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Hey Felix,
du hast wahrscheinlich mit einem anderen Brief oder mit einer anderen Antwort gerechnet, ich weiß. Nichts desto trotz will ich dir erstmals darüber erzählen, auf welche Gedanken ich letzte Nacht gekommen bin. Bevor du gekommen bist, habe ich zwei Abschiedsbriefe geschrieben: Einen für das Heim und einen für dich. Ich wollte ihn dir am nächsten Tag geben, doch dann bist du gekommen und hast mir deine Liebe gestanden, was ziemlich unerwartet für mich gekommen ist. Immerhin bin ich immer davon ausgegangen, dass ich gar nicht dein Typ bin.

Doch tatsächlich hast du dich in mich verliebt, wie auch immer du das geschafft hast. Sage ich erstmal dazu etwas: Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht und ich bin jetzt ehrlich mit dir: Ich liebe dich auch, Lix. ich liebe alles an dir: Deine Augen, deine Haare, deine Sommersprossen, dein Make-Up, deine Ausstrahlung, deine wundervolle Persönlichkeit. Einfach alles. Wenn ich alles aufzählen würde, was ich an dir liebe, dann würde dieser Brief mindestens 200 Seiten haben und so viel Zeit bleibt mir leider nicht übrig, da ich einen Plan habe. Ich habe die ganze Nacht damit verbracht, dir diesen Brief zu schreiben. Für dich würde ich Nächte aufbleiben und weitere Dinge tun, die gegen meinen Willen sind.

Ich liebe dich sehr, dass ich dich nur für mich beanspruchen würde und das ist das Problem. Wenn wir in einer Beziehung wären. Wenn du mich als deinen Freund hättest, dann würde ich alles dafür tun, damit du nur bei mir bist, weil ich sonst niemanden habe. Ich würde extrem eifersüchtig werden, wenn ich dich mit anderen Jungs sehe. Es würde etwas Starkes in mir auslösen, denn mir würde in den Sinn kommen, dass du jemand anderen besseren verdient hättest als mich. Und das ist immer schon gewesen. Es ist wirklich eine ganz wichtige Frage: Was kann ich dir überhaupt bieten? Genau.. nichts. Ich bin für nichts in der Lage und ich weiß, dass unsere Beziehung niemals funktionieren würde.

Würde eine gewöhnliche Freundschaft klappen? Nein... ich kriege das Bild nicht mehr aus dem Kopf, wie es wäre, wenn ich dich mit anderen sehe und dann merke, dass ich niemals dein Herz so erobern würde, wie es andere tuen könnten. Auch wenn du Gefühle für mich hast, bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass sie umso schwächer werden würden, je mehr du mich kennenlernst. Und glaub mir, du willst meine zynischen Seiten nicht kennenlernen und deswegen ist es jetzt meine Aufgabe, dich vor mir zu beschützen. Das ist der Grund, wieso ich mir das Leben nehmen werde.

Jetzt müsste kurz nach drei Uhr oder später bei dir sein, da ich nicht weiß, wann du diesen Brief lesen wirst, geschweige denn ob du diesen überhaupt anrühren wirst. Entweder stehe ich gerade an der Brücke, lehne mich an das Geländer und plane, herunterzuspringen oder ich habe es bereits getan. Ich weiß es nicht. Es kommt darauf an, wann du diesen Brief liest. Vielleicht könntest du mich noch aufhalten, wenn du den sofort gelesen hast, allerdings liegt die Chance bei einen einzigen Prozent, dass du es schaffen könntest, mich aufzuhalten. Vielleicht wirst du genau da aufkreuzen, wenn mein ganzer Körper bereits in die Tiefe fällt, was mich unaufhaltsam macht. Auf jeden fall will ich klarmachen, dass ich einen Grund dafür gehabt habe.

Ich habe es wirklich nicht mehr ausgehalten, Lix. Der tägliche Schmerz, welchen ich mit mir trage. Dieser ständiger Druck im ganzen Körper, weil man sich in der aktuell befindenden Situation extrem unwohl fühlt. Diese ständige Leere, obwohl der Kopf voller Gedanken gefüllt ist. Jedes Ereignis fühlt sich an wie ein Messerstich im Herz, denn ich verbinde nicht viel Gutes mit diesem Leben. Das Atmen fällt mir schwer, obwohl ich genügend Luft bekomme. Ein Atemzug nach dem anderen und es wird nicht besser. Es fühlt sich schon an, als wäre ich halbtot, also wieso kann ich das Leben nicht einfach beenden, um erfüllt zu sein?

So viele Symptome und das nur, weil viel zu viel passiert ist: Der Tod meiner Mutter, die Vergangenheit mit meinem Vater, das schreckliche Heim, Schule selbst und all die Menschen, die mich jahrelang erniedrigt haben, weil ich es verdient habe, nicht wahr? Felix, du weißt selbst, dass Glas sich schwer reparieren lässt. Wenn dir die Vase runterfällt und du versuchst, sie zu reparieren, dann wird sie nicht wieder genauso aussehen wie vor der Katastrophe. Dasselbe ist es mit meinem Herz, welches unzählige Male gebrochen worden ist. So sehr ich dich auch liebe, Lix, aber... nur weil du ein Teil meines Lebens geworden ist, heißt es nicht, dass ich genauso funktionstüchtig wie vor all dem, was mir passiert ist, sein werde.

Die einzige Möglichkeit, die ich noch sehe, ist der Tod, also will ich es damit versuchen. Es gibt kein Zurück mehr, da ich schon lang genug gewartet habe. Ich habe so sehr auf den Tag gewartet, an dem ich all das Leid, welches ich nahezu zwei Jahrzehnte lang mit mir trage, zu beenden. Es tut mir Leid, Felix. Allerdings musst du verstehen, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe und weitere Lösungen habe ich nicht mehr gesehen. Am Anfang, als wir uns kennengelernt haben, habe ich dich als meine letzte Hoffnung gesehen, doch die letzten Tage haben gezeigt, dass nicht einmal der wichtigste Mensch in meinem Leben mich noch retten kann.

Wenn ich bei meiner Mutter bin und sie in meine Arme nehme, weil ich sie viel zu stark vermisst habe,  werde ich nicht schnell damit aufhören, an dich zu denken. Im Gegenteil, ich werde dich richtig stark vermissen, da ich dich über alles liebe, Lix. Ich freue mich schon darauf, dich eines Tages zu sehen, dich in die Arme zu nehmen und dir zu sagen, dass ich froh darüber bin, dir im Leben nach dem Tod zu begegnen. Bis dahin würde ich sagen.. Lebe wohl, Lix.

Pass immer auf dich auf und trauere bitte nicht um mich, da ich es nicht gebrauchen kann. Genieße das Leben weiter und werde zur Inspiration für andere Menschen. Von oben aus werde ich beobachten, wie du dich entwickelst - wobei eher von unten, aber egal - und was für Fortschritte du machen wirst.  Wir sehen uns bald wieder, Lix. Das verspreche ich dir.

Genieße deine Atemzüge so gut, wie du nur kannst. Meinen letzten Atemzug habe ich nun hinter mich gebracht, was eine große Erlösung für mich ist. Ich will, dass du weißt, dass ich jetzt endlich glücklich darüber sein kann, keinen weiteren, schweren Atemzug zu mir nehmen zu müssen, welcher mich daran erinnert, ein hartes und qualvolles Leben zu führen. Genieße jeden Atemzug so gut, wie du nur kannst, da du jeden wertvollen Zug verdienst.

Auch, wenn ich nicht mehr da bin, Lix: Ich liebe dich - auch nach dem Tod - über alles und da wird sich meine Meinung niemals ändern. Ich werde niemals aufhören, an dich zu denken.

Bang Chan

ᴏɴᴇ ᴍᴏʀᴇ ʙʀᴇᴀᴛʜ ᶜʰᵃᶰˡᶤˣ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt