragen und zu wenige Antworten.
In diesem Moment packte sie jemand am Arm und zog sie ruckartig zur Seite. Hätte Robin ihr nicht die Hand auf den Mund gedrückt, hätte sie wohl laut aufgeschrien. Ihr Puls raste noch immer, als sie sich von ihm los machte und sich umschaute. Sie standen in einem engen Flur. Links von ihr führte eine steile Wendeltreppe in die Dunkelheit und auf der anderen Seite war eine hölzerne Tür in den Stein eingelassen, durch die sie gekommen sein mussten. Fiona hatte sie von Außen gar nicht bemerkt.
„Wie geht es dir?" ,fragte Robin leise, während er sie prüfend von oben bis unten musterte.
Statt ihm zu antworten, schlang sie ihre Arme um ihn. „Danke" ,flüsterte sie in den leicht stinkenden Stoff seines grob gewebten Hemdes.
Er erwiderte ihre Umarmung nur kurz, bevor er sie vorsichtig von sich schob und eingehend sagte: „Wir haben nicht viel Zeit, Fiona." Er deutete auf die Wendeltreppe, bevor er fortfuhr: „Diese Gänge verlaufen durch den ganzen Palast. Wenn wir es schaffen die Wachen vor deiner Tür abzulenken, haben wir eine Chance durch einen der Hinterausgänge zu verschwinden. Das geht jedoch nur bei Sonnenauf- und Untergang. Seit der Flucht des Captain und der Gestaltwandlerin hat der König die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. In der Nacht sind alle Eingänge, bis auf das große Tor verschlossen. Ich schlage vor wir gehen..."
Fiona unterbrach ihn: „Liv muss mitkommen!" Robin sah sie verständnislos an.
„Die Königin von Eletheria. Sie ist in den Kerkern eingesperrt" ,erklärte sie leise.
Robin starrte sie an, als wäre sie verrückt geworden, bevor er sich fluchend die blonden verstrubbelten Haare raufte. „Das geht nicht, Fiona! Das schaffen wir niemals. Die Kerker sind ständig bewacht, es gibt nur einen Weg rein und raus und ich habe ehrlich gesagt keine Lust von dem Lord von Amyr gevierteilt zu werden" ,zählte er ihre Chancen auf.
Fiona wusste das alles. Sie hatte selbst schon darüber nachgedacht, war selbst zu dem Schluss gekommen, dass die Rettung von Liv sie höchstwahrscheinlich auf direktem Weg zu den Göttern bringen würde. Doch Fiona konnte Liv nicht zurücklassen. Nicht nur weil sie ihre Königin war...„Ohne sie hätte ich aufgegeben, Robin, ohne sie wäre ich jetzt nicht mehr am Leben" ,murmelte sie leise, während sie ihn entschlossen ansah.
Robin schüttelte entschieden den Kopf. „Hast du uns mal angeguckt? Eine verzweifelte Prinzessin und ein abgemagerter Straßenjunge wollen sich gegen einen Haufen Soldaten und einen wahnsinnigen Lord behaupten. Das ist doch nicht dein Ernst!" ,stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Ich bin keine Prinzessin" ,flüsterte sie leise.
Robin hob skeptisch beide Brauen. „Das klang gerade im Saal aber noch ganz anders" ,sagte er beinah lachend.
Fiona schluckte. Robin hatte Recht... mit allem und sie hatte nicht die Kraft weiter mit ihm zu diskutieren.
„Ich weiß nicht, wieso der König all das behauptet. Ich weiß nicht, was er von mir will. Ich weiß nur, dass er ein Gestaltwandler ist und beinah sein ganzes Volk abgeschlachtet hat" ,sagte sie leise, doch die Worte schienen laut durch den Gang und die Treppe hinunter zu hallen.
Robin schwieg. Er starrte sie nur mit offenem Mund an, unfähig das eben Gesagte zu verdauen und dann glitzerte auf einmal Wut in seinen grünen Augen. Besorgt beobachtete Fiona, wie sich Robins Hände zu Fäusten ballten. Er glaubte ihr und die Wahrheit machte ihn genauso wütend wie sie.
„Du willst mir also sagen all die Kinder in den Armenvierteln hungern, weil ein Gestaltwandler behauptet, in ihren Adern fließe silbernes Blut? Du willst mir sagen, dass ein Gestaltwandler meine halbe Familie ausgelöscht hat?!" ,fragte er mit zitternder Stimme. Eine wütende Träne lief ihm über die Wange und er wischte sie schnell weg.
„Es tut mir Leid. Ich... ich hätte dir nicht die Wahrheit erzählen sollen. Ich..." ,stotterte Fiona und sie senkte schuldbewusst den Kopf.
Robin lachte ironisch. „Glaub mir, ich bin froh, dass du es mir gesagt hast und die Welt wird es auch gleich erfahren" ,murmelte er und machte einen Schritt in die Richtung der Tür, um sie zu öffnen.
Halt ihn auf oder er wird sterben! ,rief plötzlich die Stimme in Fionas Kopf und sie hielt ihn instinktiv am Arm zurück.
„Was auch immer du vor hast, lass es! Niemand wird dir oder mir glauben. Eine verzweifelte Prinzessin und ein Straßenjunge, mehr sind wir nicht. Wir sind keine Königin, keine Kriegerin. Wir können nichts ausrichten!" ,sagte sie schnell und eingehend.
Robins Augen leuchteten noch immer vor Wut, doch er ließ die Türklinke los und lehnte sich an die kalte Steinwand, während er sich mit den Händen über das Gesicht rieb. „Na gut. Ich suche einen Weg in die Kerker, um die Königin zu befreien, aber ich kann nichts versprechen" ,sagte er ergeben.
Fiona konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl. „Verspreche mir nur, dass du vorsichtig bist" ,antwortete sie.
Er schaute sie an und grinste, bevor er die Tür aufdrückte, diesmal um sie hindurch zu lassen. Vorsichtig trat Fiona in den leeren dunklen Gang hinaus. Die Sterne glitzerten am Himmel hinter den Bogenfenstern und es hatte wieder angefangen zu schneien. Sie drehte sich zu Robin um.
„Danke" ,flüsterte sie erneut.
Er grinste und zwinkerte ihr zu. „Wir sehen uns im Reich der Götter, Prinzessin" ,antwortete er leise, bevor er wieder hinter der Tür verschwand und sie alleine zurück ließ.
Langsam trat Fiona an eines der Fenster und schaute zum dunklen Nachthimmel hinauf. „Helft uns! Bitte!" ,murmelte sie leise vor sich hin, „Wir schaffen es nicht ohne euch."

Der fliehende FalkeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt